Kurswechsel der EZB: Zurück zum Gesetz des Dschungels

So wie im Zoo Tiere gezielt gefüttert werden, versorgt die Europäische Zentralbank Staaten und Firmen mit Geld. Damit soll wohl bald Schluss sein.

Ein Gorilla mit einer Möhre in der Hand

Wenn's keine Bananen mehr gibt, tut es auch mal eine Möhre Foto: dpa

Stellen wir uns unser Wirtschaftssystem als Dschungel vor. Da versuchen die Gorillas, mit protzender Kraft und viel Nahrung Weibchen zu beeindrucken. Schwache werden weggeprügelt und gehen pleite. Die Schimpansen zocken. Ständig überlegen sie sich, ob es günstig wäre, heute Schilf zu horten, um es morgen gegen Äste einzutauschen.

Im Kartell der Bonobos bumst dagegen jeder jeden. Man teilt brüderlich, so ähnlich wie in der deutschen Autoindustrie. Zen­trale Währungen sind Gemüse und Obst, Bananen nimmt allzeit jeder – ein sehr liquides Obst. Ananas, Mangos und Nüsse sind die diversen Kreditderivate, die ständig gehandelt werden.

Nun wissen aber alle Affen im Jahr 2007, dass ziemlich viel Obst faul ist. Und als der erste Affe aufhört, das stinkende Zeug zu akzeptieren, bricht Panik aus. Diejenigen, die zu viel gefuttert haben, bekommen schreckliches Bauchweh, der Rest verfällt in Apathie. Niemand traut sich mehr, etwas zu fressen. Die Tiere magern ab. Bevor alle verhungern, kommt aber ein gewisser Mario Draghi, steckt die Affen in den Zoo und päppelt sie wieder auf.

Nächste Woche wird Draghi, Chef der Europäischen Zentralbanane, sorry: Zentralbank, nun damit beginnen, seine Schützlinge langsam wieder auszuwildern. Am Donnerstag wird er sehr wahrscheinlich einen behutsamen Ausstieg aus etwas verkünden, was Ökonomen als „ultralockere Geldpolitik“ bezeichnen. Damit wird Draghi das Ende des größten politökonomischen Experiments in der Geschichte des modernen Europa einläuten.

Das Experiment lief nicht schlecht

Das Experiment besteht darin, dass die Europäische Zen­tral­bank seit der großen Finanzkrise von 2008 in die Rolle einer europäischen Wirtschaftsregierung schlüpfte – den Job machte sonst niemand. Die EZB tat dies, indem sie die Gesetze des Dschungels außer Kraft setzte. Weil damit nun allmählich Schluss sein soll, will der französische Präsident die Eurozone reformieren.

Dass das Experiment der EZB nicht schlecht lief, ist daran zu erkennen, dass Sie diesen Text wahrscheinlich nicht arbeitslos vor einer Suppenküche stehend lesen. Vom Funktionieren des EZB-Experiments hängen unser Wohlstand, unsere Lebensart und unser politischer Friede ab. Funktionieren Finanzmärkte nicht, sind schlagartig viele Jobs weg. Kann man gut finden oder nicht, ist halt so.

Am Donnerstag wird Folgendes passieren: Nach einer Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank hoch oben im EZB-Tower in Frankfurt wird Draghi vor die Presse treten. Dann liest er ein Statement von einem Zettel ab, das von den Finanzmärkten wörtlicher genommen wird als die Bibel von fundamentalistischen Christen.

Alle sechs Wochen findet dieses Ritual statt. Es geht darin um die Geldpolitik der EZB. Und jedes Hüsteln und Zögern Dra­ghis während seines Statements könnte als Hinweis gedeutet ­werden, dass sich was ändert.

Deshalb versucht der EZB-Chef, immer gleich zu gucken. Sehr ernst. Im ersten Absatz des Statements verkündet er die Höhe der Leitzinsen im Euro­raum, da wird sich nichts ändern. Dann geht es um „geldpolitische Sondermaßnahmen“. Draghi wird vom Nettoerwerb von Vermögenswerten von monatlich 60 Milliarden Euro bis Ende Dezember 2017 sprechen. Entscheidend ist, was er anschließend sagt.

Die Auswilderung der Affen

Die Nachrichtenagentur Reuters hat Volkswirte nach ihrer Einschätzung gefragt. Die meisten glauben, die EZB werde im nächsten Jahr nur noch Vermögenswerte von 40 Milliarden monatlich kaufen. Was einer Zeitenwende gleichkommt. Oder anders formuliert: Es ist die Auswilderung der Affen.

Um das zu verstehen, noch mal ein Rückblick: Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 hat die EZB die Leitzinsen allmählich bis auf null gesenkt, einen sogar, die sogenannte Einlagefazilität, auf unter null.. Zinsen senken heißt, dass Banken billigere Kredite an Frittenbuden, Autokonzerne, Häuslebauer, Zocker oder schizophrene Milliardäre vergeben können. Sie sollen investieren, die Wirtschaft ankurbeln. Als kippe man einen Haufen Bananen in den Dschungel.

Doch 2008 ist die wichtigste Währung des Kapitalismus verloren gegangen: Vertrauen in die Zukunft. Vertrauen der Affen zueinander. Die Sache mit dem faulen Obst könnte ja jederzeit wieder passieren.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Und so drohte dem Euroraum 2015 eine Deflation, das Gegenteil einer Inflation: Man bekommt für dieselbe Summe Geld immer mehr Zeug statt immer weniger. Das Ganze ist ein Symptom dafür, dass Vertrauen in die Zukunft fehlt. Die Wirtschaft investiert nicht, die Leute kaufen zu wenig Krempel.

Ein Schöpfungsakt

Die EZB fing deshalb an, Schuldentitel von Staaten und Firmen aufzukaufen – auf dem sogenannten Sekundärmarkt, also nicht direkt. Staaten und Firmen können sich so billiger verschulden. Der Effekt ist: Die EZB stopft ihnen Geld in den Rachen. Erfunden haben das die Japaner Anfang der nuller Jahre, auch die US-Notenbank FED und andere Zentralbanken arbeiten so.

Bis Ende des Jahres hat die EZB Firmen und Staaten auf diese Weise 2.280 Milliarden Euro geliehen. Firmen wie die Bierriesen Anheuser-Busch InBev (Beck's) oder Heineken, aber auch Unilever, Daimler, SAP, Telekom, BASF, BMW, Lufthansa – alles, was es an Großunternehmen in Europa gibt.

Eine Bank verleiht Geld, na und? So einfach ist es nicht: Die EZB und andere Notenbanken sind keine normalen Banken. Die EZB ist eine supranationale Organisation, in deren Büros Menschen an Computern sitzen, in ein Textfeld 5.000.000.000 € eingeben, und dann sind sie da, diese 5 Milliarden Euro. Ein Schöpfungsakt.

Normale Banken können pleitegehen, die EZB nicht. Sie würde nur verschwinden, wenn der Euro abgeschafft würde oder eine Atombombe auf sie fiele. Ist sie gezwungen, direkt an Wirtschaft und Staaten Geld zu verleihen, so heißt das: Die Gesetze der Preisbildung in freier Wildbahn funktionieren nicht mehr. Die haben zwar auch vor 2008 schon versagt, sonst wäre es nicht zur Krise gekommen. Aber egal.

Zombiefirmen in der Eurozone

Seitdem rennt man weltweit der Illusion hinterher, die gute alte Vergangenheit, die es so nie wirklich gab, wiederherstellen zu können. Die Notenbanken haben mit dieser Politik zwar die Krise überwunden, aber die Grundlage für die nächste geschaffen, weil die Affen im Zoo allmählich fett werden: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich spricht von 10 Prozent „Zombiefirmen“ im Euroraum, die nur wegen des billigen Geldes überleben, aber eigentlich pleite sind.

Billiges Geld und niedrige Zinsen bedeuten, dass im gesamten Finanzsystem immer höhere Risiken für immer waghalsigere Geschäfte eingegangen werden. Investoren suchen Rendite dann „jenseits ihrer natürlichen Habitate“, wie es der Internationale Währungsfonds in seinem jüngsten Weltfinanzstabilitätsbericht dschungelgerecht formuliert. Soll heißen, sie investieren in Sachen, von denen sie keine Ahnung haben.

Eine Verlängerung der Geldfütterung, schreibt der IWF, könne zu „noch mehr Finanz­exzessen führen“. Dazu kommt, dass auch die US-Notenbank FED bereits die Leitzinsen erhöht und damit beginnt, die 4.500 Milliarden Dollar, die sie an Schuldentiteln aufgekauft hat, abzubauen. Nicht zuletzt stieg die Inflationsrate im Euroraum im Jahr 2017 an, in Richtung der magischen 2 Prozent – wobei die EZB argumentiert, dass die Kerninflation, abzüglich der schwankenden Energiepreise, noch zu niedrig sei. Die zu erreichen ist qua Satzung Aufgabe der EZB.

Was aber passiert, wenn die EZB die künstliche Geldfütterung einstellt? Wenn also der Kapitalismus wieder versucht, nach den Gesetzen des Dschungels zu funktionieren, in dem sich Risiken und Gewinne von selbst einpendeln sollen und alle dem System vertrauen müssen? Das wissen Ökonomen kaum. Das Auswildern der Affen nennen viele „das große Entwirren“.

Vor allem heißt das aber, dass die EZB ihre Rolle als europäische Wirtschaftsregierung abgeben muss. Sie hat im Prinzip das getan, was eine europäische Regierung in einer Krise getan hätte: Geld rausbuttern, um die Wirtschaft anzukurbeln. Während die Nationalstaaten zum Sparen verdammt waren. In den nächsten Jahren muss sie sich zurückziehen und hinterlässt ein Vakuum.

Wie das gefüllt wird? Schafft es die EU, eine Wirtschaftsregierung aufzubauen und die begonnene Politik zur Sicherung gegen den nächsten Crash fortzusetzen? Das wird auch von der nächsten Bundesregierung abhängen. Und deren möglicher Finanzminister Christian Lindner glaubt unerbitterlich an die Gesetze des Dschungels. Aber das ist eine andere Geschichte.

Update: Der Autor hat gegenüber einer ersten Version des Textes Korrekturen vorgenommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.