18-jähriger Italiener bleibt in U-Haft: Das G20-Exempel

Fabio V. sitzt seit dem G20-Gipfel in U-Haft. Hamburgs Staatsanwaltschaft besteht darauf. Am Tatort gesehen hat ihn niemand.

Der Angeklagte Fabio V. vor Gericht.

Muss vorerst weiterhin in Haft bleiben: der 18-Jährige Fabio V. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Wenn es sich um irgendein anderes Verfahren handelte, ohne Bezug zum G20-Gipfel, wäre der Beschuldigte schon lange frei. Da ist sich der Anwalt von Fabio V., Arne Timmermann, sicher. Es ist Mittwoch, der letzte von vier ursprünglich vorgesehenen Prozesstagen, und die Verteidigung zieht eine Zwischenbilanz: „Nach allem, was wir bisher gehört und gesehen haben – wie ist es da möglich, dass der dringende Tatverdacht gegen meinen Mandanten weiter aufrecht erhalten wird?“

Vorgeworfen wird Fabio V., auf einer Demo am Rondenbarg gewesen zu sein, aus der heraus die Polizei „massiv angegriffen“ worden sein soll. Demonstrant*innen sollen Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamt*innen geworfen haben. V. selbst wird das aber nicht vorgeworfen. Der Vorwurf gegen ihn lautet nur, dabei gewesen zu sein. Das sind nach Ansicht der Staatsanwaltschaft drei Delikte: schwerer Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.

Bloß, dass keiner der Zeugen, die bisher vor Gericht ausgesagt haben, Fabio direkt belasten kann, weil ihn keiner am Rondenbarg gesehen hat. Alle Polizisten antworteten auf die Frage, ob sie ihn schon mal gesehen hätten: „Nein“. Dass das auch bei den noch ausstehenden Zeugenaussagen so sein wird, hat das Gericht bereits zugegeben.

Hinzu kommt, dass der Polizeieinsatz am Rondenbarg zu den umstrittensten Einsätzen während des G20-Gipfels zählt. Fabio V. soll am Freitag, den 7. Juli, mit etwa 200 anderen Aktivist*innen vom Volkspark in Richtung Innenstadt gezogen sein. Am Rondenbarg stießen sie auf die Polizei. Dass ein „massiver Angriff“ stattgefunden hat, dokumentieren mehrere Polizeivideos.

Ob der allerdings von den Aktivist*innen oder von Polizist*innen ausging, ist Interpretationssache. Auf den Videos sieht man einige Gegenstände aus den Reihen der Aktivist*innen in Richtung der Polizist*innen fliegen. Dann sieht man, wie die Beamt*innen losstürmen und binnen Sekunden die Demo zerschlagen.

Was man nicht sieht, was aber viele Demo-Teilnehmer*innen berichtet haben, ist, wie einige von ihnen auf der Flucht vor der Polizei versuchten, über ein Geländer zwei Meter in die Tiefe auf einen Parkplatz zu springen. Das Geländer brach ab, die Demonstrant*innen fielen mitsamt Geländer auf eine Leitplanke. Einige Schwerverletzte blieben liegen.

Das Polizeivideo zeigt, wie ein paar junge Menschen, die nicht vor der Polizei geflohen oder nicht weit gekommen sind, auf dem Parkplatz stehen. Einer von ihnen ist Fabio – er könnte es zumindest sein. Er guckt nach unten, guckt nach oben, gestikuliert. Was man auch nicht sieht: Neben ihm, zwischen parkenden Autos, liegt eine Frau mit einem offenen Bruch. Er will offenbar auf sie aufmerksam machen. Seine Mutter sagt: Fabio habe entschieden, nicht zu fliehen, um bei der Schwerverletzten zu bleiben.

Freilassung erneut verhindert

„Dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr“ lautet die Begründung, mit der die Staatsanwaltschaft sich für eine weitere Untersuchungshaft einsetzt. Am Freitagabend wäre V. fast freigekommen. Die Richterin hatte die Haft aufgehoben, aber die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Das Landgericht lehnte diese ab und entschied, V. sei unverzüglich zu entlassen. V.s Mutter Jamila B. fuhr nach Hahnöfersand, um ihren Sohn abzuholen. Doch die Staatsanwaltschaft legte wieder Beschwerde ein, über die nun das Oberlandesgericht (OLG) entscheiden muss. Bis dahin bleibt V. in Haft.

Jamila B. stand vor der Haftanstalt, als ihr Sohn sie anrief und sagte: „Die lassen mich doch nicht raus.“ Dass die Entscheidung nun beim OLG liegt, verheißt nichts Gutes: Schon einmal hatte das Gericht die Entlassung verhindert. In einem Beschluss von Ende Juli hatte es V. „schädliche Neigung“ und erhebliche „Erziehungsmängel“ attestiert. Seine Anwältin legte Beschwerde beim Verfassungsgericht ein, das sich aber nicht zuständig sah.

Warum diese Härte gegen einen 18-Jährigen, dem keine individuelle Tat vorgeworfen wird? „Es ist ein Pilotverfahren“, sagt sein Verteidiger Timmermann. Die Polizei hat am Rondenbarg 75 Menschen festgenommen. Kommt Fabio frei, wird es für das Gericht schwierig, die anderen härter zu bestrafen. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nennt Timmermann „extrem unmenschlich“.

Mittlerweile ist das Grundrechtekomitee aufmerksam geworden und schickt eine Mitarbeiterin zu jedem Prozesstermin. Auch ein italienischer Konsul kommt regelmäßig, neben deutschsprachigen auch ein italienischer Journalist und zahlreiche Unterstützer*innen. Wenn Fabio in Handschellen in den Saal geführt wird, applaudieren sie, rufen „Solidarietà“ und „Alerta“. Fabio lächelt dann.

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