piwik no script img

Nach Angriff auf JournalistenFretterode-Prozess beginnt erneut

Zwei Neonazis jagten und verletzten in Thüringen Journalisten. Mittlerweile ist das über sieben Jahre her. Ein erstes Urteil hatte der BGH aufgehoben.

Die beiden Angeklagten mit ihren An­wäl­t:in­nen vor dem Landgericht im thüringischen Mühlhausen am 22. 12 Foto: Michael Reichel/dpa
David Muschenich

Aus Mühlhausen

David Muschenich

Ein 60 bis 70 Zentimeter langer Schraubenschlüssel, ein Baseballschläger, ein Messer und Pfefferspray. Damit sollen Gianluca K. und Nordulf H. im April 2018 zwei Journalisten im thüringischen Fretterode verletzt haben. So lautet die Anklage sieben Jahre nach der Tat. Seitdem ist viel passiert, aber ein rechtskräftiges Urteil gibt es noch nicht. An diesem Montagmorgen begegneten sich die vier im Landgericht Mühlhausen erneut.

Die betroffenen Journalisten nahmen im Gerichtssaal als Nebenkläger Platz. Merlin M., einer der beiden, sagte der taz später, er sei aufgeregt, weil er die Angeklagten wieder sehe. „Aber von diesem Prozess erwarte ich kein Urteil, was der Tat angemessen ist.“ Er fühle sich als Pressevertreter nicht richtig von der Justiz in Mühlhausen geschützt, sagt M.

Es ist der zweite Anlauf für den Prozess. Zwar gab es im September 2022 einen ersten Schuldspruch, aber den kassierte der Bundesgerichtshof (BGH), nachdem die Staatsanwaltschaft und einer der betroffenen Journalisten Revision eingelegt hatten. In der Entscheidung des BGH hieß es, die „Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft“. Eine andere Kammer des Gerichts muss das Verfahren deshalb neu aufrollen.

Zu diesem zweiten Prozessauftakt in Mühlhausen verlas die Staatsanwaltschaft zunächst die Anklage. 2018 seien die beiden Journalisten aus Göttingen in Fretterode gewesen, um das Anwesen des stellvertretenden NPD-Vorsitzenden Thorsten Heise aus dem Auto heraus mit einer Kamera zu beobachten. Nordulf H. ist der Sohn des bekannten Neonazis, Gianluca K. gilt als politischer Ziehsohn. Sie hätten die Journalisten bemerkt und gejagt, bis deren Fahrzeug im Straßengraben landete.

Von diesem Prozess erwarte ich kein Urteil, was der Tat angemessen ist

Merlin M., Betroffener und Nebenkläger

H. habe sich vermummt, die Scheiben des verunfallten Autos zertrümmert und Pfefferspray in den Innenraum gesprüht. Als einer der Journalisten ausstiegen sei, habe H. mit dem Schlüssel auf ihn eingeschlagen. Dann sei K. mit einem Baseballschläger auf den Journalisten losgegangen. Nordulf H. habe zeitgleich mit einem Messer die Reifen zerstochen und die Kamera aus dem Wagen gezogen. Dabei habe er auf den anderen Journalisten eingestochen und ihn am Oberschenkel verletzt.

Am Ende des ersten Prozesses 2022 verurteilte das Landgericht Gianluca K. wegen Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Nordulf H., zur Tatzeit 19 Jahre alt, bekam eine Jugendstrafe von 200 Sozialstunden. Die Nebenklage kritisierte die Strafen als skandalös mild. Den mutmaßlichen Raub der Kamera sowie die neonazistische Gesinnung der Täter ließ das Gericht im Urteil unerwähnt.

Auch der BGH wies im März 2024 in seiner Entscheidung, das Urteil aufzuheben, darauf hin, dass der mutmaßliche Raub im Verfahren nicht ausreichend geprüft wurde. Das solle im zweiten Verfahren anders laufen.

Trotz der harschen Kritik durch den BGH dauerte es noch mehr als anderthalb Jahre, bis der Prozess erneut beginnen konnte. Sven Adam, Anwalt einer der Nebenkläger, reichte im Juni eine Verzögerungsrüge ein. Nun sagte er, er erwarte, dass das Gericht zumindest einen schweren Raub feststelle. Das würde eine Mindeststrafe von fünf Jahren Haft für Erwachsene bedeuten.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare