Nach Ausschreitungen in Landeshauptstadt: Stuttgarter Ermittlungsmethoden

Nach den Stuttgarter Krawallen will die Polizei die Herkunft der Tatverdächtigen klären. Trotz Kritik verteidigt das Innenministerium das Vorgehen.

Viele Polizeiwannen auf dem Stuttgarter Schlossplatz, Abend-Szenerie

In der Stadt Präsenz zeigen: Die Polizei mit großem Aufgebot auf dem Stuttgarter Schlossplatz Foto: Christoph Schmidt/dpa

BERLIN taz | Die Kritik war deutlich – und parteiübergreifend. „Das verstört mich nachhaltig“, twitterte SPD-Chefin Saskia Esken. Linke-Chef Bernd Riexinger fragte: „Eine Straftat ist nur dann eine Straftat, wenn der Täter Migrant ist, oder warum braucht es eine Stammbaumforschung?“ Und FDP-Innenexperte Johannes Vogel erklärte: „Transparenz über Nationalitäten gerne, aber Deutsche erster und zweiter Klasse gibt es nicht. Und mit Aufklärung von Straftaten hat es nichts zu tun.“

Anlass der Kritik waren Ausführungen des Stuttgarter Polizeipräsidenten Franz Lutz im städtischen Gemeinderat vom Donnerstag. Diskutiert wurde dort über die Stuttgarter Krawallnacht vom 21. Juni, bei der rund 500 vorrangig Jugendliche in der Innenstadt Schaufensterscheiben eingeschlagen, Geschäfte geplündert und PolizistInnen angegriffen hatten. Die CDU fragte daraufhin in einem Antrag nach den Biografien der Festgenommenen. Wie viele davon lebten in Stuttgart? Wie viele haben Migrationshintergrund? Wie viele sind Geflüchtete?

Lutz kündigte in der Folge dessen laut Stuttgarter Zeitung eine bundesweite Stammbaumrecherche über die Tatverdächtigen mithilfe von Landratsämtern an, auch über Tatverdächtige mit deutschem Pass. Ein Polizeisprecher begründete der Zeitung das Vorgehen mit der Schwere der Ausschreitungen. Hinzu komme, „dass ganz Deutschland auf den Fall blickt“. Dabei würden auch Fragen nach den Hintergründen der Täter gestellt.

Am Sonntagnachmittag relativierte die Polizei den Bericht. Eine Stammbaumforschung sei „nicht korrekt“, teilte ein Sprecher mit. Wohl aber würden die Lebens- und Familienverhältnisse der Tatverdächtigen festgestellt. Dazu gehöre in Einzelfällen auch die Nationalität der Eltern, „und nur die der Eltern“.

Innenminister Strobl verteidigt Polizei

Sie würde durch Anfragen bei den Standesämtern erhoben, um einen Migrationshintergrund zu klären. Dieser liege vor, wenn ein Elternteil oder der Verdächtigte selbst nicht deutsch sei. Für eine strafrechtliche Aufarbeitung bedürfe es „aller persönlichen Umstände der Tatverdächtigen“, so die Polizei. Zudem gehe es auch um „maßgeschneiderte“ Präventionsmaßnahmen.

Die von dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn geführte Stadt positionierte sich am Sonntag vorerst nicht zu dem Polizeivorgehen. Hingegen verteidigte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) die Verfahrensweise: Die Feststellung von Familien­ver­hältnissen sei „eine Selbstverständlichkeit in einem Strafverfahren“.

Der Begriff der Stammbaumforschung sei „fehl am Platze“, die Arbeit der Stuttgarter Polizei aber völlig „professionell und korrekt“, so Strobl. Es gehe um eine umfassende Aufklärung nach den einmaligen Ausschreitungen. ­„Insofern stehe ich auch in diesem Punkt zur Arbeit und hinter unserer Polizei.“

Doch schon nach der Gemeinderatssitzung kritisierten SPD, FDP, Grüne und Linken das Polizeivorgehen. Am Sonntag erfolgte die Kritik auch bundesweit – und auch aus Kuhns Partei. Deren Innenexperte Konstantin von Notz nannte die Pläne der Stuttgarter Polizei „die unsägliche Konsequenz aus der rechtsextremen Debattenverschiebung“. „Sicherheitspolitisch bringt einen das null Prozent weiter, gesellschaftspolitisch spaltet es und wirft uns weit zurück.“

Boris Pistorius: „Was soll das?“

Ex-Grünenchef Cem Özdemir forderte Polizeipräsident Lutz auf, den Vorschlag zurückzuziehen. „Zu den Aufgaben der Polizei gehört die Stammbaumforschung in Deutschland aus guten Gründen nicht mehr. Wie weit zurück soll es gehen?“ Selbst der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) twitterte: „Was soll das?“

Bereits unmittelbar nach der Krawallnacht hatte die Stuttgarter Polizei die Nationalitäten der damals Festgenommenen bekannt gegeben. Demnach wurden 12 Personen mit deutschem Pass gefasst, 12 weitere mit anderer Nationalität. Sie waren laut Polizei zwischen 14 und 33 Jahre alt. Inzwischen wurden 39 Tatverdächtige festgenommen, 14 von ihnen sitzen in U-Haft.

In der Nacht zum Samstag war es in Stuttgart erneut zu einem größeren Einsatz gekommen. Laut Polizei mussten Beamte Auseinandersetzungen zwischen Alkoholisierten beenden, ein Mann wurde bei einer Schlägerei schwer verletzt. Es kam zu mehreren vorläufigen Festnahmen. Die Nacht zum Sonntag blieb ruhig.

Die Stadt Stuttgart und das Land hatten erst Anfang Juli eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen. Vereinbart ist nun eine stärkere Polizeipräsenz an Wochenenden, eine eigene Ermittlungseinheit, verstärktes Vorgehen gegen Intensivtäter und „Fahndungstage“. Die Videoüberwachung von Brennpunkten sowie Alkohol- und Aufenthaltsverbote werden geprüft.

Eingerichtet werden soll auch ein „Haus der Prävention“ in der Innenstadt. „So eine Krawallnacht darf es nicht mehr geben“, sagte Innenminister Strobl. Auch Kuhn erklärte, durch die Ausschreitungen hätte „das Sicherheitsgefühl gelitten“. Die Stadt stehe für „Freiheit, Liberalität und Weltoffenheit“. Aber: „Nur wo es Sicherheit gibt, kann es auch Freiheit geben.“

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