Nach Putschversuch in Brasilien: 27 Jahre Haft für Bolsonaro
Das Oberste Gericht Brasiliens hat Ex-Präsident Bolsonaro wegen eines geplanten Staatsstreichs verurteilt. Seine Anwälte wollen Berufung einlegen.

Auf der einen Seite tanzende Menschen, Jubel und Feierstimmung. Auf der anderen Tränen und Gebete: Brasilien reagierte in der Nacht zum Freitag auf einen historischen Prozess. Ex-Präsident Jair Messias Bolsonaro wurde wegen eines geplanten Staatsstreichs zu 27 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Eine fünfköpfige Kammer des Obersten Gerichtshofs sprach den Rechtsradikalen schuldig. Vier Richter*innen stimmten für den Schuldspruch, einer dagegen. Neben Bolsonaro wurden auch weitere ehemalige Minister, Politiker und Vertraute zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Gruppe in Gangsterfilm-Manier einen gewaltsamen Umsturz geplant hatte – inklusive geheimer Waffenlager, Codenamen und dem Plan, Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva zu vergiften. „Brasilien ist fast zur Diktatur zurückgekehrt“, sagte Richter Alexandre de Moraes in seiner Urteilsbegründung. Ziel sei ein Staatsstreich gewesen, Bolsonaro habe jedoch nicht das Militär auf seine Seite bringen können. Die Verurteilten werden auch für den 8. Januar 2023 verantwortlich gemacht, als zehntausende Menschen den Regierungssitz in Brasília stürmten.
Bolsonaro hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen und inszeniert sich als Opfer einer Verschwörung. Seine Verteidigung erklärte nach dem Urteil, die Strafen seien „extrem überzogen“ und kündigte Berufung an.
Die Strafe soll zunächst im geschlossenen Vollzug verbüßt werden, doch es wird erwartet, dass die Verteidigung eine Verlegung in Hausarrest beantragen wird, wegen Bolsonaros Gesundheitszustand. 2018 war er während des Wahlkampfs Opfer einer Messerattacke geworden.
US-Außenminister spricht von „politischer Verfolgung“
Richter Luiz Fux äußerte am Mittwoch eine abweichende Meinung und stellte die Zuständigkeit des Gerichts infrage. Er stimmte für einen Freispruch. Seiner Ansicht nach hätte das Verfahren vor einer niedrigeren Instanz geführt werden müssen, da Bolsonaro kein amtierender Präsident mehr sei. Zudem kritisierte er, dass nicht das volle Gremium von elf Richtern über den Fall entschied, sondern nur ein Fünfer-Senat. Fux’ Urteil könnte Protestbewegungen Auftrieb geben und den Weg für Berufungen ebnen.
International ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. US-Außenminister Marco Rubio sprach von „politischer Verfolgung“ und kündigte an, dass sein Land „angemessen auf die Hexenjagd reagieren“ werde. Zuvor hatte die Trump-Regierung bereits Strafzölle gegen Brasilien verhängt und Richter Alexandre de Moraes auf die Sanktionsliste gesetzt.
Auch Trump äußerte sich noch am Donnerstag und zog Parallelen zu den Gerichtsverfahren, die gegen ihn selbst geführt worden waren. Die Verurteilung könnte die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter verschärfen. Präsident Lula erklärte noch am Donnerstag in einem Interview mit dem Fernsehsender Band, dass Brasilien reagieren werde, falls US-Präsident Donald Trump neue Sanktionen verhänge.
Ist der Bolsonarismus jetzt geschwächt?
Für das Wochenende werden Proteste von Bolsonaro-Anhänger*innen erwartet. „Die extreme Rechte wird sich durch das Urteil nicht aus der Politik zurückziehen, aber ihr Handlungsspielraum innerhalb der Institutionen wurde eingeschränkt“, sagt Isabela Kalil, Politikwissenschaftlerin und Koordinatorin des „Observatoriums der extremen Rechten“, der taz. „Ohne ihre wichtigste Führungsfigur droht dem Lager eine Zersplitterung.“ Mit der Entscheidung des Gerichts seien „die Kosten für einen Angriff auf die Demokratie“ deutlich gestiegen.
Einige befürchten dennoch eine Radikalisierung der bolsonaristischen Szene. Im vergangenen Jahr versuchte ein Bolsonaro-Anhänger einen Sprengsatz im Regierungsviertel von Brasília zu zünden, um die Richter des Obersten Gerichtshofes zu töten. Das Attentat scheiterte, der Täter kam dabei ums Leben. Kalil glaubt nicht, dass nun weitere solcher Taten zu erwarten seien, da eine direkte oder indirekte Unterstützung durch Bolsonaros fehlen wird.
Die Verurteilung des Ex-Präsident dürfte die Hoffnung des ultrarechten Lagers, ihn bei der Wahl im kommenden Jahr ins Rennen zu schicken, dämpfen. „Es ist eine Schwächung Bolsonaros, aber erst über die Kämpfe um seine Nachfolge werden zeigen, ob es auch eine Schwächung des Bolsonarismus ist“, so Kalil.
Als aussichtsreicher Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas. Viele eingefleischte Bolsonaro-Fans halten ihn jedoch für nicht radikal genug. Auch Bolsonaros Söhne – Carlos, Eduardo und Flávio – werden als Alternativen gehandelt, sind aber selbst in Ermittlungen und Affären verstrickt. Zugleich ist zu erwarten, dass auf Bundesebene rechte Trittbrettfahrer auftreten – politisch unbelastet, aber rhetorisch und thematisch auf Bolsonaro-Kurs. Ohne Altlasten, aber mit dem gleichen Kalkül.
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