Nach Seilbahnunglück in Lissabon: Überall Pfusch
Das Kabel, das sich bei dem Seilbahnunglück gelöst hatte, war nach amtlichen Angaben nicht zertifiziert. Ein Bericht listet weitere Mängel auf.

taz | Der vorläufige Abschlussbericht des Amtes für die Verhütung und Untersuchung von Flugzeug- und Eisenbahnunfällen (GPIAAF) zum Unfall der Standseilbahn Gloria in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon liegt vor. Das Ergebnis der 34-seitigen Untersuchung: Es wurde geschlampt, wo nur geschlampt werden konnte.
So war das Verbindungskabel, das sich gelöst hatte und damit Schuld daran war, dass die Bahn am 3. September kurz nach Fahrtbeginn um 18.03 Uhr in die Tiefe rauschte, nicht für „den Einsatz in Anlagen zum Personentransport“ zertifiziert. Bei dem schweren Unfall waren 16 Menschen ums Leben gekommen, 21 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Gloria-Bahn verbindet Unter- und Oberstadt Lissabons.
Nicht zertifizierte Seile gekauft
Das städtische Unternehmen für den öffentlichen Personennahverkehr Carris hatte bis 2022 immer die geeigneten Stahlseile gekauft und regelmäßig durch ein privates Wartungsunternehmen auswechseln lassen. 2022, so der Bericht, mussten durch die Wiedereröffnung einer weiteren Standseilbahn – Lissabon hat insgesamt drei davon – übereilt Seile gekauft werden. Sie waren nicht zertifiziert.
Das Kabel in der Unglücksbahn war zum Zeitpunkt des Unfalls knapp ein Jahr im Einsatz. Normalerweise werden sie alle 600 Tage ausgewechselt.
Das GPIAAF will weitere Untersuchungen vornehmen, um herauszufinden, inwieweit es mangelnde Qualität oder andere Ursachen waren, die zum Versagen des Seiles geführt hatten. Jedoch stehe schon jetzt fest, dass das eingesetzte Seil ausdrücklich nicht dazu geeignet war, es an einem Drehlager, wie es die Standseilbahn zur Seilaufhängung hat, zu benutzen. Das fragliche Seil verbindet die zwei Kabinen. Während die eine nach unten fährt, zieht sie so die andere nach oben.
Mängel nicht nur am Bremssystem
Das GPIAAF-Untersuchungsteam spricht außerdem von schweren Mängeln an den Bremssystemen. Sowohl die Luftdruckbremse als auch die manuelle Bremse waren beschädigt. Und selbst das Notsystem, das eigentlich eingreifen soll, falls ein Seil reißt, versagte an jenem Tag. Es griff selbst dann nicht ein, als die Stromversorgung abbrach. Laut GPIAAF hatten die Techniker der Betreiber der Standseilbahn einfach vergessen, „die Notbremse im Falle eines Seilbruchs zu testen“.
Manuell war das Unglück nicht mehr zu verhindern. „Der Bremser brauchte eine Sekunde, um zu reagieren, als er die plötzliche Beschleunigung spürte und das Bremsventil betätigte“, heißt es im Bericht. Er konnte die Geschwindigkeit etwas reduzieren, doch die Abwärtsfahrt der Kabine nicht aufhalten.
Die Bahn prallte schließlich nach einer Kurve gegen ein Gebäude und wurde – so ein Augenzeuge – „wie ein Karton zerlegt“. Auf die Handbremse sei bei den regelmäßigen Wartungen nur wenig geachtet worden, so der GPIAAF-Bericht. Das hätten die Wartungsunternehmen nicht als wichtig angesehen, da sie eigentlich nie zum Einsatz komme.
Wartung aus Kostengründen ausgelagert
Die Wartung der Standseilbahn wurde von Carris 2008 an ein privates Unternehmen ausgelagert, um Kosten zu sparen. Seither wurden immer wieder Stimmen aus der Belegschaft laut, die vor einer unzulänglichen Wartung warnten. Der GPIAAF-Bericht bestätigt dies nun.
Die in den Inspektionsberichten aufgeführten Maßnahmen stimmten nicht immer „mit den tatsächlich ausgeführten Arbeiten überein“. Auch die noch am Morgen des Unfalltages durchgeführte Untersuchung sei nicht ordnungsgemäß vonstattengegangen. „Die für den Unfalltag geplanten Inspektionen wurden als erledigt erfasst, obwohl die Untersuchung Hinweise darauf liefert, dass sie nicht zum jeweils angegebenen Registrierzeitpunkt durchgeführt wurden“, heißt es im Bericht.
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