Nach Wahlen in Kamerun: Der Abtrünnige, der Biya ins Wanken bringt
Der einstige Biya-Vertraute Issa Tchiroma Bakary bringt das Regime des 92-jährigen Präsidenten ins Wanken – das offizielle Ergebnis wurde vertagt.
Kaum jemand hatte Issa Tchiroma Bakary auf dem Schirm, als er zur Präsidentschaftswahl in Kamerun am 12. Oktober antrat. Langzeitpräsident Paul Biya, mittlerweile 92 Jahre alt, regiert seit 1982 und gewinnt jede Wahl. Aber nun bringt Tchiroma die Staatsmacht so sehr ins Schwitzen, dass die für Donnerstag vorgesehene Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses auf kommenden Montag verschoben werden musste. Sogar nach den vorläufigen Zahlen der Wahlkommission, gegen die Kameruns Verfassungsgericht am Mittwoch alle Einsprüche abschmetterte, hat Biya nur mit knapp 54 Prozent gegen Tchiroma, der auf gut 35 Prozent kam, gesiegt. Tchiroma selbst sagt, er sei der gewählte Präsident, mit knapp 55 Prozent.
Es ist eine verkehrte Welt in Kamerun. Als bei der letzten Wahl 2018 der damals wichtigste Oppositionskandidat Maurice Kamto den Wahlsieg reklamierte, war es Issa Tchiroma, der als damaliger Regierungssprecher ein hartes Vorgehen ankündigte. Kamto habe sich „außerhalb des Gesetzes“ gestellt, schäumte Tchiroma. Der Oppositionsführer landete im Gefängnis und durfte dieses Jahr nicht mehr antreten. An seiner Stelle nominierte Kamtos Partei ausgerechnet Tchiroma – und nun reklamiert er selbst den Wahlsieg gegen Biya.
Der 78-jährige Tchiroma ist eigentlich überhaupt kein Oppositionspolitiker, sondern eine der dienstältesten Säulen Präsident Biyas. Jahrzehntelang saß der Politiker aus Garoua im muslimischen Norden Kameruns, der zur Peul-Ethnie gehört, in der Regierung – 1992–96 Verkehrsminister, 2009–19 Regierungssprecher, seitdem Minister für Arbeit und berufliche Bildung. Damit steht er für Biyas Versagen: Die Arbeitslosigkeit in Kamerun ist hoch, berufliche Perspektiven gibt es für die junge Generation kaum.
So waren viele überrascht, als Arbeitsminister Tchiroma am 24. Juni sein Amt niederlegte und in einem ausführlichen „Brief an die Kameruner“ Biya zum „Rückzug in Würde“ aufrief. „Es ist Zeit, mit alten Gewohnheiten zu brechen, ein neues Kapitel aufzuschlagen“, schrieb er. „Zu zentralisiert, zu verschlossen, zu entfernt von den Realitäten der modernen Welt“ sei Kameruns politisches System.
Tchiroma ist überhaupt kein Oppositionspolitiker
Viele Oppositionelle trauten ihm damals nicht. Aber wie der Staat mit ihm nach seinem Rücktritt umging, brachte ihm Respekt ein. Nach nur einer Woche wurde Tchiroma am Flughafen der Hauptstadt Yaoundé festgesetzt, sein Reisepass beschlagnahmt und ins Internet gestellt, man streute Gerüchte über ein Antikorruptionsverfahren, vor dem er auf der Flucht sei. Da erinnerte man sich, dass Tchiroma in Biyas Anfangsjahren schon einmal in Haft saß, von 1984 bis 1991.
Im Wahlkampf erhielt Tchiroma dann mehr Zulauf als andere Politiker. Es scheint, als sei er als langjähriger Mann des Regimes auch wählbar für Regimetreue, die wissen, dass die Ära Biya zu Ende geht, aber eine Machtübernahme der Opposition fürchten. So manche haben Tchiroma bereits zum Sieg gratuliert.
Oppositionelle sagen: Tchiroma ist nicht die Zukunft, aber er öffnet vielleicht die Tür zur Zukunft. Er will laut Wahlprogramm nur drei bis fünf Jahre als Übergangspräsident im Amt bleiben. „Meine Hand bleibt ausgestreckt für einen friedlichen Übergang“, sagt Tchiroma in seiner Siegeserklärung. Er hofft, dass das Militär sich auf seine Seite schlägt.
Man kann sich jetzt schon sicher sein: Im Duell zwischen Biya und Tchiroma wird nur einer politisch überleben. Es ist die große Überraschung dieser Wahl, dass offen bleibt, welcher von beiden es wird.
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