piwik no script img

Nach Wahlen in TansaniaOstafrikas Ruhepol wackelt

In Tansania kehrt nach Massenprotesten mit Hunderten Toten wieder Ruhe ein. Die Afrikanische Union kritisiert die jüngsten Wahlen als undemokratisch.

Zerstörte Busse und Gebäude – das Ergebnis der Proteste gegen den Ausschluss zweier Kandidaten der Opposition in Tansania Foto: Emmanuel Herman/reuters
Simone Schlindwein

Von

Simone Schlindwein aus Kampala

taz | Eine Woche nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Tansania, die von gewaltsamen Protesten begleitet wurden, kehrt langsam die Normalität zurück in das ostafrikanische Land. Büros und Geschäfte, die in vielen Landesteilen geschlossen waren, machen nach und nach wieder auf. Seit Dienstag ist die landesweite Ausgangssperre aufgehoben. Busse, Taxen und Motorräder verkehren wieder auf den Straßen von Daressalam, der Wirtschaftsmetropole am Indischen Ozean, wo fast aller Verkehr stillstand.

An den Tankstellen reihen sich nun Schlangen von Fahrzeugen, die betankt werden wollen. Doch Treibstoff ist nicht überall vorrätig. Seit Beginn der Proteste am Wahltag vergangenen Mittwoch war neben dem Verkehr auch der Handel in dem großen Land komplett lahmgelegt. Schulen und Behörden waren geschlossen.

Mit rund 98 Prozent der Wählerstimmen wurde Präsidentin Samia Suluhu Hassan am Montag erneut im Amt vereidigt. Doch jetzt hagelt es Kritik. Die Regionalorganisation SADC (Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft), welcher Tansania angehört und die Wahlbeobachter entsandt hatte, mahnte in ihrem vorläufigen Bericht an, dass die Wahlen nicht den demokratischen Standards entsprachen.

Selbst vonseiten der Afrikanischen Union (AU), die sich nur selten negativ über Wahlen in Afrika äußert, heißt es: Die Wahl „entsprach nicht den Grundsätzen, normativen Rahmenbedingungen und anderen internationalen Verpflichtungen und Standards der Afrikanischen Union für demokratische Wahlen.“

Brutales Vorgehen gegen Proteste

Über die Zahl der Toten und Verletzten in Folge der brutalen Niederschlagung der Proteste gibt es nach wie vor ungenaue Angaben. Die Oppositionspartei Chadema sprach zunächst von mehr als 700 Toten. Boniface Mwabukuzi, Vorsitzender der tansanischen Anwaltsvereinigung, gibt nun an, dass sein Verband nach Recherchen die Zahl auf mehr als 1.000 Tote schätze. Die Personalien der Getöteten zu erfassen, sei derzeit jedoch unmöglich.

Der Grund: Das Internet war tagelang abgeschaltet. Die sozialen Medien und Nachrichtendienste wie Whatsapp seien noch immer blockiert und die Regierung habe den Angehörigen mit harschen Konsequenzen gedroht, wenn sie Informationen über vermisste oder getötete Angehörige teilen.

Gegenüber dem britischen Nachrichtensender BBC erklärte ein Arzt des Muhimbili-Krankenhauses in Daressalam, Sicherheitskräfte hätten nachts heimlich Leichen und Schwerverletzte aus den Krankenhäusern entführt und an einen unbekannten Ort gebracht, damit sie nicht gezählt werden können.

Die wirtschaftlichen Verluste sind hingegen bereits überall sichtbar. Preise für Lebensmittel sind in die Höhe geschnellt. Der Benzinpreis hat sich fast vervierfacht und liegt derzeit in Daressalam bei rund vier Euro pro Liter. Aufgrund der Internetabschaltung konnte die weltweite Auktion von Cashewnüssen nicht stattfinden, Tansanias Haupt-Exportprodukt. Die Onlineauktion war für den vergangenen Freitag angesetzt und musste verschoben werden.

Kein regionaler Stabilitätsfaktor mehr

Als Folge internationaler Reisewarnungen, darunter auch vom deutschen Auswärtigen Amt, blieben auch Touristen fern. Einige Fluggesellschaften hatten ihre Flüge nach Tansania zeitweilig ausgesetzt. Tansanias Ministerium für Rohstoffe und Tourismus hat am Dienstag erklärt, dass die Touristenattraktionen und Nationalparks für internationale Besucher sicher seien. „Frieden und Stabilität wurden vollständig wiederhergestellt“, versichert das Ministerium in seiner Erklärung.

Mit Sorge schauen unterdessen Menschenrechtler und Aktivisten aus den umliegenden Ländern auf Tansania. Das Land galt lange Zeit als Stabilitätsfaktor in der Region. Präsidentin Samia Suhulu Hassan galt als Frau lange als Hoffnungsträgerin, damit ist es nun vorbei. Nach der brutalen Niederschlagung der Proteste in Kenia im Juni und Juli mit weit über 60 Toten und den Ereignissen nun in Tansania fürchten vor allem die Ugander, dass die dort anstehenden Wahlen im Januar 2026 ebenso blutig enden könnten.

Bereits jetzt hat die Regierung des 81-jährigen Yoweri Museveni, der seit 40 Jahren regiert, in Uganda Vorkehrungen getroffen, um sich die Wahlen zu sichern. Der Oppositionskandidat Kizza Besigye war im November vergangenen Jahres von Unbekannten im Nachbarland Kenia entführt und gewaltsam nach Uganda gebracht worden.

Dort sitzt er seitdem wegen mutmaßlichen Landesverrats im Gefängnis – ähnlich wie der tansanische Oppositionsführer Tundu Lissu, Vorsitzender der Chadema-Partei, der in Tansania ebenfalls wegen Landesverrats angeklagt ist. Beide haben dieselbe Anwältin: die ehemalige Justizministerin Kenias, Martha Karua – eine prominente Menschenrechtsanwältin. Auch sie war im Mai aus Tansania deportiert worden.

Die Sicherheitsorgane der drei Nachbarländer – Kenia, Tansania und Uganda – arbeiten hinsichtlich ihres Machterhalts offenbar eng zusammen. Das rabiate Vorgehen der Regierungen gegen die von der unzufriedenen Jugend getragenen Massenproteste ist überall dasselbe. Muhoozi Kainerugaba, Ugandas Armeechef und Sohn von Präsident Yoweri Museveni, warnt die Ugander auf der Onlineplattform X: „Ich sehe, dass das kenianische Virus nach Tansania übertragen wurde“, twitterte er und warnte: „Die Ugander sollten sich von ihren Nachbarn keine dummen Ideen aneignen. Die Sicherheitsvorkehrungen hier sind streng und unerbittlich.“

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare