Nach dem Anschlag in Nigeria: Tödliche Fußballleidenschaft

Mindestens 21 Menschen starben in Nigeria beim Anschlag auf ein Public Viewing des Spiels Brasilien gegen Mexiko. Das schürt Angst im Land.

Verwaiste Straße in Jos, Nigeria, nach einen Bombenanschlag im Mai 2014. Bild: dpa

Noch ist nicht klar, wie viele Menschen in der Nacht zu Mittwoch tatsächlich in Damaturu im Bundesstaat Yobe im Norden Nigerias umgekommen sind. Mindestens 21 sollen es sein, mehr als 20 wurden zum Teil schwer verletzt. Sterben mussten sie wegen ihrer Fußballleidenschaft.

Als sie am Dienstagabend das Spiel von Brasilien gegen Mexiko sahen, zündete – so berichten es Augenzeugen – ein Selbstmordattentäter in unmittelbarer Nähe einen Sprengsatz. In Nigeria geht jeder davon aus, dass die Terrorgruppe Boko Haram dahinter steckt.

Die Islamisten hatten bereits vor der Fußballweltmeisterschaft zwei Anschläge verübt. Während des Finalspiels der Champions League griffen sie in der Stadt Jos im Bundesstaat Plateau eine Fußballkneipe an. Vor gut zwei Wochen geriet der Bundesstaat Adamawa ins Visier. In der Stadt Mubi explodierte am Rande eines Fußballplatzes ein Sprengsatz und riss mehr als 40 Menschen in den Tod.

„Fußball gilt für diese Extremisten als Sünde“, versucht Imam Sani Isah aus Kaduna zu erklären, warum nun ausgerechnet Stadien und Live-Übertragungen neue Anschlagsziele für Boko Haram sind. „Dabei verfügen sie nur über schlechte Kenntnisse, was den Islam betrifft.“ Seiner Meinung nach würde man kaum einen Islamgelehrten finden, der Fußball als „sündhaft“ bezeichnet. Auch er selbst schaut gelegentlich Fußballspiele an.

Public Viewing – ein „weiches Ziel“

Mit den neuen Angriffen sorgen die Terroristen erneut für Unsicherheit und Angst. Mehrere Bundesstaaten, darunter Plateau und Adamawa, haben öffentliche Übertragungen deshalb verboten. Schon vor Beginn der WM forderte Bala Mohammed, Minister für die Hauptstadt Abuja, achtsam zu sein und öffentliche Plätze und Veranstaltungen zu meiden. Sie gelten als „weiches Ziel“ für die Terroristen.

Gemeinsam geschaut wird trotzdem, etwa in den Bars von Hotels und Restaurants. Zutritt hat allerdings nur, wer seine Taschen mit einem Metalldetektor kontrollieren lässt. Wo es früher nie Sicherheitspersonal gab, steht es plötzlich. In den Bars selbst drängen sich die Fans dann meist um einen kleinen Fernseher. Bild- und Tonqualität sind mies. Dennoch trifft das Übertragungsverbot all jene Nigerianer, die sich die 250 Naira (1,13 Euro) für ein Bier gar nicht erst leisten können. Sie bleiben draußen.

Damit verleiden die Terroristen ihnen ihre größte Leidenschaft: Fußball. Zwar dekoriert sich Nigeria während der WM nicht mit Fähnchen oder Fanartikeln. Allenfalls tragen Fans das grüne Trikot der Super Eagles – Super-Adler ist der Kosename der Nationalmannschaft. Doch in Nigeria hat fast jeder eine Meinung zum Fußball und drückt den Adlern kräftig die Daumen. „Der Fußball vereint uns“, sagt Ismaila Mabo, der einstige Trainer der Frauen-Nationalmannschaft Super Falcons. Er gilt als einer der erfolgreichsten Trainer überhaupt, erreichte er doch 1999 mit dem Frauenteam während der WM in den USA das Viertelfinale.

Nigeria, Afrikas Riesenstaat mit mehr als 170 Millionen Einwohnern und mehr als 250 ethnischen Gruppen und etwa ebenso vielen verschiedenen Sprachen, gilt als zerrissen. Immer wieder wird leidenschaftlich diskutiert, ob man das Land mit den riesigen Unterschieden nicht besser teilen sollte. So identifiziert sich die Mehrheit der Menschen über ethnische, religiöse und geografische Zugehörigkeiten, aber nicht mit dem Staat. Nicht so beim Fußball: „Wenn gespielt wird, dann ist es egal, ob ein Christ neben einem Muslim sitzt, oder ein Yoruba neben einem Haussa. Dann sind wir eins“, sagt Trainer Mabo.

Die Mannschaft ist wie der Staat Nigeria selbst

Sozial- und Politikwissenschaftler unterstützen die These des Trainers. Für Usman Mohammed, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der nigerianischen Nationalversammlung, kommt noch etwas anderes hinzu. Die Super Eagles sind ein wenig wie der Staat selbst. „Sie mussten immer wieder Niederlagen kassieren und haben sich doch wieder aufgerappelt. Heute scherzt niemand mehr über sie.“

Nach der schlechten Performance am Montagabend könnte sich das wieder ändern, und die Adler könnten schnell zu Brathähnchen werden; ein beliebtes Bild, mit dem man jeden Nigerianer aus der Reserve locken kann. Das Spiel gegen den Iran war trostlos und endete mit einem müden 0:0.

„Wir haben die Iraner nicht überrascht. Ihnen war klar, wie wir spielen“, analysiert Trainer Mabo, der hofft, dass die Spieler nun ihre Lektion für das kommende Spiel gelernt haben. „Es muss besser werden. Aber ich bin skeptisch.“ Über das Spiel gegen den Iran hatte im Vorfeld kaum jemand gesprochen. Der Sieg galt als sicher. Mit Bosnien und Herzegowina Samstag und Argentinien nächsten Mittwoch warten die schweren Gegner erst noch.

„Wir verlieren“, prophezeit auch der Schweizer Hans Krämer. Seit vielen Jahren lebt er in Nigeria und organisiert unter anderem das jährliche Frauenfußballturnier All Stars. Er findet, es mangele an guten Spielern. „Anders als in den neunziger Jahren haben sie die Qualität nicht mehr.“ Nigerianer hören das nicht gerne, was, findet Krämer, an einer falschen Einschätzung liegt. „Vor der WM hieß es, dass es Nigeria bis ins Halbfinale schaffen könnte. Dabei ist Nigeria auf Platz 44 der Fifa-Weltrangliste. Das Halbfinale hätte mich daher sehr überrascht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.