Nach dem Bombenanschlag in Ägypten: Mit Kreuz und Koran gegen den Terror

Nach dem Anschlag auf eine Kirche in Alexandria: In Kairo demonstrieren Christen und Muslime. Für die Einheit des Landes – gegen al-Qaida und Präsident Mubarak.

Gemeinsame Kundgebung von Muslimen und Christen in Kairo am 1.1.2011. Bild: dpa

"Ich heiße Ahmad und bin Muslim, aber das ist jetzt unwichtig", sagt der junge ägyptische Gymnasiast. In der einen Hand hält er den Koran, in der anderen ein Kreuz. "Ich bin gekommen, um gegen das zu protestieren, was unseren christlichen Brüdern geschehen ist, und um zu zeigen, dass sich die Religionsgemeinschaften in Ägypten nicht spalten lassen."

Spontan sind sie am ersten Abend des Jahres zusammengekommen, gut tausend Menschen, in Schubra, einem Viertel im Zentrum Kairos, in dem viele christliche Kopten leben. Etwa zur gleichen Zeit, als sie im drei Autostunden entfernten Alexandria die 21 Toten begraben, die bei einem Bombenschlag auf eine Kirche in Alexandria umgekommen waren. Im Internet kursieren Bekennerschreiben einer al-Qaida nahen Gruppierung.

Ägypten befindet sich im Schockzustand. Auch die junge Muslimin Sanaa ist nach Schubra gekommen. Sie ist nicht die einzige Kopftuchträgerin in dieser Demonstration. Das erste Mal in ihrem Leben nimmt sie an einer Demonstration teil. "Das war einfach zu viel, als ich die Bilder aus Alexandria gesehen habe. Ich bin gekommen, um meinen christlichen Mitbürgern mein Beileid auszudrücken", sagt die Publizistikstudentin. In der Hand hält sie ein aus Karton selbst gebasteltes Kreuz und einen Halbmond. Im Hintergrund rufen die Demonstranten ihren Slogan: "Wer sind wir, wir sind Kopten und Muslime. Wir haben Kirchen und Moscheen und Jesus und Mohammed, na und?"

Etwa sieben bis neun Millionen der 83 Millionen Ägypter sind Christen. Die meisten von ihnen gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an. Sie ist die größte christliche Gemeinschaft im Nahen und Mittleren Osten. Ihr Name geht auf eine Verkürzung des griechischen Wortes aigyptios zurück, mit dem man einst die christlichen Nachfahren der Ägypter des Altertums bezeichnet hatte.

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Oberhaupt der Kopten ist bereits seit 1971 Papst Schenuda III., Patriarch von Alexandria. Weltweit wird die Zahl der Kopten auf etwa zehn bis 15 Millionen geschätzt; bis zu 10.000 leben in Deutschland. Große Auslandsgemeinden gibt es in den USA. Der Überlieferung nach gründete der Evangelist Markus die Kirche in Ägypten vor rund 2.000 Jahren. Die eigentliche koptisch-orthodoxe Kirche entstand nach dem Konzil von Chalkedon im Jahre 451. Damals unterlag der Patriarch von Alexandria im dogmatischen Streit um die Natur Jesu Christi. Die koptisch-orthodoxe Kirche unterhält in Ägypten viele Klöster.

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Im Zuge der Islamisierung ab 640 traten viele Kopten zum Islam über oder wurden gewaltsam dazu gezwungen. Durch das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in den vergangenen 20 Jahren kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Kopten in Ägypten. So wurden vor einem Jahr mehrere koptische Christen im oberägyptischen Nag Hammadi bei einem Heiligabendgottesdienst ermordet. Anschließend kam es unter anderem in Deutschland zu Solidaritätsdemonstrationen.

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Obwohl die ägyptische Verfassung die Religionsfreiheit garantiert, sind Christen vor allem in Oberägypten gefährdet. Im Umgang mit den Behörden fühlen sich Christen oft als Bürger zweiter Klasse behandelt. Kopten erhalten in der Regel keine führenden Positionen beim Militär, beim Geheimdienst, bei der Polizei oder bei der Justiz, wie aus einer Broschüre der württembergischen Landeskirche zum "Gebetstag für verfolgte Christen" am 20. März 2011 hervorgeht. (dpa/epd)

Aber es herrscht nicht nur Trauer auf dem Demonstrationszug. Vor allem die Christen sind wütend - auf die Regierung des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Eine ältere Frau reißt an ihren Kleidern und schreit: "Ich habe meinen Sohn verloren, der von der Polizei erschossen wurde, und mein anderer ist in Haft." Das geschah vergangenen Monat, als es im Kairoer Viertel Omranyia wegen des Baus einer Kirche zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und koptischen Jugendlichen kam. Die Lizenz für den Bau einer Kirche ist aufwendig und schwer zu bekommen, während praktisch an jeder Ecke der Stadt neue Moscheen entstehen.

Das ist einer der Gründe für den Ärger der Christen. "Wenn wir einen Ziegelstein setzen, um eine Kirche zu bauen, dann werden wir vom Geheimdienst vorgeladen. Wo waren die Sicherheitskräfte jetzt, um den Anschlag in Alexandria zu verhindern", schreit die Frau und beginnt zu weinen: "Hast du gesehen, wie sie in der Kirche die Körperteile unserer Kinder eingesammelt haben?"

Auch Abdel Halim Qandil ist an diesem Abend gekommen. Er ist einer der Gründer von "Kifaya", der "Es reicht"-Bewegung, in Anspielung auf die fast drei Jahrzehnte währende Mubarak-Herrschaft. "Die Sicherheitskräfte sind mit dem Schutz des Regimes und dem Fälschen der Wahlen beschäftigt und haben dabei den Schutz der Bürger und vor allem der christlichen Mitbürger vergessen", sagt er. Die Regierung, erklärt er, habe sich immer damit legitimiert, der Garant für die Stabilität Ägyptens zu sein. Das Gegenteil sei der Fall. Das Regime unternehme nichts gegen die Spaltung des Landes in Religionsgemeinschaften, gegen die Auflösung der Gesellschaft und gegen das Chaos.

Hinter ihm zieht eine Gruppe von Männern vorbei mit einem großen Transparent. Einer fragt: "Wo sind unsere Rechte als Christen?" Es gebe kaum Christen im Parlament, keine christlichen Offiziere in der Armee oder an den wichtigen Stellen des Beamtenapparats. "Wir leben hier begraben", sagt er. Und zählt wie viele andere an diesem Abend die drei Dinge auf, die sich tief ins kollektive koptische Gedächtnis eingegraben haben. Der Anschlag auf eine Kirche im südägyptischen Naga Hamadi am letzten koptisch-orthodoxen Weihnachtstag, der sich am 7. Januar wieder nähert. Die Straßenschlacht und die Toten rund um den Bau der Kirche in Omraniya letzten Monat und jetzt das Massaker in Alexandria.

Der Mann hat noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da kommt es zu einem Gerempel. Die ägyptischen Bereitschaftspolizisten kommen zum üblichen Einsatz. Denn wie jede Demonstration ist dem Regime auch diese Zusammenkunft suspekt. Die, die sich hier versammelt haben, wollten ein Zeichen setzen gegen das Terrornetzwerk al-Qaida und für die Einheit des Landes. Am Ende rennen sie alle vor der ägyptischen Polizei davon, Christen und Muslime.

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