Nach dem ersten Corona-Lockdown: Keine veränderten Strukturen

Die Menschen kehren aus dem Home Office zurück, die 30-Stunden-Woche scheint weiterhin Utopie. Corona hat keine äußeren Veränderungen gebracht.

Zwei Menschen mit Maske in einer Berliner U-Bahn

Die Maschinerie rollt wieder und der Druck von außen wächst: Business as usual Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Wie habe ich das eigentlich alles vor Corona hingekriegt? Fürs Fernsehen arbeiten, Buch schreiben, Kolumnen für zwei verschiedene Zeitungen abgeben, hier und da einen Vortrag halten, an einem Schulprojekt mitarbeiten und dann auch noch Freizeit haben? Seit die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben wurden und so gut wie alle so tun, als gäbe es kein Corona mehr, finde ich einfach nicht mehr in meinem Prä-Corona-Arbeitsrhythmus, obwohl die Welt es von mir erwartet.

Während ich vor Corona pro Tag mehrere unterschiedliche Arbeitsaufträge erledigt habe, von 9 Uhr früh bis 9 am Abend außer Haus war, bin ich heute schon überfordert, wenn ich am Tag mehr als eine Sache erledigen muss. Und mit „Sache“ meine ich manchmal auch einfach nur ein Paket zur Post zu bringen und zehn Mails beantworten oder diese Kolumne schreiben.

Ich funktioniere trotzdem, als freie Journalistin bleibt mir nichts anderes übrig. Ich sage „ja“, wenn ich wieder zu Vorträgen und Veranstaltungen eingeladen werde, ich bin ja auch dankbar dafür, schließlich wurden seit März alle abgesagt. Trotzdem ist die erste Reaktion in meinem Kopf: „Nein, ich muss absagen, das schaffe ich nicht.“ Ich schaffe es doch und es macht Spaß, aber danach bin ich platt. Die Art von Plattheit, die ich vor Corona nicht kannte. Yoga hilft nicht, Nichtstun hilft nicht, Urlaub hilft nicht – alles die letzten Wochen probiert, alles, was früher geholfen hat, ist plötzlich coronaresistent. Egal mit wem ich darüber rede, irgendwie geht es gerade vielen so wie mir.

Hat Corona uns gezeigt, dass wir im Kapitalismus-Rad gefangen sind? Ist Corona womöglich gar eine Chance, alles neu zu denken, wie es uns in den ersten Lockdown-Wochen viele verkaufen wollten? In Österreich holen Arbeitgeber*innen ihre Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice zurück, ein Recht auf Homeoffice oder die 30-Stunden-Woche sind hierzulande noch immer politisch weit weg. Die äußeren Strukturen haben sich nicht geändert, dafür unsere inneren. Die Pandemie hat bei vielen Angst und Verunsicherung ausgelöst. Viele bangen um ihre Existenz, um ihre Gesundheit, um die der Liebsten.

Es gibt keine Antwort auf die Frage, wann der selbstgewählte Normalzustand wieder einkehrt, wann wir wieder reisen und feiern können, während der Druck von außen wieder zurück ist, und zwar mehr als zuvor.

Während mir manche Menschen im beruflichen Kontext wieder die Hand reichen, muss ich überlegen, wie ich ausweiche, ohne dass sie mich für eine Panikmacherin halten, die sich noch immer an die Corona-Verhaltensregeln hält. Während draußen alles so wirkt, als wäre nie was gewesen, weiß ich im Innern, dass Corona noch genauso da ist wie in der Höchstphase. Diese unterschiedliche Außen-und Innensicht zu vereinbaren stresst. Wenn Corona eine Chance sein hätte können, habe ich sie offenbar nicht richtig genutzt.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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