Nach der Festnahme Julian Assanges: Von einer Zelle in die andere

Wie es es zu Assanges Festnahme kam, wie es weitergeht und was eine Katze damit zu tun hat.

Julian Assange hält sich die Hände vor das Gesicht, das Bild zeigt ihn im Jahr 2011.

Nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft wurde Assange nun festgenommen Foto: ap

Warum jetzt?

Für die ecuadorianischen Behörden war der Wikileaks-Gründer wohl nicht mehr tragbar. Präsident Lenin Moreno jedenfalls scheint erleichtert, Assange endlich los zu sein. „Die Geduld Ecuadors mit Herrn Assange hat ihre Grenze erreicht“, sagte er und entzog Assange sein Asyl. Dieser sei „unhöflich und aggressiv“ gewesen. Außerdem habe er unerlaubte technische Ausrüstung installiert, Überwachungskameras blockiert, Wachleute angegriffen, sich unerlaubt Zugang zu Sicherheitsdaten der Botschaft verschafft und sich in innere Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt. Er bezeichnete Assange außerdem als einen „miserablen Hacker“ und wiederholte Vorwürfe, dass Assange Wände mit seinen Fäkalien beschmiert habe.

Warum saß Assange in der Botschaft in London?

Assange gründete 2006 die Enthüllungsplattform Wikileaks. 2010 wurden dort über 200.000 sensible Daten pu­blik gemacht, die die Öffentlichkeit unter anderem über amerikanische Tätigkeiten im Irak und in Afghanistan informierten. Einer Verfolgung durch die USA entging Assange in Europa. Ab 2010 warf die schwedische Justiz ihm Belästigung und Vergewaltigung zweier Frauen vor, weshalb er sich abermals absetzte; im Juni 2012 fand er Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London. Dort beantragte er Asyl.

Was wird Assange überhaupt vorgeworfen?

Mit seiner Flucht in die Botschaft habe er gegen seine Kautionsauflage verstoßen, so die britische Justiz. Deshalb drohen ihm jetzt 12 Monate Haft. Die US-Justiz wirft Assange zudem eine Verschwörung mit der früheren Mitarbeiterin Chelsea Manning vor. Assange wird beschuldigt, Manning dabei geholfen zu haben, das Passwort eines Computernetzwerks der Regierung zu knacken. Dem 47 Jahre alten Australier drohen bei einem Prozess in den USA nach Angaben des Justizministeriums bis zu fünf Jahre Haft.

Assange wird außerdem vorgeworfen, im russischen Inte­resse in den US-Wahlkampf eingegriffen zu haben. Wikileaks hatte Tausende Mails von Servern der demokratischen Partei veröffentlicht, die vermutlich von russischen Hackern entwendet wurden.

Wie tickt Assange sonst so?

Er gilt als eigensinnig mit einem Hang zu Selbstdarstellung und Arroganz. Seit seiner Odyssee durch den internationalen Raum wird der Sohn einer Zirkusfamilie aber auch als pop­kulturelles Phänomen und Promi gefeiert. Die Schauspielerin ­Pamela Anderson besuchte Assange mehrfach in seinem Unterschlupf in London, die Simpsons ließen ihn in S­pringfield auftreten. Für das amerikanische Time Magazine war Assange einer der Kandidaten für den Titel „Person of the Year 2010“, musste sich aber ­letztlich dem anderen großen Datenexperten, Mark ­Zuckerberg, geschlagen geben.

Was bedeutet die Festnahme für Assanges Kolleg*innen?

„Der Tag der Festnahme war ein erschreckender Tag für alle, denen etwas an der Informa­tions­freiheit liegt“, sagt Eugene Jarecki. Der amerikanische Filmemacher hat zuletzt 2014 mit Assange gesprochen. Für ihn ist Assange eine Symbolfigur der Meinungsfreiheit. „Er steht für eine globale Bewegung von Menschen, die sich Sorgen über die Asymmetrie von Wissen machen“, sagt Jarecki.

Die Festnahme habe gar nicht so viel mit Assange selbst zu tun, meint er – vielmehr wollten die USA ein Zeichen setzen. „Was wir gesehen haben“, so Jarecki, „ist ein Angriff auf den Asylanspruch.“ Dass mit diesem demokratischen Grundrecht gespielt werde, sei sehr bedrohlich für Whistleblower auf der ganzen Welt. Staaten wie China oder Russland könnten sich das zum Vorbild nehmen.

Was sagt „Reporter ohne Grenzen“ dazu?

„Das ist ein Präzedenzfall, den schauen sich autoritäre Regime ganz genau an“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Da die Organisation für die Rechte von Bürgerreporter*innen und unprofessionellen Jour­na­lis­t*in­nen eintritt, hat man eine Pressemitteilung lanciert. Darin fordert Reporter ohne Grenzen die britischen Behörden auf, Assange nicht an die USA auszuliefern. Denn was dort mit dem Australier passieren würde, sei ungewiss. „Bislang wird Assange die Verschwörung mit Chelsea Manning vorgeworfen. Die Betonung liegt allerdings auf ‚bislang‘.“ Unklar sei, ob durch weitere Anschuldigungen das mögliche Strafmaß noch anwachsen könne.

Da man Assange als „Journalismusermöglicher“ sehe, gar als „Wegbereiter des Datenjournalismus“, betreffe die Festnahme die Prinzipien der Meinungs- und Pressefreiheit. Gleichwohl seien seine Aktivitäten „journalismusähnlich“, wie es in der Mitteilung heißt: Wikileaks ordnet nicht ein, kontex­tua­lisiert nicht, stellt lediglich Informa­tio­nen ungefiltert zu Verfügung. „Er mäandert zwischen Journalismus und Aktivismus“, sagt Mihr. Symbolkraft für die investigative Zunft dürfte sein Schicksal in jedem Fall haben.

Wie geht’s weiter?

Von US-amerikanischer Seite besteht ein Auslieferungsersuchen. Großbritannien hat mit den USA einen Auslieferungsvertrag, der Bedingungen für die Überstellung einer per Haftbefehl gesuchten Person festlegt sowie die Auslieferungshindernisse: Für den Fall Assange muss etwa verhandelt werden, inwiefern der Upload geheimer Kriegsdokumente überhaupt eine politische oder militärische Straftat darstellt. Denn diese dürfen keine Auslieferung nach sich ziehen. Über diese Frage wurde bereits 2016 debattiert: Es stand im Raum, Whistleblower Edward Snowden einzuladen, um vor dem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen.

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Gleichzeitig war unklar, ob sich Snowden auf deutschem Boden bewegen durfte, ohne ein Auslieferungsverfahren der USA fürchten zu müssen. Letztendlich sind Auslieferungen jedoch eine politische Frage: Auch wenn die Bedingungen für eine Auslieferung ohne Hinderungsgründe erfüllt sind, folgen Staaten dem Auslieferungsersuchen nicht zwangsläufig. In Großbritannien schob 2012 ausgerechnet die damalige Innenministerin Theresa May einer Auslieferung den Riegel vor: Die USA forderten die Überstellung des Hackers Gary McKinnon. Dieser war zuvor in die Systeme der US-Streitkräfte und der Nasa eingedrungen.

Laut Rechtsexperten könnte der Fall Assange über Jahre vor britischen Gerichten verhandelt werden und letztlich vor den Europäischen Gerichtshof gehen.

Kann Deutschland Assange aufnehmen?

Nein. Zwar haben PolitikerInnen der Linken das gefordert, aber Asyl kann nur gewährt werden, wenn sich die gesuchte Person bereits auf dem Herrschaftsgebiet des Asyl gewährenden Staates befindet.

Und die Katze?

Das Haustier, auch bekannt unter „Embassy Cat“, trug täglich wechselnde Krawatten, mal gepunktet, mal gestreift, mal in Regenbogenfarben, und hat einen eigenen Twitter-Account. Angeblich hat sich Assange nicht genug um das Tier gekümmert, Hygiene und Fütterung vernachlässigt. Entsprechend hat die Katze schon seit Monaten nichts mehr über das Leben im Botschaftsgebäude gepostet. Ihre Zukunft ist ähnlich ungewiss wie die von Herrchen Julian.

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