Nach der Festnahme Julian Assanges: Warum sitzt Ola Bini in Haft?

Die Festnahme des schwedischen Software-Entwicklers in Ecuador ist skurril. Internationale IT-Vereinigungen fordern die Freilassung Ola Binis.

Ein älterer Mann vor einem an die Wand projezierten Bild mit der Zeile #FreeOlaBini

Ola Binis Vater Dag Gustafsson bei einer Pressekonferenz in Quito am vergangenen Dienstag Foto: ap

QUITO taz | Wenige Stunden nach der Festnahme von Wikileaks-Gründer Julian Assange in London verkündet die ecuadorianische Innenministerin María Paula Romo, im Land lebten zwei russische Hacker sowie eine Person mit engen Verbindungen zu Wikileaks. Bald würden weitere Informationen an die Staatsanwaltschaft übergeben werden.

Der 37-jährige schwedische Softwareentwickler Ola Bini, der seit einigen Jahren in Ecuador lebt, verlinkt am selben Tag auf seinem Twitter-Account den entsprechenden Artikel der ecuadorianischen Tageszeitung El Universo. Im folgenden Eintrag schreibt er: „Sehr Besorgnis erregende Nachrichten – für mich sieht das wie eine Hexenjagd aus.“

Am Nachmittag wird Bini am Flughafen in der Nähe von Quito festgenommen. Er war auf dem Weg nach Japan, um, wie ebenfalls auf Twitter angekündigt, für zwei Wochen an einem Seminar der Kampfkunst ‚Bujinkan‘ teilzunehmen.

Gesucht hat die Polizei nach einem russischen Staatsbürger mit dem Namen ‚Marco‘. Im Polizeiautor auf einem Parkplatz des Flughafens für zunächst acht Stunden festgehalten wird jedoch der Schwede Ola Bini. Danach, es ist schon Nacht, fahren die Polizisten ihn zu seiner Wohnung in Stadtviertel Iñaquito, im Norden der Hauptstadt.

Rechtswidrige Festnahme

Dort durchsuchen sie, noch ohne richterlichen Beschluss, die Wohnung und beschlagnahmen zahlreiche USB-Sticks, Bücher und Computer. In der Nacht des 12. April, einunddreißig Stunden nach der Festnahme, wird Bini dem Haftrichter vorgeführt. Erst dort hat er die Möglichkeit, mit Anwälten zu sprechen.

Die ecuadorianische Verfassung schreibt vor, dass „in flagranti“ Festgenommene unverzüglich, spätestens jedoch binnen vierundzwanzig Stunden dem Richter vorzuführen sind. Das Warten im Auto und die Fahrt zur Wohnung Binis waren demnach verfassungswidrig.

In der zwischen zehn Uhr nachts und den frühen Morgenstunden stattfindenden Verhandlung erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Delikts „Angriff auf die Integrität von Informationssystemen“. Dafür drohen laut ecuadorianischem Strafgesetzbuch drei bis fünf Jahre Haft.

Als Begründung führt Staatsanwalt Fabián Chávez eine anonyme, telefonische Anzeige und die Erklärung des Innenministeriums an. Ein unbekannter Anrufer habe behauptet, ein Alias „Marco“, der von der Ministerin genannte russische Hacker, befinde sich auf dem Weg zum Flughafen.

Kein konkreter Vorwurf, keine Beweis

Im Übrigen wiederholt der Staatsanwalt die Presseerklärung des Innenministeriums: man könne nicht zulassen, dass sich Ecuador in ein Zentrum der Cyberkriminalität verwandle. Beweismittel gegen Bini: Fotos der sichergestellten Computer, Bücher zu Programmiersprachen, USB-Sticks, zahlreiche Kabel und die Behauptung, Bini unterhalte Kontakte zu Julian Assange. Eine konkrete Tathandlung benennt die Anklagebehörde nicht und so ist bis heute unklar, was Bini eigentlich vorgeworfen wird.

Ohne auf die umfassenden Einwände des Verteidigers Carlos Soria einzugehen, erklärt Richter Rodolfo Navarrete Vélez in den frühen Morgenstunden im Verfahren die Festnahme für legal und gibt ohne Begründung dem Antrag auf Untersuchungshaft statt.

Die Verteidigung hat inzwischen Berufung gegen die Anordnung der Untersuchungshaft eingelegt, aber geringe Hoffnung, dass das Rechtsmittel zum Erfolg führt.

Unterdessen befindet sich Ola Bini im Gefängnis „El Inca“ im Norden Quitos. Wie alle Haftanstalten in Ecuador ist auch „El Inca“ überfüllt und vom Sicherheitspersonal kaum kontrollierbar, wenn die Wärter nicht selbst eine Gefahr für die Inhaftierten darstellen. Der Experte für Programmiersprachen (JRuby, Ioke, Seph) und Verschlüsselung schläft auf einem Karton und teilt sich die kleine Zelle mit fünf weiteren Männern. Wasser gibt es wenige Stunden täglich.

Richter riskieren ihre Stelle

Wohl nicht allein wegen der Unregelmäßigkeiten des Verfahrens spricht der ehemalige ecuadorianische Außenminister Guillaume Long von Ola Bini als einem politischen Gefangenen, während der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno behauptet, Bini sei von Assange instruiert worden, in Ecuador Regierungskonten und Smartphones zu hacken.

Diese nicht belegte Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Einmal scheint der Präsident davon auszugehen, Hackerangriffe setzten die Anwesenheit im Land der angegriffenen Computer voraus. Zweitens offenbart er ein mögliches Motiv für den Verfolgungseifer. In den sozialen Netzen zirkuliert ein unvorteilhaftes Foto des Staatschefs des armen Landes: dieser liegt in einem Luxushotel in einem Bett und schaut verwegen in die Handykamera, während neben ihm ein üppig mit Hummerschwänzen gedeckter Tisch steht. Moreno wirft Wikileaks vor, dieses Bild aus dem Urlaub des Präsidenten geleakt zu haben. Wikileaks hat das zurückgewiesen.

Beobachter gehen davon aus, dass in der wohl nächste Woche stattfindenden Berufungsverhandlung die Untersuchungshaft aufrecht erhalten wird. Alles andere wäre eine Überraschung, denn: Jeder Richter, der anders entscheiden würde, verlöre seine Stelle.

Technisch-juristisches Mittel der Richterabsetzung ist eine Norm im ecuadorianischen Richtergesetz, die die Justizverwaltung ermächtigt, Richter bei Begehung eines „unentschuldbaren Fehlers“ abzusetzen. Unter der Regierung Correa wurde diese Figur missbraucht, um den Justizapparat zu kontrollieren.

In der Mühle der Justiz

Die Regierung Moreno benutzt das Instrument weiterhin: etwa im Falle einer Richterin, die gegen einen Funktionär der Regierung Correa nicht Untersuchungshaft, sondern nur die Überwachung durch elektronische Fussfessel und Meldeauflagen anordnete. Auch dieser wurde, obschon ihre Entscheidung im Einklang mit der Rechtslage erging, ein „unentschuldbarer Fehler“ zum Vorwurf gemacht – sie musste gehen.

Auch deshalb ist eine Verurteilung Binis aufgrund welcher Vorwürfe auch immer nicht unwahrscheinlich. Schon beim ersten Gerichtstermin hat der Hinweis des Staatsanwalts auf den Widerruf des Asyls von Assange und die Presseerklärung des Innenministeriums genügt, um für 90 Tage Untersuchungshaft auszusprechen.

Da ist es nicht ausgeschlossen, dass Ola Bini auch verurteilt wird, mit dem einzigen Beweis, dass er Julian Assange mehrmals in der Botschaft besucht hat und zahlreiche Computer in seiner Wohnung gefunden wurden.

Zahlreiche internationale IT-Vereinigungen, daruner der Chaos Computer Club, das Tor-Projekt und viele andere, fordern in einem Solidaritätsschreiben die Freilassung Ola Binis. „Wir halten diese fordauernde präventive Verhaftung für willkürlich an und sehen darin einen direkten Angriff auf uns alle,“ heißt es darin.

Die Freiheit wird Ola Bini wohl vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erstreiten müssen. Ein achtköpfiges Anwaltsteam bereitet die Klage vor.

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