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Nach der Wahl in den NiederlandenDer Mann für die Mehrheiten

Wouter Koolmees sondiert für den progressiv-liberalen Wahlgewinner Rob Jetten die Koalitionsoptionen. Er begibt sich auf unübersichtliches Terrain.

Gilt als optimistischer Zeitgenosse: Wouter Koolmees bereitet die Regierungsbildung in den Niederlanden vor Foto: Patrick van Katwijk/BSR/getty images

Dass Rob Jetten von der progressiv-liberalen Partei D66 der künftige Premier der Niederlande wird, gilt als ausgemacht. Doch der Weg von einem überaus komplexen Wahlergebnis zu einem möglichst stabilen und breiten Regierungsbündnis, das ihm vorschwebt, führt über einen Parteikollegen: Wouter Koolmees. Der 48-Jährige wurde am Dienstag nach einem Treffen der Fraktionsvorsitzenden als „verkenner“ ernannt. Dieser „Sondierer“ erfüllt bei der Regierungsbildung eine Schlüsselfunktion: Er ist eine Art Kundschafter, der auf unübersichtlichem Terrain mögliche Koalitions-Formeln auslotet.

Koolmees' Ernennung wird von allen 15 Parlamentsfraktionen unterstützt. Mit deren Spitzen wird er sich in den nächsten Tagen intensiv austauschen, bis er am 11. November seine Ergebnisse präsentieren wird. Koolmees, ein studierter Ökonom und ehemaliger Beamter im Finanzministerium, ist seit 2022 Direktor der Bahngesellschaft Nederlandse Spoorwegen (NS). 2010 wurde er erstmals ins Parlament gewählt, wo er als Vize-Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der D66-Fraktion in Erscheinung trat.

2017 wurde Koolmees im dritten Kabinett Mark Ruttes Minister für Arbeit und Soziales. In dieser Periode vertrat er eine Parteikollegin zudem ein halbes Jahr lang als Vizepremier. Martin Bosma, der Parlamentsvorsitzende der rechtspopulistischen PVV rühmte Koolmees´ „enorme“ erfolgreiche Karriere. Neben dem nötigen Prestige bringt dieser weitere Qualitäten mit, die womöglich noch wichtiger sind: „Er ist im Stande, links und rechts zu verbinden“, charakterisiert ihn Jette, der genau diesen Balanceakt auch für sein „Kabinett der Mitte“ anstrebt.

Koolmees gilt als durchweg fröhlicher Zeitgenosse. „Wer ihn wütend macht, hat es wirklich sehr darauf angelegt“, beschrieb die Tageszeitung Volkskrant ihn einst. Auf dem Gebiet der Regierungsbildung hat er reichlich Erfahrung gesammelt: 2021 leitete er mit einem Vertreter der liberal-rechten VVD erfolgreich die Verhandlungen zum letzten Kabinett Ruttes. Die Koalitionsgespräche 2017 erlebte er wiederum aus der Perspektive einer beteiligten Partei: Koolmees war die rechte Hand des damaligen D66-Chefs Alexander Pechtold.

Koolmees´ Motto: Ich probiere immer zu schauen, wo die Überschneidung mit anderen ist, und ob man zusammenarbeiten kann.

Womöglich aber war die Vermittler-Rolle, die er 2022 auf kommunaler Ebene in seinem Wohnort Rotterdam hatte, Koolmees´ Meisterstück: Damals gelang es ihm, eine Koalition zwischen den liberalen Parteien D66 und VVD sowie der rechtspopulistischen Leefbaar Rotterdam und der vor allem von Mi­gran­t*in­nen gewählten Partei DENK zu schmieden, was zuvor als nahezu unmöglich galt. Ein Jahr zuvor verhalf er einer Rentenreform zur nötigen Zustimmung der Sozialpartner. Koolmees´ Motto: „Ich probiere immer zu schauen, wo die Überschneidung mit anderen ist, und ob man zusammenarbeiten kann.“

Damit ist er für seine neue Aufgabe äußerst prädestiniert, denn die progressive Zentrumspartei D66 erhielt ihren Stimmenzuwachs aus allen Ecken des Parteienspektrums. Der angehende Premier Jetten rief zudem noch in der Wahlnacht Po­li­ti­ke­r*in­nen und Wäh­le­r*in­nen anderer Parteien zur Zusammenarbeit auf. Was Koolmees nun konkret eruieren muss, ist, ob die rechnerisch mögliche, breite Mehrheit aus D66, dem christdemokratischen CDA, VVD sowie dem rot-grünen Linksbündnis entgegen der Signale vor den Wahlen inhaltlich doch noch möglich ist. Andere Optionen wiederum werden ein arithmetisch komplexes Puzzle. Vor Koolmees liegt damit eine arbeitsame Woche.

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2 Kommentare

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  • Mal schauen, ob es Koolmees als „verkenner“ (ich liebe die niederländische Sprache) gelingt, in so kurzer Zeit eine stabile Koalition hinzubekommen. Eine Dreierkonstellation aus D66, CDA mit GroenLinks/PvdA oder VVD ergäbe nämlich auch nur eine Minderheitsregierung.



    Da werden die Rechtsliberalen wohl über ihren Schatten springen müssen, denn bisher hatten die eine Zusammenarbeit mit den Grünlinken ausgeschlossen.



    Es geht ja auch darum, Wilders rechtsextreme und islamophobe One-Man-Show PVV nachhaltig von der Macht fernzuhalten. Dafür sind stabile politische Verhältnisse notwendig.



    Aber die pragmatischen Niederländer schaffen das schon.

  • Die Niederlande sind schon länger an Mehrparteienkoalitionen gewöhnt: keine Fünfprozenthürde, viele Parteien entlang der alten "Säulen" oder auch anderer Bruchstellen.



    Das alte bundesdeutsche System ist übersichtlicher und schlagkräftiger, das niederländische bindet mehr ein.



    Die Rechtsliberalen oder gar die Hartrechten von JA passen nicht so ganz in die Koalition, doch letztlich zählt eine rechnerische Mehrheit, wenn es Stabilität und keine Minderheitsregierung sein soll, die ja dennoch Mehrheiten nötig hätte für Parlamentsbeschlüsse.