Nach erfolgreicher NRW-Wahl: Die neue, alte FDP

Christian Lindner hat die FDP zwar modernisiert, so konnte sie ins rot-grüne Milieu einbrechen. Der ranzige Liberalismus ist dennoch geblieben.

Christian Lindner steht auf der Bühne und gestikuliert wie ein Prediger Gestik

Der Parteichef Lindner atmet den Zeitgeist: cool, hart arbeitend, smart aussehend und mit Durchsetzungskraft Foto: dpa

DÜSSELDORF taz | Erinnern Sie sich noch an Rainer Brüderle? Vor der Bundestagswahl 2013 geriet der damalige Spitzenkandidat der FDP in die Schlagzeilen, weil er an der Bar des Stuttgarter Maritim den Busen einer Journalistin zum Thema machte („Sie können ein Dirndl ausfüllen“).

Seitdem hat der heutige Spitzenkandidat Christian Lindner die FDP gründlich modernisiert. Auch in einer „Westpol“-Sendung des WDR ließ sich das besichtigen: Lindner geht mit einem Moderator Currywurst essen. „Ich esse gerne scharf“, sagt er. Dann geht er den WDR-Moderator an: „Sie sind doch ein erwachsener Mann! Dass Sie etwas Mildes nehmen. Trinken Sie auch Kräutertee und so was?“

Das war auch, aber nicht nur ironisch gemeint. Lindner demonstriert die neue Männlichkeitskonstruktion der FDP: Die Altherrenwitze sind weg, der Trend geht zum männlichen Mann, der Härte nach außen demonstriert. Und sei es durch scharfe Soße.

Lindner übernahm die FDP 2013 nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl, zusammen mit seinem Kieler Vize Wolfgang Kubicki. Der Parteichef atmet den Zeitgeist: cool, hart arbeitend, smart aussehend, mit Durchsetzungskraft, einem Wiederaufstehen nach Niederlagen und einer großen Autonomie, die er auch seiner Partei verordnet. Weshalb er die FDP als eigenständig preist und nicht als Notnagel der Union zur Koalitionsbildung dienen will. Lindner ähnelt eher einem Start-up-Unternehmer als einem Zahnarzt. Die neue FDP ist bis in die Milieus von Berlin-Mitte anschlussfähig. Deshalb stellt sie Digitalisierung und Bildung statt Steuersenkungen in den Mittelpunkt ihres Programms. Die Bildungsstandards sollen in den Bundesländern angeglichen, die Bildungsausgaben deutlich erhöht und die Schulen digital aufgerüstet werden.

Die alte Steuersenkungs-FDP

Gleichzeitig will die FDP für mehr Start-ups sorgen: „Wir wollen eine Kultur des Gründergeistes und der Risikobereitschaft fördern“, heißt es dazu im Parteiprogramm. Deshalb wollen die Liberalen „die steuerlichen Bedingungen für Wagniskapital verbessern“, sprich: die Besteuerung reduzieren – und Airbnb und Uber das Geschäft erleichtern.

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Die Linksliberalen bindet Lindner im Parteiprogramm mit einem Bekenntnis zur doppelten Staatsbürgerschaft und einem Einwanderungsgesetz ein. Die Vorratsdatenspeicherung lehnt die FDP immer noch ab. Die alte Steuersenkungs-FDP taucht weiter hinten auf: mit der Forderung nach einem Ende des Solidaritätszuschlages, gegen die kalte Progression und für einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer, um Wohneigentum zu fördern.

Mit diesem Profil konnte die FDP in NRW ins rot-grüne Milieu einbrechen: 160.000 Stimmen wanderten bei der Wahl laut Infratest Dimap von der SPD zur FDP, 30.000 von den Grünen. Die FDP wirkt moderner und weniger unsozial, gleichzeitig sind die Milieuschranken nicht mehr so geschlossen wie früher. Das hat die FDP bundesweit wieder auf Erfolgskurs gebracht: In NRW, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen, Hamburg und sogar im linken Berlin zog die FDP wieder in die Landtage ein. Nur im Osten blieb sie schwach.

Wieder Studiengebühren?

Aber Image ist nicht alles. In Nordrhein-Westfalen dürfte spannend werden, ob die FDP in Koalitionsverhandlungen wieder Studiengebühren durchsetzen kann. „Nach dem erfolgreichen Studium entrichten die Absolventinnen und Absolventen eine zu vereinbarende Erfolgsprämie an die Hochschule“, heißt es dazu im Landeswahlprogramm. Bis zu 500 Euro pro Semester könnten fällig werden. Die FDP will zudem die Mietpreisbremse in NRW außer Kraft setzen, außerdem das Tariftreuegesetz, das die Vergabe von Landesaufträgen an tarifvertragliche Standards bindet.

Das riecht nach alter, kalter FDP. Aber präsentiert wird es nicht mehr von jemand, der an den Bars etwas abgeranzter Hotels noch ranzigere Sprüche von sich gibt. Sondern von Christian Lindner, den man ab Herbst wohl öfters in den Bars des hippen Berlins sehen kann. Und der an den Currywurstbuden der Hauptstadt seine Männlichkeit unter Beweis stellen wird.

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