Nachhaltigkeitsforscher über Konsum: „Es geht nicht nur ums Carsharing“

Teilen und Tauschen liegen im Trend. Warum eigentlich? Weil der Kopf frei geworden ist, sagt Nachhaltigkeitsforscher Harald Heinrichs.

„Postmaterialistische Werte werden seit den 70er Jahren beobachtet.“ Bild: dpa

taz: Herr Heinrichs, das Teilen und Tauschen gewinnt an Popularität. Ist das Ende der Wegwerfgesellschaft in Sicht?

Harald Heinrichs: Leider noch nicht.

Warum nicht?

Der Trend geht tatsächlich dahin, dass es neben dem individuellen Konsum und Besitzen auch noch andere Formen des Besitzens und Nutzens gibt. Das Internet begünstigt das natürlich. Aber wir stehen nicht vor einer Revolution, nach der die Menschen nur noch teilen und tauschen und nichts mehr besitzen.

Wird Konsum durch die neuen Formen denn nachhaltiger?

Wenn sich beispielsweise mittels Nachbarschaftsauto fünf oder sechs Haushalte ein Fahrzeug teilen, dann hat das natürlich positive Auswirkungen auf die Umwelt, weil weniger Ressourcen verbraucht werden. Wie groß die aber sind – dazu gibt es keine Daten. Die Vermutung ist, dass es einen positiven Effekt gibt.

Können nicht auch neue Konsumbedürfnisse entstehen?

Auch das weiß man noch nicht genau. Es ist plausibel, dass Ressourcen eingespart werden können, siehe Carsharing. Doch es ist auch denkbar, dass es Verdrängungseffekte gibt. Ein potenzieller Verdrängungseffekt wäre, dass ich das Geld aus der eingesparten Bohrmaschine in einen Flug nach Mallorca investiere. In dem Moment wäre natürlich durch den Substitutionseffekt für die Umwelt nichts gewonnen.

In der Studie „Deutschland teilt“, an der Sie mitgewirkt haben, ist viel von postmaterialistischen Werten die Rede, als Voraussetzung für die neuen Formen des Konsums. Ist dieser Wertewandel neu?

Postmaterialistische Werte werden seit den 70er Jahren beobachtet. Neu ist, dass diese Werte in die Mitte der Gesellschaft einsickern und in verschiedensten sozialen Gruppen vorkommen.

Wie kommt es dazu?

Unter anderem durch ein langfristig gestiegenes Bildungs- und Einkommensniveau. In dem Moment, in dem Menschen ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigt haben, wird der Kopf frei, sich über anderes Gedanken zu machen, wie Umweltschutz oder ein sinnerfülltes Leben.

Die Voraussetzung ist also ein gewisser Lebensstandard?

Davon geht man aus, zumindest in den industrialisierten Ländern. Es gibt aber auch Gegenthesen aus anderen Kulturkreisen, die darauf hinweisen, dass auch ärmere Menschen durchaus postmaterialistische Wertvorstellungen haben können.

Angenommen, die Effekte sind tatsächlich positiv – wie ließe sich der Trend zum gemeinschaftlichen Konsum fördern?

Da müsste sich zunächst einiges ändern. Unser komplettes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist auf Eigentumsökonomie und individuellen Konsum ausgerichtet. So gibt es etwa viele steuer-, finanz- und vertragsrechtlichen Fragen, die ungeklärt sind.

Wie die Frage, wer zahlt, wenn es einen Unfall mit der geliehenen Bohrmaschine gibt?

Zum Beispiel. Es geht eben um viel mehr als hier mal Carsharing und da einen Tauschring. Da finde ich es erstaunlich, dass sich die politischen Akteure, von denen man es erwarten könnte, da nicht stärker engagieren.

Können Sie das erklären?

Es könnte an der Wachstumsfrage liegen, die natürlich unbequemen ist. Zwar gibt es noch keine ausführlichen Studien zur volkswirtschaftlichen Bilanz von Postkonsumismus. Doch wenn viel geteilt und weniger konsumiert wird, beinflusst das natürlich die Ökonomie – und wirkt materiellem Wachstum entgegen. Und das will anscheinend keine Partei offensiv angehen.

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