Nachrichten von 1914 – 24. Juli: Lokalisierung des Konfliktes

Österreich hat sich zu einem energischen Schritt entschieden. Kann man den aufziehenden Krieg auf den Balkan beschränken?

Österreich-ungarische Mobilmachung im Juli 2014. Bild: gemeinfrei

(Telegramm unseres Korrespondenten.)

24. Juli.

Das lebhafte Gefühl, das heute die Bevölkerung erfüllt, ist das der Befriedigung darüber, dass die Spannung, in der man sich in der letzten Zeit befunden hat, nun endlich ihr Ende nimmt und die Monarchie sich zu einem energischen Schritt entschlossen hat. Überall herrscht die ruhige und ernste Stimmung des entschlossenen Zielbewusstseins. „Wenn Serbien die österreichische Note nicht binnen 48 Stunden beantwortet“, sagt die Neue Freie Presse, „dann wird Österreich die notwendigen Folgen ziehen.

Das Deutsche Reich steht als Verbündeter mit Herz und Hand vollständig auf unserer Seite. Deutschland wird sich bemühen, alle Mächte davon zu überzeugen, dass jede Einmischung dem allgemeinen Frieden gefährlich sein könnte. Die Lokalisierung des Streites ist nach deutscher Auffassung schon deshalb geboten, weil es sich keineswegs um eine Eroberung oder um einen Machtzuwachs der Monarchie, sondern um eine Maßregel handelt, deren Ursprung von dem Attentat in Sarajewo abgeleitet werden muss, obgleich die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien schon früher nahezu unerträglich waren.

Aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

Italien wird, wie es auch in der Annexionskrise und in der Balkankrise getan hat, seiner Bundespflicht gerecht werden und keinen Zweifel daran aufkommen lassen wollen. England wird mit Nachdruck in Belgrad für die österreichisch-ungarische Note eintreten. Frankreich, das sich im Großen und Ganzen im Fahrwasser des russischen Verbündeten bewegt, hegt im Inneren den aufrichtigen Wunsch der Erhaltung des allgemeinen Friedens und wird den Serben zum Frieden raten.

Es wird für die Lokalisierung des etwaigen Krieges sein und daher alles tun, um in Petersburg und Belgrad müßigend einzuwirken. Russland wird bei der Friedensliebe des Zaren und da wir in der Hauptsache nur verlangen, in Ruhe gelassen zu werden, sich ebenfalls bemühen, das serbische Kabinett zum Einlenken zu bewegen. Rumänien hat sich für den Bukarester Vertrag nachdrücklich eingesetzt, und die Monarchie hat kein Verlangen, ihn zu ändern. „Wir bringen unseren Streit vor die zivilisierten Völker und sagen ihnen, Österreich-Ungarn will keine Eroberungen, keinen Machtzuwachs, keine andere Verteilung von Land und Leuten auf dem Balkan.

Es will sich jedoch vor der Wiederholung von Kränkungen schützen, die es mit namenloser Geduld ertragen hat. Die Verschleppung des gegenwärtigen Zustandes ist unmöglich geworden und, wie jede Großmacht, wird auch die Monarchie sich das Recht nicht nehmen lassen, darauf zu bestehen, dass Serbien seine Handlungen verantworte, Ausflüchte sind unmöglich geworden; Kniffe wie die Erklärung, dass der Beamte der serbischen Staatsbahnen Milan Cigonowitsch, einer der unzweifelhaften Helfer des Mordes, nirgends zu finden sei, alles das ist vorüber. Die Monarchie wird nach 48 Stunden entweder zu friedlichem Einvernehmen mit Serbien kommen oder das Schwert aus der Scheide ziehen. Bis zum letzten Augenblick wollen wir an der Hoffnung festhalten, dass in Belgrad die Einsicht stärker sein werde als die Leidenschaft.“

Das „Neue Wiener Tageblatt“ sagt: „Es ist seit wenigen Jahren zum dritten Mal, dass wir genötigt sind, an Serbien eine befristete Note zu richten. Immer wieder wird das Erwerbsleben gestört, bröckeln die Werte ab, gerät der Arbeiter in Befürchtung, ob er in den nächsten Tagen noch sein Brot finden werde, muss der Reservist gewärtig sein, aus der Werkstatt und der Familie abgerufen zu werden. Ein solches Verhältnis ist unhaltbar. Da wir entschlossen sind, und dauernden Frieden zu sichern, werden wir Serbien, wenn nötig, mit Zwang dahinbringen auf seinen krankhaften Imperialismus zu verzichten.“

Das „Neue Wiener Journal“ führt aus: Die in Belgrad überreichte Note sei der Ausdruck des Empfindens der Bevölkerung der ganzen Monarchie. Serbien solle nicht gedemütigt, sondern gezwungen werden, seiner Mordpolitik zu entsagen. Das „Fremdenblatt“ schreibt in einem offenbar inspirierten Artikel unter anderem: „Die österreichischen Forderungen sind das Werk einer langen sorgfältigen Erwägung und gehen über das unbedingt Nötige nicht hinaus. So wie sie sind, müssen wir auf ihnen bestehen; denn es handelt sich darum, Minengänge zu zerstören, die von Serbien aus bis in das Herz unserer südslawischen Gebiete gegraben werden. Serbien hat sich mit einem Netz von Gesellschaften bedeckt, die unter dem Vorwand kulturelle Ziele zu verfolgen, überall im Lande den Hass gegen und predigen.

Emissäre werden nach Bosnien, Herzegowina und Kroatien gesendet, um die Bevölkerung zum Abfall zu verleiten und ihr eine baldige Vereinigung mit dem Königreiche Serbien vorzuspiegeln. Die Folgen dieses Treibens haben sich schon mehrmals auch in unserem Wirtschaftsleben aufs tiefste fühlbar gemacht. Tausende von Existenzen sind durch die alarmierenden Krisen zugrunde gerichtet worden, welche die immer wiederkehrenden Vorstöße des Großserbientums herbeigeführt haben. Würden wir all dis hinnehmen, ohne zu gründlicher Abwehr einzuschreiten, so würden dieselben Agitatoren, die uns um rhetorischer Wirkung willen unaufhörlich des Missbrauchs der Gewalt anklagen, dies als Zeichen von Schwäche, Willenlosigkeit und Ängstlichkeit auslegen. Sie würden verkünden, dass wir uns nicht zu verteidigen wagen und würden dadurch neuen Anhang gewinnen und sich zu verdoppelten Angriffen ermutigt fühlen. Indem wir unseren Willen geltend machen, bringen wir das serbische Volk selbst zur Erkenntnis.

Es wird sehen, dass man es getauscht hat, dass die großserbische Bewegung sich an einer ehernen Mauer bricht, dass die Monarchie entschlossen ist, sie unbedingt zurückzuweisen, das Gefühl, dass wir es mit einem unerträgliche gewordenen Zustand zu tun haben, dem ein Ende gemacht werden muss, ist in unserer Bevölkerung mächtig. Die Ungeduld und die Kritik sind begreiflich. Aber nicht im Zorn wollen die Regierung Österreich-Ungarns handeln, nicht ohne genaueste Prüfung alles Umstände, nicht ohne sich vollständig darüber klar zu werden, welche Forderungen erhoben werden müssten.

Kein Staat darf sein Ansehen, das Leben der höchstgestellten Personen, seine Ruhe und sein wirtschaftliches Gedeihen dem Fanatismus einer Bewegung ausliefern, die in letzter Linie darauf ausgeht, ihm Provinzen zu entreißen und mit allen Mitteln diesem Ziele zustrebt. Zur Erfüllung unserer Forderung ist Serbien eine kurze Frist gesetzt worden. Wir wollen die Krise, die auf unser wirtschaftliches Leben drückt und ganz Europa beunruhigt, nicht überflüssig verlängern. Wir wollen ein unhaltbares Verhältnis so schnell wie möglich regeln und die öffentliche Meinung Serbiens von unserer Entschlossenheit überzeugen und endlich zu einer Klärung gelangen.

Quelle: Berliner Tagblatt

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