Nachrichten von 1914 – 3. Juli: Deutsche und italienische Küche

Hierzulande tun viele der italienischen Küche unrecht, wenn sie sie mit Zwiebel- und Knoblauchgenuss gleichsetzen. Ein Kochbuch will das ändern.

Italienische Küche ist auch heute noch mehr als nur Zwiebeln und Knoblauch. Bild: getty

Unser römischer Mitarbeiter schreibt uns:

Das, was die Nationen oft noch mehr trennt als Sprache und kirchliches Bekenntnis ist die Küche. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte habe ich hier unzählige Deutsche aller Deutsch sprechenden Vaterländer kennen gelernt, die über Raffael und Michelangelo, über die Schönheit der Landschaft und über die Liebenswürdigkeit der italienischen Bevölkerung, ja selbst über die Notwendigkeit des Schmutzes als integrierenden Teils malerischer Straßenbilder, über die ewige Bläue des römischen Himmels und die ewige Nacht der Mädchenaugen im heißen Südland so ziemlich einer Meinung waren, aber sofort in die lebhaftesten Kontroverse geraten, wenn man über das Verhältnis der deutschen zur italienischen Küche zu sprechen begann.

Wer nur eine kurze Reise nach Italien macht, empfängt gewöhnlich ein paar Eindrücke, die alles beherrschen: fast alle Speisen, findet er, werden mit Zwiebel oder gar Knoblauch zubereitet, sogar die Salami, ja, im Osten des Landes selbst gewisse kuchenartige Gebäcke. Darin liegt nun freilich eine nicht geringe Übertreibung, und wenn auch in den unteren Schichten namentlich süditalienischer Arbeiter die Zwiebel an sich bereits roh und gekocht ein Nahrungsmittel bildet, so scheiden sich doch in den höheren Kreisen der Zwiebel und namentlich dem Knoblauch gegenüber die Geister sehr merkbar. Es fehlt auch nicht an Italienern, die dadurch, dass sie einen Abscheu vor der Zwiebel simulieren, beweisen wollen, dass sie viel in den nördlichen Kulturländern gereist sind.

Diese darf man natürlich nicht überraschen, wenn sie in einer einsamen Osteria der Zwiebelvertilgung huldigen. Man macht sich indes einen sehr verbesserungsbedürftigen Begriff von der italienischen Küche, wenn man sie mit dem Zwiebel- und Knoblauchbrandmal glaubt, abtun zu können. Die italienische Küche ist viel einfacher als die französische, übertrifft diese aber noch weit an Mannigfaltigkeit der Gerichte, wogegen sie die deutsche und noch mehr die deutschschweizerische an Wohlgeschmack übertrifft.

aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

Nur die Wiener Küche darf sich neben der italienischen noch sehen oder vielmehr schmecken lassen. Abgesehen von einzelnen lokalen und provinziellen Sondergerichten, die manchmal recht gut sind, gibt es eigentlich bei uns im Norden – vielleicht von Hamburg und dem Osten abgesehen – keine eigentliche Nationalküche. Namentlich in den Speisehäusern der großen Städte wird uns eine mehr oder minder fragwürdige Nachahmung der französischen Küche vorgesetzt, in bescheideneren Wirtschaften beschränkt man sich darauf, einen Gaul, zuweilen auch einen Ochsen, in einige wenige Teile zu zerlegen, die dann auf floßartig riesigen Tellern als Beefsteak aufgetischt werden.

Die Begleitspeisen bestehen regelmäßig aus einigen Kartoffeln, drei winzig kleinen Salatblättchen, die mit Salpetersäure angerichtet sind und auf deren obersten wie ein trauerndes Auge ein Tropfen Fischtran ruht, sowie viel, noch mehr Sauce, die in einer mittelgroßen Badewanne gereicht wird. In jeder besseren Wirtschaft pflegt man bei uns von einem einzigen Gericht satt zu werden, meist kann man damit sogar die ganze Familie sättigen, z.B. mit den bayrischen Kalbshaxen, die ein italienischer Freund von mir, als er sie zum ersten Male in München sah, für einen Mammutfund hielt. Wie der gesamte Humor Wilhelm Buschs, so enthält auch dessen Definition der Gans, dass sie ein merkwürdiger Vogel sei, für einen zu groß und für zweie zu klein, ein gutes Körnlein Wahrheit, Wahrheit ganz im Sinne dieser Betrachtungen.

Immerhin erklärt es sich wohl, wenn man bei uns im Norden bei einer größeren Mahlzeit gleich die halbe Zoologie verschluckt, dadurch, dass im nördlichen Klima der Hunger stärker entwickelt ist, auch mehr gearbeitet wird als im Süden. Tatsächlich sind die schaffensfrohen Renaissance-Italiener denn auch beträchtliche Schlemmer gewesen.

Ich habe das Gefühl, als ob sich der massenhafte Biergenuss nicht mit der Entwicklung seiner Geschmacksnerven vertrage. Oft habe ich beobachtet, wie Landsleute, die längere Zeit in italienischen Weingegenden leben, allmählich auf den Geschmack der italienischen Küche kommen und ihr ein gutes Andenken bewahren. Ja, nicht selten lassen sich Damen die Art der Zubereitung gewisser Gerichte angeben, um sie dem heimischen Küchenzettel einzuordnen. Das gilt beispielsweise von den Nudeln, die man allenfalls noch in Österreich, nicht aber in der Schweiz – trotz Nachbarschaft Italiens – zuzubereiten versteht und selbstverständlich ebenso wenig in Deutschland.

Was man dort Maccaroni nennt, ist eher Fensterkitt. Dazu kommt, dass man, wenigstens in der deutschen Schweiz, Nudeln gleichzeitig mit Gemüsen, sogar mit grünem Salat auftischt! Wenn man nun von italienischer Küche spricht, so muss berücksichtigt werden, dass diese zahlreiche Abweichungen von Gegend zu Gegend aufweist und dass nur die allgemeinen Züge der Feinheit und Einfachheit allen Abarten der italienischen Küche gemeinsam sind. Sie entsprechen der Feinnervigkeit des Geschmacks selbst in den unteren italienischen Volkssichten, die sich darin bekundet, dass man, wenn irgend möglich, mehrere Gerichte verspeist, dass man die Salate selber zubereitet, dass man unnachsichtlich Speisen zurückweist, die nicht vollkommen frisch und gut sind.

Dies kommt natürlich nicht oft vor, aber wenn es sich ereignet, entsteht keinerlei Erörterung zwischen Wirt und Gast. Auch in den einfachsten Osterien bietet die tägliche Speisekarte eine oft erstaunliche Abwechslung, von der auch der Fremde, der lange in Italien lebt, sich nicht gewöhnen kann. Schmackhaftigkeit und Leichtigkeit der Zubereitung empfehlen allen denen, die sie einmal kennengelernt haben, die italienische Küche, und so dürfte es denn für die vielen, die in längerem Aufenthalt die italienische Küche wirklich kennen und schätzen gelernt haben, keine willkommenere Gabe als ein deutschabgefasstes italienisches Kochbuch geben. Ein solches ist soeben im Verlage von D. Dittmann in Rom erschienen. Es führt den Titel: „Cosi si mangia in Italia. Italienische Küche.“

Die Verfasserin ist Frau Maria Leont, Tochter einer deutschen Mutter und Gattin eines deutschen Mannes. Mit italienischem Küchenverständnis kommt sie ihren Freundinnen entgegen, die ihr für ihre Dienste gewiss viel Dank wissen werden. An der Hand des nicht umfangreichen Büchleins, das gebunden nur 3,50 Lire kostet, werden unsere Hausfrauen imstande sein, die Erinnerung an manches Gericht, das sie auf einer Italienreise genossen, zu beleben und auch die, welche Italien nicht kennen, werden wenigstens lernen, Maccaroni, Polenta, Süßigkeiten auf italienische Art richtig zuzubereiten, sowie zu erproben, was alles man nicht aus Eiern, Reis, Leber, Fischen und anderen Seetieren herstellen kann. Obwohl das Büchlein natürlich nur eine Auswahl hauptsächlich aus der römischen Küche enthält, findet man darin doch beispielsweise für die Zubereitung des Stockfischs nicht weniger als sieben Rezepte!

Wird sich erst einmal das Verständnis für die italienische Küche bei uns in weiteren Kreisen Bahn brechen, so dürfte das zur Folge haben, dass man hier nicht nur über Raffael und Michelangelo, über das blaue Auge des Himmels und das dunkle der römischen Schönen, sondern auch über die italienische Küche einig sein wird, eine Errungenschaft, die man als einen Beitrag der Frauen Italiens, Deutschlands und Österreichs zur volkstümlichen Vertiefung des Dreibundes wird bezeichnen dürfen.

Quelle: Kurzzeitung

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