Nachruf auf Chéri Chérin: Tod eines Unsterblichen
Der transmoderne Maler Chéri Chérin ist in Kinshasa mit 70 Jahren gestorben. Spielerisch trat er in Kontakt mit verdrängten malerischen Tradition des Kongo.
Der am Sonntag in Kinshasa gestorbene Maler Joseph Kinkonda war immer auch ein ziemlicher Scherzkeks. Das verrät schon sein Künstlername: Chéri Chérin nannte er sich seit den 1970ern, lange bevor er als einer der bedeutendsten Künstler der Demokratischen Republik Kongo galt, und das war kühn. Denn Chéri, klar, das heißt Liebling.
Chérin aber ist ein Akronym: Das C steht für créateur, also Schöpfer, H für hors série – außergewöhnlich –, dann kommen ein „E“ wie Expressionist, ein „R“ wie remarquable, bemerkenswert, und schließlich „IN“, das inégalable bedeuten soll – unerreichbar.
Mit solchen Überhöhungen spielt auch das Œuvre: So hat er 2019 ein großformatiges Selbstporträt geschaffen, das ihn aus vier Perspektiven in vier Lebensabschnitten zeigt, als jungen Beau, skeptischen Thirty-Something, als Bestager und als Alten Meister. Und wie nennt er diese virtuose Figurenfolge eigener Vergänglichkeit? „Der Unsterbliche“. Der Künstler sterbe nämlich nie, erklärt ein Schriftzug am Bildrand. „Il ne peut pas se taire“, er kann nicht schweigen.
Dieses ironisch ausgestellte Selbstbewusstsein formuliert ästhetisch einen Anspruch ans eigene Schaffen und politisch eine Kampfansage: Chérins Malen behauptet sich auch über den Tod hinaus gegen die Ignoranz der Kunstwelt des Westens. Es ist, ohne diese zu verklären, in Kontakt mit der von europäischen Besatzern verdrängten malerischen Tradition des Kongo getreten.
Nein, man wird sich nicht mehr kleinmachen lassen – und schon gar nicht im eigenen Land: Als Chéri Chérin 1955 geboren wird, besteht noch die belgische Schreckensherrschaft im Kongo. Seine Geburtsstadt heißt noch Léopoldville, nicht Kinshasa, und sie hat keine 300.000 Einwohner*innen. Heute sind es 15 Millionen.
Prozesse der Urbanisierung
Der explosive Urbanisierungsprozess samt seinen sozialen Verwerfungen durchpulst die Malerei Chérins, dessen Atelier im schlecht beleumundeten Quartier M’Ndjili lag. Emblematisch erscheint ein Gemälde von 2002, das im dekolonisierten Brüsseler Afrika-Museum hängt: Vor einer gelben Hütte hockend blutet ein Heiler konzentriert ein geköpftes Huhn aus.
Er therapiert von Aids über Zauberei und Diabetes bis Rheumatismus so ziemlich alle Übel. Die wartenden Patienten blicken skeptisch. Doch was hilft’s: Eine Mauer trennt den Hof des Medizinmanns vom strahlend weißen, geschlossenen Krankenhaus im Hintergrund. „Kampf ums Überleben“, heißt das Bild. Es haben bei dem nicht alle dieselben Chancen.
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