Nachruf auf Dichter Eugen Gomringer: die konzentration, die sparsamkeit und das schweigen
Sein Gedicht „avenidas“ an einer Hausfassade hatte 2017 für Diskussionen gesorgt. Nun ist Eugen Gomringer, der Begründer der konkreten Poesie, gestorben.
„unsere zeit spricht, wie jede zeit, ihre eigene sprache“, leitete Eugen Gomringer sein Manifest „vom vers zur konstellation“ ein. Und die Fünfziger sollten, so Gomringer schon damals in konsequenter Kleinschreibung, die Sprache der konkreten poesie sprechen. „der beitrag der dichtung wird sein die konzentration, die sparsamkeit und das schweigen“. Die Verknappung von Sprache, die Fixierung auf einzelne Worte, auf Buchstaben statt blumige Metaphern sollte die Literatur prägen.
Die gemeinsam mit Franz Mon, Gerhard Rühm und anderen entwickelte konkrete poesie setzte der Innerlichkeit der Lyrik ihrer Zeit, „der aufarbeitung des kriegserlebnisses“, „dem subjektiven schicksal“, eine Form entgegen, die bürgerliche Vorstellungen von Literatur in den Müll werfen sollte. Nicht zuletzt die Erfahrung des Nationalsozialismus hatte diesen jungen Dichtern ein Unbehagen an der lyrischen Sprache eingepflanzt. Und eine Skepsis gegenüber der Idee von nationalen Grenzen, in denen Literatur eingehegt wurde, sie sei vielmehr „inter- und übernational. ein englisches wort mag sich zu einem spanischen fügen“.
Ebenso international war auch der Hintergrund des Erfinders der konkreten poesie. Eugen Gomringer, der in fünf Sprachen Texte verfassen konnte, wurde im Januar 1925 in Bolivien als Kind eines Schweizers und einer Bolivianerin geboren. „ich sollte mein leben nicht im urwald verbringen“, führt er in einem biografischen Text aus, „mein vater war für eine erziehung in der schweiz.“ Und so besuchte Eugen Gomringer eine Schule in Zürich und studierte von 1944 bis 1952 Nationalökonomie und Kunstgeschichte.
Das Jahr 1953 wurde für die weitere künstlerische Laufbahn Gomringers zentral: Gemeinsam mit dem Grafiker Marcel Wyss und dem Künstler Dieter Roth gründete er die Künstlerzeitschrift „spirale“, die aktuelle Grafik, Fotografie und Poesie veröffentlichte und vor allem auch großzügig mit der Fläche arbeitete, die als ästhetisches Mittel einbezogen wurde, wie auch der im selben Jahr publizierte erste Gedichtband Gomringers, „konstellationen“.
Die Konstellation, erklärte Gomringer, „umfasst eine gruppe von wörtern. in ihr ist zwei, drei oder mehreren neben- oder untereinandergesetzten wörtern eine gedanklich-stoffliche beziehung gegeben. und das ist alles!“ Keine Subjektivität oder Tiefe sollen diese Gedichte bestimmten, sondern Rationalität und klare Formen – oder sogar eine Tendenz zum Verstummen, wie in Gomringers Gedicht „schweigen“ von 1953, das Schweigen nicht nur benennt, sondern als Leerstelle abbildet.
Ein Abenteurer auf dem Gebiet der Lyrik
Der Dichter gehöre „zu den abenteurern“ schrieb Gomringer einmal und dieses Abenteuer einer neuen Form von Lyrik führte er über Jahrzehnte hinweg in immer neuen Variationen fort. Daneben hat der Abenteurer im Laufe seines langen Lebens als Sekretär von Max Bill, Werbetexter, „propagandachef der schweizer schmirgel- und schleifindustrie“, Vortragsreisender, Berater der documenta, Dozent für Theorie der Ästhetik und Kurator gearbeitet, im Jahr 2000 das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie (IKKP) an seinem Wohnort, dem oberfränkischen Rehau, gegründet und zahlreiche Auszeichnungen für sein künstlerisches Werk erhalten.
Doch Abenteurer polarisieren auch, und während Hans Magnus Enzensberger 1960 im FAZ-Feuilleton gegen das „Geblök der Schafe im experimentellen Wolfspelz“ polemisierte und die Kritik an seinem Gedicht „avenidas“, das die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule schmückte, bei Gomringer Unverständnis hervorrief, nannte ihn Karl Riha den „Vater der deutschen Nachkriegsmoderne“. Am 21. August ist Eugen Gomringer im Alter von 100 Jahren verstorben.
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