Nachruf auf Peter Gente: Bälle in viele Richtungen spielen

Der Mitbegründer des Merve Verlags gab Foucault heraus und sorgte dafür, dass man Theorie las, wie man Platten hörte. Nun ist Peter Gente gestorben.

Peter Gente hat den Merve Verlag 1970 mitgegründet. Bild: imago/Christian Thiel

Peter Gente, der am Samstag im Alter von 77 Jahren im thailändischen Chiang Mai gestorben ist, hatte ein klares Verhältnis zum Tod. „Wenn es nicht mehr weitergeht, kann man auch gehen“, hat er einmal in eine Diskussion um den Tod hineingesagt.

Die Zukunft war für ihn kein persönlicher Denkgegenstand. „Schlau sein – dabei sein“ war der Titel einer 1980 im Merve Verlag, den Gente von 1976 an zusammen mit Heidi Paris als Mann-Frau-Betrieb führte, erschienenen Zeitschrift. Das Cover zeigte einen gerasterten Gesichtsausschnitt mit Nase und lachendem Mund. Gestaltet hatte es Martin Kippenberger, die Rasterpunkte waren mit der Hand gemalt. Drinnen gab es Texte von Jean Baudrillard, Brian Eno, Gilles Deleuze und Harald Szeeman, der darüber nachdachte, wie Kunstvermittlung wieder zum Abenteuer werden kann.

Man hat damit die Aktionsfelder – französische Theorie, experimentelle Musik und avancierte Kunst – zusammen, zwischen denen Heidi Paris und Peter Gente sich bewegten. Mit ihren Büchern, die immer die gleiche Raute auf dem Cover tragen, haben sie es geschafft, zwischen den Genres neue, unverhoffte Verbindungslinien zu ziehen. Es waren die Merve-Bände, die dazu führten, dass man in den 80er Jahren Theorie las, wie man Platten hörte, Meisterwerke des literarischen Denkens in kleinster Form wie „Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte“ und „Das Leben der infamen Menschen“ von Michel Foucault oder „Rhizom“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari. Wie weit die Strahlkraft dieser neuen Denkformen reichte, konnte man damals auch in der taz sehen: Deleuze und Foucault schrieben wie Friedrich Kittler in der taz.

Der selbst gestellte Auftrag der Merves war denkbar konventionell: Sie wollten Theorien und Begriffe produzieren, die neu sind. Und wie weit die dann tragen, das konnte man nur im täglichen Gebrauch von der Zeitungslektüre bis zum Gespräch im Nachtlokal erfahren. Der alte marxistische Widerspruch zwischen Theorie und Praxis wurde abgeschafft. Die Praxis bestand in der Produktion von Theorien und Begriffen auch am Tresen von Läden wie dem Dschungel oder dem Kumpelnest in Berlin.

„Zu viel Rückhand, zu wenig Aufschlag“

Und da war es dann auch, wo man in einer Nacht des Jahres 1991 in den Genuss der konzentriertesten Gedankenarbeit Peter Gentes kam. Es war gerade Slavoj Žiźeks „Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!“ erschienen und man hatte ihm begeistert von der Lektüre erzählt. Worauf Gente ein knarzendes Geräusch ausstieß, wie um Luft zu holen für einen etwa einstündigen Zerstörungsmonolog über ein Buch, das er gerade selbst verlegt hatte. Jahre später, es war 2012 zu Rainald Goetz’ Antrittsvorlesung an der FU in Berlin, darauf angesprochen, entgegnete er nur: Ökonomisch sei das ein Fehler gewesen, inhaltlich habe er dem nichts hinzuzufügen.

Žiźek war für ihn alte Ideologiekritik, mit einem Bild aus dem Tennis: zu viel Rückhand, zu wenig Aufschlag. Mit der Vorliebe für den Aufschlag haben es Heidi & Peter dann in den 90er Jahren noch einmal geschafft, die Bälle in die verschiedensten Felder der Bedeutung zu schlagen. Wo vorher Baudrillard und Blixa Bargeld waren, waren jetzt Westbam und Rainald Goetz. Nur hatten die Szenen ihre gemeinsamen Orte verloren. Die Merve-Texte wirkten jetzt in getrennten Sphären wie auf der Dokumenta X oder in der Technowelt. Da war es günstig, dass Heidi & Peter sich trennen konnten, um das doppelte Pensum zu erledigen.

Vor Erschöpfung schützte aber auch das nicht. Nachdem Heidi 2002 aus eigenem Entschluss aus dem Leben getreten war, zog Gente sich langsam aus dem Verlag zurück in ein Hotel in Thailand. Man kann sicher sein, dass er dort mit dem Nachhall eines seiner Lieblingssätze, um den er ein traumschönes Buch gebaut hat, abgegangen ist: Im Grunde ist alles Leben ein Prozess des Niedergangs.

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