Nachruf auf Wolfgang Leonhard: Renegat der Revolution

Er war Stalinist, Kommunist, Tito-Freund und Demokrat: Am Sonntag verstarb Historiker Wolfgang Leonhard im Alter von 93 Jahren

Wolfgang Leonhard (re.) im Jahr 2004 mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (li.) Bild: dpa

Eigentlich hieß er mit Vornamen Wladimir. Doch Walter Ulbricht missfiel der Name bei der Rückkehr aus dem sowjetischen Exil ins zerstörte Berlin. „Das mit dem Wladimir ist schlecht, hast du keinen deutschen Vornamen?“, fragte er Leonhard während des Fluges am 30. April 1945. Leonhard bot Wolfgang an. Ulbrichts Antwort: „Na gut, dann bist du eben Wolfgang“.

Die kleine Episode illustriert trefflich die damalige Taktik der orthodoxen Kommunisten nach der Niederschlagung des NS-Regimes. Die Gruppe Ulbricht hatte die Aufgabe, die sowjetische Besatzungszone zu sowjetisieren. Aber in der Öffentlichkeit verbreitete sie, man wolle mithilfe antifaschistischer Bündnisse die NS-Ideologie überwinden. Keinesfalls sollte der Eindruck erweckt werden, die Kommunisten strebten die Alleinherrschaft an. „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten“, brachte es Ulbricht auf den Punkt.

Wolfgang Leonhard zählte 1945 zu den wenigen ausgewählten Kadern, die diese Politik in die Praxis umsetzten. In Berlin überließen die KP-Leute scheinbar großzügig die Posten von Bezirksbürgermeistern der SPD. Die Gruppe Ulbricht zielte auf die Posten, die wirkliche Macht versprachen: Personalwesen und den Aufbau der Polizei.

Leonhard schien für diesen Job perfekt geeignet. Als Sohn der Kommunistin Susanne Leonhard – einer Freundin von Rosa Luxemburg – wurde der 1921 Geborene im Alter von zehn Jahren Mitglied der Jungen Pioniere, der Kinderorganisation der KPD. 1935 flüchteten Mutter und Sohn vor den Nazis nach Moskau. Dort wurde Susanne im folgenden Jahr in ein Gulag deportiert. Erst zwölf Jahre später sehen sich Mutter und Sohn wieder.

Wolfgang aber blieb, besuchte das „Kinderheim Nr. 6“ für Sprösslinge ausländischer Kommunisten und die Liebknecht-Schule, begann schließlich ein Studium in Moskau. Wurde Kommunist mit Leib und Seele.

Nach dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion evakuierten die Sowjets die Ausländer aus Moskau – Wolfgang Leonhard kam nach Kasachstan und erhielt eine Ausbildung zum Politkommissar. Er nannte sich nun „Wolfgang Linden“. Als Leonhard nach dem Krieg in Berlin eintraf, schien dem damals 24-Jährigen eine glänzende Parteikarriere sicher. Doch es kam ganz anders.

Erste Zweifel an der reinen Lehre hatten den jungen Mann schon in Kasachstan beschlichen. Bei einem Besuch in Titos Jugoslawien lernte er 1947 eine andere, scheinbar freiere Form des Sozialismus kennen. Als Stalin mit Tito brach, floh er 1949 nach Belgrad. 1950 ging er in die Bundesrepublik, engagierte sich in einer linken Splitterpartei, die bald zwischen ihrem Tito- und Trotzki-Flügel zerrissen wurde.

Bis dahin war Leonhard kein gänzlich Unbekannter gewesen, aber doch nur für Experten ein Name. Das änderte sich schlagartig 1955, als seine autobiografisch gefärbte Abrechnung „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ erschien. Das Buch wurde zum Bestseller. Die SED-Funktionäre schäumten über den Renegaten. Leonhard aber wurde zu dem, was man damals einen Kreml-Astrologen nannte: ein Mann, der gern in Funk und Fernsehen gesehen war, um die abgeschotteten politischen Prozesse in Moskau zu erklären.

Der ewig lernende Leonhard aber studierte zum zweiten Mal, ging als Professor nach Yale, schrieb weitere Bücher. Nach der Wiedervereinigung lehrte er in Erfurt und Chemnitz. „Die Reform entlässt ihre Väter“ über den Zusammenbruch der Sowjetunion erschien 1994.

Am Sonntag ist Wolfgang Leonard im Alter von 93 Jahren in Daun in der Eifel verstorben.

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