Nachruf auf die Autorin Verena Stefan: Das Privileg, selbstbestimmt zu leben

Verena Stefans Buch „Häutungen“ wurde zum Manifest der Frauenbewegung der siebziger Jahre. Jetzt ist sie im Alter von 70 Jahren gestorben.

Verena Stefan im Porträt

Rechnete in „Häutungen“ hart mit dem Patriarchat ab: Verena Stefan Foto: Monika Mengel

Es war ein Kultbuch für die aufbegehrenden Frauen der siebziger Jahre: „Häutungen“ – geschrieben von Verena Stefan. Jetzt ist die Autorin im Alter von 70 Jahren gestorben.

Geboren im schweizerischen Bern, ging Stefan 1967 nach Berlin. Dort wurde sie Physiotherapeutin, kam in Kontakt mit den 68ern, vor allem aber mit der aufkeimenden Frauenbewegung und ihrem Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218.

1975 veröffentlicht Stefan ihr Buch „Häutungen“. In diesem rechnet sie mit der Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft hart ab. Die Frau war für viele Männer nur Objekt sexueller Begierde, dank Pille und sexueller Revolution dann erst recht. „Häutungen“ wird ein Bestseller, erreicht eine Auflage von mehr als 300.000 Exemplaren. In den meisten Feuilletons indes wird das Buch als „Bekenntnisroman“ verrissen. Doch bis heute ist Stefans kritische Sprach- und Geschlechteranalyse Inhalt von Germanistikseminaren.

Nach „Häutungen“ verlegt sich Verena Stefan ganz aufs Schreiben. Sie lebt mit Frauen, zieht aufs Land, geht auf Reisen. 1987 erscheint „Wortgetreu ich träume“. Poetische Geschichten über das Leben mit der Partnerin in der Provinz. Rückblickend sagte sie: „Wir waren die erste Lesbengeneration, die das Privileg hatte, so selbstbestimmt zu leben, wie wir das wollten.“

1993 veröffentlicht Stefan „Es ist reich gewesen – vom Sterben meiner Mutter“. Sie fand heraus, dass auch die Mutter geschrieben hat. Nachts, immer mit dem Gefühl, etwas Nichterlaubtes zu tun: „Warum kritzle ich hier leere Seiten voll, anstatt brav hinter dem Bügelbrett zu stehen?“, stand in einer ihrer Kladden. 1999 übersiedelt Verena Stefan nach Kanada. Produktive Jahre folgen.

Fantastische Ballonfahrt

Auch während ihres 15 Jahre dauernden Kampfes gegen den Krebs. Bald nach ihrer Diagnose 2002 erscheint „Fremdschläfer“, ein Roman über das Fremdsein in einem fremden Land und über den Fremdkörper in ihrer Brust. 2011 bringt sie zudem ein Buch mit Interviews mit deutschen Holocaust-Überlebenden, die nach Kanada ausgewandert waren, heraus, unter dem Titel „Als sei ich von einem anderen Stern“.

Aufgewachsen ist Verena Stefan in Bern. Zeitweise lebt sie bei den Großeltern. Über ihren Großvater Julius Brunner, einen Landarzt, der wegen illegaler Abtreibungen denunziert wird, im Gefängnis und später in der Psychiatrie landet, schreibt sie ihren letzten, in Teilen autobiografischen Roman „Die Befragung der Zeit“. Enkelin Rosa, Verena Stefans Alter Ego, lauscht darin seinen Geschichten, mit denen er sich aus der bedrohlichen Wirklichkeit stiehlt. Dabei fahren sie in der Fantasie mit einem Ballon über das Land.

In der Nacht zum 30. November ist Verena Stefan in Montreal gestorben. Mit ihrem Tod scheint sich ein Kreis zu schließen. Denn heute stehen Frauen wieder vor dem Dilemma, nicht über ihren eigenen Körper bestimmen zu sollen, wie die Bekenntnisse unter dem Hashtag #MeToo, vor allem aber auch der Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel zeigen. Hänel wurde verurteilt, weil sie publik machte, dass sie Abtreibungen vornimmt.

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