Nachwahl in Großbritannien: Die Angst vor dem dritten Platz

Die Koalition aus Liberaldemokraten und Konservativen dürfte ihre erste Wahlniederlage einfahren. Und das, wo Liberalen-Chef Clegg sowieso unter Druck steht.

Weggucken ist wohl besser: Liberalen-Chef Nick Clegg muss sich und seine Partei auf eine Niederlage bei der Nachwahl einstellen. Bild: dapd

DUBLIN taz | Es ist der erste Test für die britische Koalitionsregierung aus Tories und Liberalen Demokraten seit ihrem Amtsantritt im Mai vorigen Jahres. Sie wird ihn nicht bestehen. Umfragen deuten auf einen deutlichen Labour-Sieg bei der heutigen Nachwahl im Wahlkreis Oldham East und Saddleworth im Großraum Manchester hin. Die Labour-Kandidatin Debbie Abrahams liegt 17 Prozent vor ihrem Rivalen Elwyn Watkins von den Liberalen.

Die Nachwahl ist notwendig geworden, nachdem ein Gericht auf Antrag der Liberalen beschloss, die Wahl vom Mai zu annullieren, weil der siegreiche Labour-Kandidat Phil Woolas gegen die Wahlkampfregeln verstoßen hatte. Woolas hatte unter anderem behauptet, der liberale Watkins umwerbe islamische Extremisten. Zudem manipulierte Woolas Fotos seines Kontrahenten, die diesen als Islamistenfreund zeigten.

Tatsächlich gewann Woola nach einem geradezu rassistischen Wahlkampf gegen Immigranten mit nur 103 Stimmen Vorsprung. Nach dem Sieg wurde Woolas sogar als Minister für Immigration in das Schattenkabinett von Labour-Chef Ed Miliband berufen. Nach dem Gerichtsurteil warf man Woolas allerdings aus der Partei.

Jetzt stehen die Liberalen allerdings selbst unter dem Verdacht, gegen die strikten Wahlkampfregeln verstoßen zu haben. Watkins Parteikollege Andrew Stunell, der Staatssekretär für sozialen Wohnungsbau, kam am Samstag zur Unterstützung im Wahlkampf nach Oldham und kündigte ein Programm in Höhe von 100 Millionen Pfund an, mit dessen Hilfe leerstehende Häuser wieder bezugsfertig werden sollen, darunter mehr als tausend in Oldham. Die Labour Party wirft Stunell vor, diese Zusage gemacht zu haben, ohne dass es dazu vorab einen Regierungsbeschluss gegeben habe.

Die Tories haben in Oldham East und Saddleworth mehr oder weniger auf einen Wahlkampf verzichtet. Zum einen sind sie in diesem Wahlkreis ohnehin chancenlos, zum anderen wollen sie ihrem Koalitionspartner einige Tory-Stimmen zuschanzen. Sollten die Liberalen auf den dritten Platz absacken, wäre das eine Katastrophe für den Liberalen-Chef und Vize-Premier Nick Clegg. Er steht wegen seiner Wende bei den Studiengebühren, seiner Unterstützung für das rigorose Sparpaket und die Erhöhung der Mehrwertsteuer ohnehin unter enormem Druck. In Oldham East und Saddleworth wollen laut Umfragen ein Drittel derjenigen, die im Mai noch liberal wählten, diesmal der Labour-Kandidatin ihre Stimme geben. Die anderen dürften gleich zu Hause bleiben.

Wenig hilfreich für die Liberalen war auch eine Studie der Organisation "Save the Children", die am Dienstag veröffentlicht wurde. Demnach führt die Regierungspolitik dazu, dass die untersten Einkommensschichten rund 1.300 Pfund mehr Kosten im Jahr haben als Besserverdienende. Das liegt daran, dass sie teure Vorauszahlungen für Strom, höhere Zinsen auf Kredite und höhere Versicherungsprämien zahlen müssen. Da viele über kein Girokonto verfügen, können sie keine kostengünstige Einzugsermächtigung erteilen.

Darüber hinaus leben ärmere Familien häufig in Gegenden mit höherer Verbrechensrate, was sich die Versicherungen mit durchschnittlich 48 Prozent teureren Autoversicherungen und 93 Prozent teureren Einbruchsversicherungen bezahlen lassen. Und weil die Banken nach dem Kreditdebakel eine besondere Vorsicht bei der Vergabe von Krediten an den Tag legen, sind die unteren Einkommensschichten auf Kredithaie angewiesen, die zwar auf eine Bonitätsprüfung verzichten, aber höhere Zinsen fordern.

Ein einfacher Herd, der bei Barzahlung gerade 239 Pfund (rund 260 Euro) kostet, kommt dann auf 669 Pfund, rechnet "Save the Children" vor. Martin Lewis, der die Zahlen für die Organisation zusammenstellte, sagte: "Es ist lächerlich, aber es ist wahr: Es ist teurer, arm zu sein." Aber die Armen wählen ja ohnehin weder Tories noch Liberale.

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