Nahost-Konflikt und Oslo-Abkommen: Gestern, heute, morgen

25 Jahre nach dem Oslo-Abkommen ist der Nahost-Friedensprozess politisch tot. Zeit für einen Rück- und Ausblick.

Arafat und Rabin schütteln sich die Hände, Bill Clinton breitet hinter ihnen die Arme aus.

Historischer Moment: Yitzhak Rabin, Bill Clinton und Yassir Arafat im Rosengarten des Weißen Hauses am 13. September 1993 Foto: Reuters

Wenn einem in diesen Wochen etwas politische Zuversicht fehlt, kann man sich ganz einfach eine Dosis holen, indem man bei YouTube die Worte „Oslo“ und „25 Jahre“ eingibt.

Dieses berühmte Bild: Wie Bill Clinton im Rosengarten des Weißen Hauses steht, seinen Stolz kaum hinter einem breiten Grinsen verbergen kann, wie Jassir Arafat dann seine Hand ausstreckt und Jitzhak Rabin einschlägt. Jubel.

Und dann stelle man sich dieses Bild und seine Beteiligten einmal in der Gegenwart vor: Donald Trump. Mahmud Abbas. Benjamin Netanjahu.

Oslo, das war für Palästinenser und Israelis ein Durchbruch: Zum ersten Mal erkannten sich die Konfliktparteien gegenseitig an. Die Palästinenser bekamen in einem Teil des Westjor­danlands politische Autonomie, aus diesen Gebieten zog sich das israelische Militär zurück. Die Palästinensische Autonomiebehörde wurde gegründet, aus ihr sollte in naher Zukunft ein palästinensischer Staat erwachsen. Das Ziel: zwei Staaten für zwei Völker.

Ein weltpolitisches Ereignis hat Jubiläum – und niemand feiert

Der Handschlag ist in dieser Woche genau 25 Jahre her. Und wenn so ein weltpolitisches Ereignis Jubiläum hat, aber niemand feiern will, lohnt sich ein genauer Blick.

Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem

Es mag Zufall sein, dass ausgerechnet zum Jahrestag des Oslo-Abkommens eine politische Entscheidung aus Washington nach der nächsten öffentlich wird, die den Friedensprozess angreift. Seit Donald Trump Präsident ist, hat er sich eindeutig auf israelischer Seite positioniert. Im Mai verlegte er die Botschaft der USA nach Jerusalem. Bis dahin war es unter westlichen Verbündeten ausgemachte Sache, das erst zu tun, wenn der Status der Stadt zwischen Israelis und Palästinensern geklärt ist.

In den letzten Wochen zog Donald Trump dann das Tempo an: Erst stoppte er die Zahlungen an die UNRWA, das Hilfswerk, das palästinensische Flüchtlinge versorgt. Kurz danach kürzte er die Finanzierung von Krankenhäusern in Ostjerusalem um 20 Millionen Dollar (warum palästinensische Krankenhäuser in Israels unteilbarer Hauptstadt von US-Geldern abhängig sind, ist eine andere Frage). Und in der vergangenen Woche überraschte die US-Regierung mit der Entscheidung, die Vertretung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Washington zu schließen. Begründet wurde das damit, dass die Palästinenser nicht zu Friedensverhandlungen bereit seien. Währenddessen setzt Israel den Siedlungsbau fort: Wenn das Beduinendorf Khan al-Ahmar am Rande Jerusalems wie beschlossen geräumt und dort Wohnungen gebaut werden, wäre der arabische Ostteil der Stadt vom Westjordanland vollständig abgeschnitten. Wie er dann noch Hauptstadt der Palästinenser werden soll, weiß niemand.

Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem. Es sind genau diese Fragen, die auch vor 25 Jahren im Oslo-Abkommen ausgeklammert wurden. Vielleicht war es schon damals utopisch, eine diplomatische Lösung für diese Streitpunkte zu erreichen. Vielleicht war es falsch, diese Kernfragen auszulagern und auf später zu verschieben – das sagte auch der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, in dieser Woche. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Jüdische Siedler stehen auf einem Dach und reißen das Gebäude ab

Jüdische Siedler in Kfar Tapuach müssen einzelne Gebäude nach einer Gerichtsentscheidung räumen. Laut internationalem Recht gilt die gesamte Siedlung als illegal Foto: Reuters

25 Jahre lang hat das Oslo-Abkommen den Rahmen gebildet, in dem sich israelische und palästinensische Politiker und internationale Diplomaten bewegten. Rechtlich besteht das Oslo-Abkommen weiter, politisch ist es tot. Das eröffnet den Raum für etwas Neues.

Denn Beobachter der Situation sagen auch: Trump hat in den letzten Wochen alle Druckmittel, die er gegenüber den Palästinensern hatte, ausgeschöpft. Die Sicherheitskooperation mit der Palästinensischen Autonomiebehörde dagegen wird fortgesetzt. Dafür tauschen die palästinensischen Sicherheitskräfte und das israelische Militär geheimdienstliche Informationen aus. 60 Millionen US-Dollar ist die Kooperation den USA wert. Sie ist der Grund, warum die Hamas im Westjordanland nicht Fuß fassen kann, und dass es in Israel heute kaum noch Selbstmordanschläge gibt. Sie zu kündigen wäre nicht im Interesse von Trump und Israel.

Auch wenn israelische Hardliner Trump nun Beifall klatschen: Israel braucht das Oslo-Abkommen dringender als die Palästinenser. Die Israelische Armee befürchtet, dass die Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern durch den Zahlungsstopp nicht mehr kontrollierbar sei. Und langfristig ist es der Welt nicht vermittelbar, dass Millionen Palästinenser unter israelischer Kontrolle leben, ohne Wahlrecht, ohne Perspektive auf einen eigenen Staat.

Für die Palästinenser sind das gute Nachrichten. Auf die Unterstützung der Amerikaner und Europäer müssen sie keine Rücksicht mehr nehmen. Sie könnten den Schlüssel für die Palästinensische Autonomiebehörde bei den Israelis abgeben: Macht damit, was ihr wollt. Israel­ wäre wieder für die unter Besatzung lebenden Palästinenser verantwortlich, politisch und ökonomisch.

Ein Staat oder permanente Besatzung

Es gibt, wenn die Zweistaatenlösung Geschichte ist, nur eine Alternative: Einen Staat in Israel und Palästina, in dem alle Bewohner die gleichen demokratischen Rechte haben. Noch ist das für beide Seite unrealistisch und geht gegen das Selbstverständnis der Israelis und Palästinenser. Aber die Alternative ist schlechter, sie heißt permanente Besatzung.

Es gibt erste Anzeichen, dass aus der Utopie irgendwann Realität werden könnte. Israels Präsident Reuven Rivlin hat sich schon im Februar 2017 für eine Einstaatenlösung ausgesprochen. „Die Ausweitung unserer Souveränität auf ein gewisses Gebiet gibt all denen, die dort leben, volle Staatsbürgerrechte. Es gibt keine unterschiedlichen Gesetze für Israelis und Nicht-Israelis.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Vor der Euphorie aber noch ein bisschen Ernüchterung: Die Gesellschaften in Israel und Palästina haben sich auf eine Weise entwickelt, die eine baldige Lösung schwer machen.

Die Palästinenser waren Anfang der Neunziger das progressivste arabische Volk. Nirgendwo sonst hatte ein so großer Anteil der Bevölkerung studiert, die palästinensische Frauenbewegung war stark, die Nationalbewegung sozialistisch orientiert. In der ersten Intifada, die 1987 begann und mit dem Oslo-Abkommen endete, kamen viele Männer ins Gefängnis. Seither waren palästinensische Frauen es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es gab eine Massenbewegung auf der Straße, Hunderttausende kamen zu Demonstrationen, Generalstreiks brachten die israelische Wirtschaft in Nöte.

Seitdem ist die palästinensische Gesellschaft konservativer und islamischer geworden. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die PLO sind korrupt und werden von greisen Männern geführt. Wahlen gab es seit mehr als zehn Jahren nicht. Die Wirtschaft ist abhängig von den Zahlungen aus Europa und den USA. Das Oslo-Abkommen hat eine palästinensische Elite geschaffen, die aller Verbalradikalität zum Trotz von der Besatzung profitiert. Die Zivilbevölkerung ist so abhängig vom Geld, das die PA zu verteilen hat, dass niemand einen Aufstand gegen sie wagt. In Gaza steigt die Sui­zidrate. Eine politische Bewegung, die gegen die Besatzung, aber auch gegen die eigene Elite kämpft, ist nicht in Sicht.

Auch in Israel hat sich in den letzten 25 Jahren beinahe alles verändert: Vor Oslo gab es eine laute Friedensbewegung, die Arbeitspartei war stark, die Siedlerbewegung klein.

„This is not who we are“

Seitdem ist die israelische Gesellschaft nach rechts gerückt. Minister leben in Siedlungen, Vertreter der radikalen Siedlerbewegung beraten die Regierung. Die Arbeitspartei gibt es faktisch nicht mehr. Und über die in diesem Sommer erlassenen Gesetze, die Homosexuelle und arabische Israelis diskriminieren, schrieb Ronald S. Lauder, Präsident des jüdischen Weltkongresses, in der New York Times: „This is not who we are.“

Die für alle Seiten schmerzhafte Lösung wäre, anzuerkennen, dass es zwischen Mittelmeer und Jordan keine zwei Staaten geben wird. Israelis und Palästinenser leben durch die Siedlungsbewegung so gemischt in beiden Landesteilen, dass man nicht ernsthaft eine Grenze ziehen kann.

Es gibt noch einen Faktor, der die Lage in Israel und Palästina prägen wird. Es ist die Demografie. In vierzig Jahren, für den Nahostkonflikt ist das eine überschaubare Zeit, könnte die Mehrheit der Bevölkerung in Israel nicht mehr zionistisch sein. Dann bilden laut Israelischer Statistikbehörde Ultraorthodoxe und Araber die Mehrheit im Land. Schon heute leben unter israelischer Herrschaft, also in Israel und den besetzten Gebieten, ebenso viele Araber wie jüdische Israelis.

Was bedeutet das für Israel? Es muss einen Weg finden, die Araber so in den Staat zu integrieren, dass sie sich selbst als einen Teil dessen verstehen. Es muss ein Staatsverständnis entwickeln, das über den Zionismus hinaus weist.

Auch wenn das utopisch ist und im Moment alles dagegen zu sprechen scheint: Es wäre heute realistischer als das Oslo-Abkommen. Und wer von den Beteiligten hätte 1988 während der ersten Intifada gedacht, dass man sich wenig später im Rosengarten des Weißen Hauses die Hände schütteln würde.

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