+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Hungersnot in einem Gebiet des nördlichen Gazastreifens
Die zuständige IPC-Initiative sieht eine Hungersnot in einem nördlichen Teil des Gazastreifens. Israel bereitet Einnahme von Gaza-Stadt weiter vor.

Hungersnot in einem Gebiet des Gazastreifens erklärt
Hilfsorganisationen berichten seit langem, dass Hunderttausende im Gazastreifen nicht genug Nahrung haben. Jetzt hat sich die Lage weiter zugespitzt. In einem nördlichen Bereich des Gazastreifens ist eine Hungersnot erklärt worden. Die dafür notwendigen Kriterien seien erfüllt, teilte die zuständige IPC-Initiative (Integrated Food Security Phase Classification) mit.
Die Hungersnot betrifft den Regierungsbezirk Gaza, in dem auch die Stadt Gaza liegt. Das Leben von 132.000 Kindern unter fünf Jahren sei wegen Unterernährung bedroht, teilte die Initiative mit. 41.000 davon würden als besonders bedrohliche Fälle betrachtet, doppelt so viele wie bei der vorherigen Einschätzung im Mai. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es das erste Mal, dass in einem Land des Nahen Ostens eine Hungersnot ausgerufen wird.
„Ein sofortiger Waffenstillstand und die Beendigung des Konflikts sind von entscheidender Bedeutung, um eine ungehinderte, großangelegte humanitäre Hilfe zur Rettung von Menschenleben zu ermöglichen“, teilte die Initiative mit.
Das israelische Außenministerium erklärte nach der IPC-Veröffentlichung mit: „Es gibt keine Hungersnot in Gaza.“
Für die Einstufung als Hungersnot oder humanitäre Katastrophe müssen mindestens 20 Prozent der Haushalte mit einem völligen Mangel an Nahrungsmitteln konfrontiert sein. Akute Unterernährung muss weiter über 30 Prozent der Bevölkerung betreffen. Auch die Sterblichkeitsrate muss mit zwei Todesfällen pro 10.000 Menschen täglich hinreichend hoch sein. Alle drei treffen zu, wie Jean-Martin Bauer vom Welternährungsprogramm (WFP) in einem Briefing für Journalisten in Genf sagte. In den vergangenen 15 Jahren wurden nach IPC-Angaben vier Hungersnöte erklärt: 2011 in Somalia, 2017 und 2020 im Südsudan und zuletzt 2024 im Sudan.
Die IPC-Initiative wurde 2004 gegründet. Mitglieder sind knapp zwei Dutzend Organisationen der Vereinten Nationen, sowie Hilfsorganisationen. Sie ist für die Einschätzung von Hungerlagen in aller Welt zuständig. In der IPC-Skala gibt es fünf Stufen der Ernährungslage in einem Land oder einer Region. Die allerhöchste – und schlimmste – ist Stufe fünf: „Katastrophe/Hungersnot“. Darunter spricht man von Hungerkrisen. Bislang galt für den gesamten Gazastreifen die Stufe vier („Emergency/Notfall“). (dpa/taz)
Katz droht mit Zerstörung Gazas
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hat der militant-islamistischen Hamas mit der Zerstörung der Stadt Gaza gedroht. Die größte Stadt des Gazastreifens könnte „zu Rafah und Beit Hanun“ werden, sagte Katz am Freitag unter Verweis auf Gebiete, die früh im Gaza-Krieg in Schutt und Asche verwandelt wurden. „Die Pforten zur Hölle werden sich bald über den Köpfen der Hamas-Mörder und Vergewaltiger in Gaza öffnen – bis sie Israels Bedingungen für ein Ende des Kriegs zustimmen“, teilte Katz auf der Plattform X mit. Dazu gehörten die Freilassung aller Hamas-Geiseln und die Entwaffnung der im Gazastreifen herrschenden militant-islamistischen Gruppe. (ap)

Netanjahu kündigt Gaza-Einnahme und Verhandlungen an
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Verhandlungen zur Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen angekündigt. Er habe angewiesen, „unverzüglich Verhandlungen über die Freilassung aller unserer Geiseln und die Beendigung des Krieges unter für Israel akzeptablen Bedingungen aufzunehmen“, sagte Netanjahu in einem am Donnerstag veröffentlichten Video vor dem Hauptquartier der Gaza-Division der israelischen Armee.
Dort gehen die Vorbereitungen zur Einnahme von Gaza-Stadt weiter. „Wir befinden uns in der entscheidenden Phase“, so Netanjahu. „Ich bin gekommen, um die Pläne der Armee zur Einnahme der Stadt Gaza und zum Sieg über die Hamas zu bestätigen“. Gleichzeitig habe er angeordnet, „unverzüglich Verhandlungen über die Freilassung aller unserer Geiseln und die Beendigung des Krieges zu Bedingungen aufzunehmen, die für Israel akzeptabel sind“.
Einwohner berichteten derweil von intensiven Luftangriffen des israelischen Militärs im Umkreis der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens. Dort und im Süden habe es viele Tote und Verletzte gegeben, hieß es aus medizinischen Kreisen. Unter den Opfern seien auch Kinder.
Die israelische Armee befindet sich nach eigenen Angaben bereits in den Vororten. Netanjahu wollte laut Medien bei Beratungen mit Verteidigungsminister Israel Katz und mit Militärs die Einsatzpläne zur Einnahme der Stadt Gaza billigen. (dpa/afp/taz)
Netanjahu äußert sich nicht eindeutig
Netanjahus Äußerungen erfolgten wenige Tage, nachdem die islamistische Terrororganisation Hamas nach eigenen Angaben einem Vorschlag der Vermittler für eine Waffenruhe zugestimmt hatte. Dieser sieht die Freilassung von zunächst der Hälfte der Geiseln sowie die Einleitung von Gesprächen über ein Kriegsende und die Freilassung der übrigen Entführten vor.
Nachdem Israel einem ähnlichen Vorschlag zuvor zugestimmt hatte, zeigte sich Netanjahu zuletzt laut Medienberichten nur zu einem Abkommen bereit, wenn dabei alle Geiseln auf einmal freikommen und der Krieg zu Israels Bedingungen endet.
Ob Netanjahus jetzige Äußerungen eine Änderung dieser Haltung bedeuten, ist unklar. Jedenfalls geht daraus nicht klar hervor, ob er das Angebot der Hamas nun ablehnte oder nicht. Ebenso unklar sei, ob die Erklärung des Regierungschefs mit einem der arabischen Vermittler abgestimmt war, schrieb die „Times of Israel“. Diese warteten weiter auf eine Reaktion Israels auf den Vorschlag für eine Waffenruhe, dem die Hamas am Montag zugestimmt hatte.
Dabei handelt es sich laut Medien um eine angepasste Fassung eines zuvor bereits verhandelten Vorschlags des US-Sondergesandten Steve Witkoff. Er sieht eine 60-tägige Feuerpause vor, während der zehn lebende Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge freikommen. Insgesamt befinden sich in Gaza noch 50 Geiseln, von denen noch mindestens 20 am Leben sein sollen. (dpa/afp/taz)
Noch kein Ort für neue Verhandlungen
Indirekte Verhandlungen Israels und der Hamas über eine neue Waffenruhe waren bislang erfolglos und wurden zuletzt unterbrochen. Die Vermittler – die USA, Katar und Ägypten – bemühen sich jedoch um eine Wiederaufnahme der Gespräche. Die „Times of Israel“ zitierte einen ranghohen israelischen Beamten, wonach Netanjahu die Entsendung einer israelischen Delegation anordnen werde, sobald ein Ort für neue Verhandlungen festgelegt sei.
Netanjahu steht international unter wachsendem Druck, den Krieg zu beenden. Gleichzeitig sieht er sich Drohungen seiner rechtsextremen Koalitionspartner ausgesetzt, die seine Regierung verlassen würden, falls er mit der Hamas ein Abkommen über eine Waffenruhe trifft. Netanjahu hatte kürzlich erklärt, er sei nicht mehr zu einem „Teil-Abkommen“ bereit. Man strebe stattdessen einen Deal an, der die Freilassung aller Geiseln, die Entwaffnung und Entfernung der Hamas als militärische und regierende Kraft in Gaza sowie Israels Sicherheitskontrolle über das Gebiet vorsieht. Kritiker werfen ihm vor, mit seinen Bedingungen für ein Kriegsende ein Abkommen sabotieren zu wollen. (dpa/afp/taz)
Vorbereitungen für Einnahme von Gaza-Stadt laufen
Das Sicherheitskabinett hatte Anfang August die Einnahme der Stadt Gaza genehmigt. In der größten Stadt des abgeriegelten Küstengebiets halten sich Schätzungen zufolge derzeit rund eine Million Menschen auf. Die Vorbereitungen für ihre „Evakuierung“ in den Süden haben laut der israelischen Armee bereits begonnen. Man habe Gesundheitsbehörden und internationale Hilfsorganisationen im Gazastreifen aufgefordert, medizinische Ausrüstung aus der Stadt in den Süden zu verlegen.
Israel begann zudem, Zelte und Unterkünfte dorthin zu bringen. Auch sollen mehr medizinische Güter folgen. Wie genau die Verlegung der Hunderttausenden Menschen funktionieren soll, ist unklar. Es wird befürchtet, dass die Offensive die ohnehin katastrophale Lage der Zivilbevölkerung noch verschlimmern wird. Laut Hilfsorganisationen liegt das Gesundheitssystem in dem vom Krieg weitgehend verwüsteten Küstengebiet schon jetzt am Boden. (dpa/taz)
Libanon bringt erste Waffen unter staatliche Kontrolle
Derweil steht in Israels nördlichem Nachbarland Libanon die dortige Regierung unter Druck, die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz durchzusetzen. Dazu gehört, dass alle Waffen im Land – auch die der Hisbollah – unter staatliche Kontrolle gelangen. Nun hat die Armee erstmals in einem palästinensischen Flüchtlingslager leichte Waffen eingesammelt. Zwischenfälle habe es nicht gegeben, meldete die Staatsagentur NNA. In den kommenden Wochen würden weitere Waffenübergaben an den Staat erfolgen, schrieb Ministerpräsident Nauaf Salam auf X und begrüßte den Beginn des Prozesses. (dpa)
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