Nahostkonflikt an deutschen Unis: Don’t mention the Islamismus
Die Präsidentin der TU Berlin intervenierte wegen eines Vortrags über Islamismus. Angespannt ist die Situation seit zwei Jahren auch an anderen Unis.
Die Stimmung im Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität ist etwas angespannt. Im Vorfeld hat es von verschiedenen Uni-Gruppen Ankündigungen gegeben, die für diesen Abend angekündigte Veranstaltung nicht ohne „Widerstand“ stattfinden zu lassen. Der Grund? Sie empfinden die beiden Rednerinnen und deren Verein als „islamophob“.
Die Veranstaltung beginnt dann aber doch pünktlich. Rednerinnen sind die beiden jungen Frauen Fatma Keser und Maria Kireenko. Sie sitzen im Vorstand des jüdisch-kurdischen Frauenvereins „Pek Koach“. Übersetzt aus dem Kurdischen beziehungsweise Hebräischen bedeutet das „vereint“ und „Widerstandskraft“. Sie haben eine Broschüre herausgebracht, die über Islamismus aufklären will. Etwas zögerlich beginnt Keser, 1991 als Kurdin in der Türkei geboren, ihren Teil des Vortrags. An diesem Abend am Mittwoch vergangener Woche scheint es im Hörsaal ruhig zu bleiben.
Dass das nicht selbstverständlich ist, wissen die beiden nur zu gut. An der Technischen Universität Berlin (TU) hat der gleiche Vortrag vor einigen Wochen für einen Eklat gesorgt. TU-Präsidentin Geraldine Rauch hatte im Vorfeld Bedenken geäußert, dass es auf der Veranstaltung zu „antimuslimischen Ressentiments“ kommen könnte. Sie kritisierte die pauschale Verwendung des Begriffs „politischer Islam“, aus Rauchs Sicht ein rechter Kampfbegriff.
Ein in der Wissenschaft geläufiger Ausdruck, kontert Keser hingegen in ihrem Vortrag. Anfeindungen ist sie mit ihrer Arbeit schon seit Jahren ausgesetzt. Doch Kritik am Islamismus soll ihrer Ansicht nach nicht „irgendwelchen AfD-Faschos“ überlassen werden. Denn von Islamismus betroffen seien im Alltag seltener rechte Mehrheitsdeutsche als viel häufiger andere Menschen mit Migrationsgeschichte – Angehörige von teils nicht-muslimischen Minderheiten wie Armeniern, Kurden oder Jesiden.
„Ich habe als Kind Salami gegessen und Miniröcke getragen. Ich wurde von muslimischen Mitschülern gemobbt, das haben deutsche Kinder nicht abbekommen“, erzählt Keser. In Deutschland würden Bedenken von solchen „Minderheiten in den Minderheiten“, wie Keser sie nennt, häufig nicht gehört oder in die rechte Ecke gestellt.
Verein will überhörte Stimmen stärken
Während der Islamismus von deutschen Linken häufig mit Samthandschuhen angefasst wird, um keine Stereotype gegen eine diskriminierte Gruppe zu reproduzieren, gehört es zum vollständigen Bild, dass ethnische und religiöse Minderheiten in Ländern wie Türkei, Syrien oder Iran selbst islamistischer Verfolgung ausgesetzt sind.
Einen Raum für Diskussion zu schaffen, ist das Ziel des Vereins, in dem Fatma Keser gemeinsam mit Kireenko Vorstandsmitglied ist. „Unsere Arbeit setzt da an, wo Stimmen überhört oder marginalisiert werden“, schreibt Pek Koach auf seiner Website.
Fatma Keser kritisiert im Gespräch mit der taz, dass die Universitätsleitung der TU im Vorfeld der dortigen Querelen kein direktes Gespräch mit dem Verein gesucht habe. Letztlich konnte zwar auch die Veranstaltung dort stattfinden. Die beiden Referentinnen fühlen sich von der TU-Präsidentin aber vorverurteilt. Eine Anfrage der taz bei der TU Berlin blieb unbeantwortet.
TU-Präsidentin Geraldine Rauch stand bereits vor einem Jahr in der Kritik, weil sie antisemitische Tweets mit „gefällt mir“ markiert hatte. Nach damaligen Rücktrittsforderungen entschuldigte sie sich und blieb im Amt. Am 26. November finden an der TU Präsidentschaftswahlen statt. Rauch tritt wieder an, auch wenn ihr Vorgänger Kurt Kuntzler sie wegen ihres Umgangs mit der Veranstaltung von Pek Koach aufforderte, nicht erneut zu kandidieren. Unter ihrer Führung habe die Universität „schweren Schaden“ erlitten. Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland forderte Rauch nach dem jüngsten Vorfall in einem offenen Brief zum Rücktritt auf.
Hochschulleitungen zwischen den „Fronten“
Konflikte wie dieser stehen exemplarisch für Herausforderungen, vor denen Hochschulleitungen seit dem Hamas-Angriff auf Israel vor zwei Jahren stehen. Sie müssen zwischen den Interessen und dem Schutz im Konflikt stehender Studierendengruppen abwägen. Sie müssen die Grenzen zwischen strafbarer Volksverhetzung und legitimer Meinungsäußerung feststellen und versuchen, zu vermitteln. Wie unterschiedlich Hochschulleitungen den Konflikt aufzulösen versuchen, kann man auch am Umgang mit Pek Koach erkennen.
Über die geplante Veranstaltung hätten sich etwa 50 Studierende beschwert, heißt es von der TU nach Angaben des Tagesspiegel. Die Universitätsleitung habe deshalb ihre Bedenken ausgesprochen. Auch die Pressestelle der Humboldt-Universität berichtet, sie habe einzelne Beschwerden gegen den auch auf ihrem Campus geplanten Vortrag erhalten. Doch im Gegensatz zur TU-Leitung hat die Humboldt-Uni bei den Referentinnen und ihrem Verein keine Islamfeindlichkeit erkennen können. Sicherheitshalber habe man die Veranstalter allerdings daran erinnert, dass „in diesem sensiblen Themenfeld schon jede undifferenzierte Aussage zu Missverständnissen führen“ könne, erklärte die Humboldt-Uni auf taz-Anfrage.
Die Vorwürfe gegen Pek Koach kommen von pro-palästinensischen Gruppen. Solche Gruppen bildeten sich seit 2023 im Zuge des Gaza-Krieges an vielen deutschen Hochschulen, an der Technischen Universität unter dem Namen „Not in Our Name TU“. Häufig kritisierten sie eine einseitige Solidarität ihrer Hochschulleitungen mit Israel und ein Schweigen zu den zivilen Opfern im Gaza-Streifen. Insbesondere Studierende mit familiären Verbindungen in die Region klagten, sich von ihren Universitäten nicht repräsentiert zu fühlen. Viele Hochschulleitungen zeigten sich anfangs gesprächsbereit. Schnell fielen viele Gruppen allerdings mit Antisemitismus und fehlender Abgrenzung zu Islamismus auf.
Einige Gruppen fordern einen vollständigen Boykott Israels. Im Zuge von Hörsaal-Besetzungen und Camps kam es teils zu Aufrufen zur „Intifada“, Schmierereien des roten Dreiecks der Hamas und sogar Übergriffen auf jüdische Studierende.
In den Augen solcher Gruppen ist der Verein Pek Koach, der sich auch gegen Antisemitismus und für das Existenezrecht Israels einsetzt, Teil der „zionistischen Lobby“. So wird es in einem entsprechenden Social-Media-Post formuliert, der von mehreren pro-palästinensischen Gruppen geteilt wurde.
Steigende Zahlen antisemitischer Vorfälle
Insbesondere jüdische Studierende kritisieren die Situation an den Unis immer wieder. Die jüdische Studierendenunion Deutschand (JSUD) weist auf die drastisch gestiegene Zahl antisemitischer Vorfälle hin. Die Organisation RIAS zählte letztes Jahr 450 Fälle allein an deutschen Hochschulen, dreimal mehr als noch 2023.
Jüdische Studierende würden ihre Seminare mittlerweile häufiger nach der Frage auswählen, ob sie sich dort sicher fühlen könnten. Viele wichen vermehrt auf Online-Angebote aus, um sich nicht öfter als unbedingt notwendig auf dem Campus aufhalten zu müssen, so der JSUD-Vorsitzende Ron Dekel. „Die Hochschulen haben jüdische Studierende in den letzten zwei Jahren im Stich gelassen“, sagt er. Immer wieder höre man von jüdischen Studierenden, die ihr Studium abbrechen müssten oder ins Ausland verlagerten.
Die Hochschulrektorenkonferenz, ein Zusammenschluss deutscher Universitäten, betonte zuletzt, die steigenden Zahlen antisemitischer Vorfälle sehr ernst zu nehmen. Prävention unterstütze man unter anderem mit dem vom Bund geförderten „Kompetenznetzwerk Antisemitismusprävention an Hochschulen“.
Wie wichtig es ist, dass Universitäten ihrer Verantwortung gerecht werden, zeigt auch der Wirbel um die Veranstaltungen von Pek Koach. Die Humboldt-Universität hat den Verein letztlich unterstützt, an der TU hat man wohl eher die Veranstaltung selbst als Bedrohung betrachtet.
Der Vortrag von Pek Koach verläuft an diesem Mittwochabend dann ohne Zwischenfälle und endet mit Zustimmung und Applaus. Die mehr als 70 Teilnehmenden sind offenbar hier, weil sie die Problematik des Themas schon erkannt haben. Störungen des Vortrags sind dieses Mal ausgeblieben, zum Ende macht sich eine erleichterte Stimmung im Hörsaal breit. Einen Austausch mit denjenigen, die eine solche Veranstaltung erst gar nicht auf ihrem Campus tolerieren wollten, gab es nicht. Unter ihnen redet man schließlich nicht mit der „zionistischen Lobby“.
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