Nazi-Morde: Jetzt geht die Angst um

Türkeistämmige BerlinerInnen sind entsetzt über die Enthüllungen über die rechtsextremen Hintergründe des Serienmords an Einwanderern. Das Misstrauen gegenüber den Behörden wächst.

Auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Mordserie am Sonntag Abend. Bild: reuters, Thomas Peter

Sie bekomme Gänsehaut, wenn sie "diesen schrecklichen Begriff ,Dönermorde' nur höre", sagt die aus der Türkei stammende Chefin eines Kreuzberger Handyshops. "Es sind doch Menschen gewesen, die getötet wurden! Es hätte auch uns treffen können." Ihr Mann ergänzt: "Unsere Kinder sind hier geboren." Drei Generationen seiner Familie lebten in Berlin, "und man tut sein Bestes, um sich hier zu integrieren. Aber es hilft alles nichts. Das hört nie auf." Mit "das" meint der türkeistämmige Unternehmer rassistische Gewalt gegen in Deutschland lebende EinwanderInnen. Seit die wahren - rechtsextremen - Hintergründe einer Serie von Morden an griechischen und türkischen Migranten an die Öffentlichkeit kommen, geht unter türkeistämmigen Ladenbesitzern in Berlin Angst um. Alle neun Opfer der zwischen 2001 und 2006 verübten Morde waren Geschäftsinhaber nichtdeutscher Herkunft oder Angestellte solcher Firmen.

Er schaue sich "jetzt immer gut um, wer in der Nähe so herumsteht", wenn er abends alleine seinen Laden abschließe, sagt der Lebensmittelhändler Yusuf Ö. Bislang glaubte er an die von Ermittlungsbehörden verbreitete Theorie, dass die Mordopfer möglicherweise selbst in kriminelle Strukturen verwickelt waren. Doch nun zeige sich, dass sie allein aufgrund ihrer Herkunft zu Opfern wurden, so Ö. Seit er das wisse, habe er Angst.

Deshalb will auch niemand seinen Namen oder die Adresse seines Ladens in der Zeitung lesen: Sie habe schon immer "Angst vor Nazis" gehabt, sagt eine türkeistämmige Verkäuferin von Hochzeitskleidern. "Aber jetzt ist es noch viel schlimmer." Ihren Namen will auch sie nicht sagen, aber: "Danke, dass Sie über das Thema berichten."

Remzi Kaplan, Vorsitzender des Türkisch-Deutschen Unternehmerverbandes in Berlin (TDU) und selbst Dönerhersteller, weiß um diese Ängste. Noch am Montagabend wollten die TDU-Mitglieder zusammenkommen, um zu besprechen, wie sie auf die neuen Erkenntnisse reagieren werden: "Vermutlich werden wir zu einer Demonstration aufrufen, zu der wir auch die Politiker einladen", so Kaplan. Denn auch wenn keiner der Morde in Berlin begangen wurde: "Alle Opfer der Serienmorde waren Unternehmer, teils aus der Dönerbranche, deshalb müssen wir reagieren", so Kaplan. Und auch er sagt: "Das hätte auch hier passieren können."

Er sei "eigentlich ein besonnener Mensch", sagt Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland mit Sitz in Berlin. Aber seit Freitag, als die neuen Fakten öffentlich wurden, könne er nicht mehr ruhig schlafen. "In meinen Träumen erlebe ich die Anschläge von Solingen und Mölln noch einmal." Bei diesen ebenfalls von Rechtsextremen verübten Brandanschlägen auf von Türkeistämmigen bewohnte Häuser waren 1992 und 1993 acht Menschen getötet und weitere schwer verletzt worden. "Schockiert" sei er über die neuen Erkenntnisse, die auf ein rechtsextremes Terrornetzwerk hinter den Morden hinweisen, aber auch "enttäuscht", so Kolat: "Ich dachte, wir wären bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus in dieser Gesellschaft auf einem guten Weg." Dass es solche Nazi-Strukturen gebe, sei unfassbar. Die Bundesregierung, die gerade wieder Gelder für Antidiskriminierungsprojekte gekürzt habe, müsse ihre "Ignoranz gegenüber der Problematik" aufgeben, fordert er. "Ich werde der Bundeskanzlerin vorschlagen, mit mir gemeinsam die Familien der Mordopfer zu besuchen."

Ahmet Külahci, Leiter des Berliner Büros der türkischen Tageszeitung Hürriyet, sagt, auch die türkischsprachigen Medien hätten sich von "der falschen Fährte, die die Behörden gelegt haben, in die Irre führen lassen". Deutsche und türkische Medien müssten diesbezüglich "Selbstkritik üben". "Wir haben nicht die richtigen Fragen gestellt." Den Grund dafür sieht Külahci darin, dass keiner rechtsextremen Terror in diesem Ausmaß für möglich gehalten habe: "Ich habe nicht daran glauben wollen, dass so etwas möglich ist."

Die Hoffnung, dass nun vollständig aufgeklärt werde, wieso die Täter so lange unentdeckt bleiben konnten, will der türkische Journalist nicht aufgeben - auch nicht den Glauben daran, dass dies nichts mit der Herkunft der Opfer zu tun haben könne: "In einem demokratischen Rechtsstaat verhält man sich so nicht." Doch es bestehe bei vielen Menschen Bedenken: "Wenn Geheimdienste und Rechtsextreme tatsächlich zusammengearbeitet haben sollten, wird nicht alles ans Licht kommen", befürchtet auch Külahci.

Händler Ö. dagegen hat sein Vertrauen in die Behörden verloren: Die hätten die Ermittlungsarbeit in den "Ausländermorden" nicht ernst genug genommen, vermutet er. Aber dass die Täter möglicherweise von Behördenmitarbeitern gedeckt worden seien, mag er lieber nicht für möglich halten: "Schon der Gedanke macht Angst."

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