Naziaufmarsch: Prozess um Gewaltprognose

Das Verwaltungsgericht Hannover verhandelt über das Verbot einer antifaschistischen Demonstration in Bad Nenndorf wegen polizeilichen Notstandes. Gericht vertagt Entscheidung auf Mittwoch.

Die Demo war verboten, also machten die Nenndorfer eine Kundgebung gegen den Neonaziaufmarsch. Bild: dpa

HAMBURG taz | Hätte die Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf im August vorigen Jahres aufgrund einer Gewaltprognose des Landesamts für Verfassungsschutzes wegen "polizeilichen Notstandes" überhaupt verboten werden dürfen? Mit dieser Frage beschäftigte sich am Freitag das Verwaltungsgericht Hannover sechs Stunden lang in einer mündlicher Verhandlung. Drei Zeugen seien vernommen worden, dann habe sich die Kammer auf den kommenden Mittwoch vertagt, sagt Gerichtssprecherin Wiebke Israel.

Dem Verfahren ist im vorigen Jahr ein heftiger Rechtsstreit vorausgegangen. Neonazis hatten für den 14. August 2010 einen Marsch "Für die Opfer alliierter Kriegs- und Nachkriegsverbrechen" angemeldet. Hintergrund: Die Alliierten hatten in der Bad Nenndorfer Badeanstalt von 1947 bis 1947 Nazi-Verbrecher inhaftiert. Gegen den Aufmarsch hatte sich ein bürgernahes Bündnis "Bad Nenndorf ist bunt" zusammengeschlossen - darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Kirchen und der örtliche Sportverein VfL Bad Nenndorf.

Der Landkreis Schaumburg hatte zunächst beide Versammlungen mit Einschränkungen bestätigt. Mit Bescheiden vom 11. August 2010 verbot der Landkreis aber dann beide Versammlungen mit der Begründung des "polizeilichen Notstandes". Nach neuen Prognosen des Verfassungsschutzes und des polizeilichen Staatsschutzes wäre mit 250 rechten gewaltbereiten "autonomen Nationalisten" und mit "500 gewaltbereiten Linksextremisten" zu rechnen.

Zum Vehikel des polizeilichen Notstandes greifen Versammlungsbehörden gerne mal, wenn mit Gegendemonstrationen bei Neonaziaufmärschen gerechnet werden muss.

Verboten von der Polizei wurde mit dieser Begründung 1999 ein Neonaziaufmarsch in Hamburg, weil deren unmittelbarer Schutz und der der neuralgischen Punkte in der City mit 1.800 Polizisten nicht möglich gewesen sei.

Prognostiziert hatte der Verfassungsschutz unbelegt "600 gewaltbereite Hamburger" und "400 auswärtige Autonome", die der Staatsschutz einfach zu "1.000 gewaltbereiten Störern" addierte.

Eine scharfe Rüge erteilte ein Jahr später das Verwaltungsgericht Hamburg der Polizei, da verfassungsrechtliche Kriterien nicht beachtet wurden. "Polizeilicher Notstand ist der Offenbarungseid für den Staat", sagte damals Richter Friedrich-Joachim Mehmel.

"Wenn der Trauermarsch stattfindet, werden die Gegendemonstranten kommen, da sich der DGB nicht von Gewalt distanziere", begründete damals die Ordnungsdezernentin Ursula Müller-Katz das Verbot. Und da die Bemühungen von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) fehlgeschlagen seien, zusätzliche Polizei-Hundertschaften aus dem Bundesgebiet zu ordern, könne die Polizei die Sicherheit des Neonaziaufmarsches nicht gewährleisten.

Beide Seiten klagten vor Gericht. Das Verwaltungsgericht gab daraufhin im Eilverfahren der Klage der Neonazis weitgehend statt und hob das Verbot im Wesentlichen auf. Dieselbe Kammer bestätigte aber das Verbot für die Demonstration des Bündnisses "Bad Nenndorf ist bunt".

"Ein skandalöses Urteil", schimpfte damals der DGB-Regionalvorsitzende Sebastian Wertmüller und zog vor das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg. Am Vorabend des Aufmarsches hob das OVG dann das Demonstrationsverbot teilweise auf und gestattete dem DGB zumindest eine Kundgebung.

Die Prognose der sogenannten "500 anreisenden gewaltbereiten Linksextremisten" stellte sich am 14. August 2010 dann als pure Fehleinschätzung heraus. Stattdessen versammelte sich ein buntes Völkchen von 1.200 Demonstranten, die sich dem dem sogenannten "Trauermarsch" der 1.000 Neonazis entgegenstellten.

Und das mit Fantasie: So gelang es einer Gruppe mit einen Kleinbus und einem Anhänger mit Absperrgittern bis etwa 100 Meter vor die Badeanstalt zu gelangen und mit einer Beton-Pyramide, an der sich vier Personen anketteten, den Marschweg zu blockieren. Eine Ausgabe der Zeitschrift Polizei heute hinter der Windschutzscheibe und Caps, schwarze T-Shirts sowie grüne Hosen hatten ihnen den Weg durch die Absperrungen der Polizei geebnet, die mit 2.000 Beamten im Einsatz war.

Selbst im Nachhinein verteidigte Innenminister Schünemann die Gefahrenprognose des "polizeilichen Notstandes" von Staats- und Verfassungsschutz. Daran ändere sich auch nichts, selbst wenn sich "die Prognosen zur Anzahl anreisender gewaltbereiter Personen letztlich nicht vollständig bestätigt haben".

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