Nebenkläger im NSU-Prozess: V-Leute sollen gehört werden

Mehr als 600 Zeugen benannte die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess. Darunter nur drei V-Leute. Die Nebenkläger wollen nun eine Reihe Spitzel laden.

Carsten S. – einer der Angeklagten in München. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Offensive der Nebenklage-Vertreter im NSU-Prozess in München: Am Dienstag stellten die Opfer-Vertreter einen Antrag, der für Unruhe sorgen dürfte. Sie wollen mehrere frühere V-Leute aus der rechtsextreme Szene vorladen.

Bisher, kritisierte Nebenklage-Anwältin Angelika Lex am Dienstagnachmittag im Prozess, blieben die Informanten im Verfahren fast gänzlich außen vor. Unter den mehr als 600 Zeugen der Bundesanwaltschaft seien nur drei bekannte V-Leute. Dabei seien wesentlich mehr bekannt. „Dies“, heißt es im Antrag der Nebenkläger, „erweckt den Anschein, die Bundesanwaltschaft wolle die V-Personen, den Verfassungsschutz und deren Wissen um den NSU und dessen Taten aus dem Verfahren heraushalten“.

Die Anwälte beantragten noch am Dienstag zunächst den früheren Brandenburger V-Mann Carsten S. vorzuladen und alle Akten über ihn beizuziehen. Danach, kündigte Lex an, würden Ladungsanträge zu sieben weiteren V-Leuten folgen.

Carsten S., ein wegen versuchten Mordes verurteilter Neonazi, war in den Neunzigern unter dem Alias „Piato“ V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes. Er hatte dem Geheimdienst von Plänen der untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe berichtet, sich Waffen zu beschaffen. Zudem benannte er einen Kontaktmann des Trios und berichtete von „Überfällen“ der Drei. S. könnte auch selbst an der Waffenbeschaffung beteiligt gewesen sein. Von dem NSU-Kontaktmann erhielt er eine SMS: „Was ist mit den Bums?“. All diese Informationen blieben damals folgenlos.

Anwältin Lex kritisierte, dass „trotz klarer Hinweise“ von V-Personen die Morde des NSU nicht verhindert wurden. Teilweise seien diese damals nicht einmal von den Verfassungsschutz-Ämtern an die Polizei weitergegeben worden.

Erst im April sorgte der plötzliche Tod eines V-Mann des Bundesverfassungsschutz, Thomas R., für Aufsehen. Der langjährige Neonazi-Kader verstarb an einer unentdeckten Diabetes. Und auch Thomas R. hatte Kontakte zum NSU: Er stand auf einer Kontaktliste von Uwe Mundlos.

Das Oberlandesgericht München will nun über den Antrag der Nebenkläger beraten. Auf Seiten der Bundesanwaltschaft wurde die Initiative mit Kopfschütteln aufgenommen. Sie hatte mehrfach appelliert, den Prozess nicht ausufern zu lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.