Neonazis in Thüringen: Frustrierte Seitenscheitel

Die NPD in Thüringen hat viel Geld in den Wahlkampf gesteckt, einen schwarzen CDU-Politiker bedrängt und tausende Plakate aufgehängt. Für den Landtag hat es dennoch nicht gereicht.

NPD-Chef Udo Voigt hat den Wahlkampf in Thüringen massiv unterstützt - auch um sich gegen seinen sächsischen Widersacher Holger Apfel zu behaupten. Bild: dpa

HILDBURGHAUSEN/KIRCHHEIM taz | Zeca Schall sitzt auf dem Sofa eines Freundes und starrt auf den Fernseher. Er hat sich für den Wahlsonntag einen Anzug angezogen, am Revers stecken die Farben Deutschlands und der EU. Es ist ein wichtiger Tag für Zeca Schall, vielleicht einer der wichtigsten in seinem Leben. Mehr als zehn Prozentpunkte hat seine CDU verloren, aber ihn interessiert jetzt nur eines: Kommen die Rechtsextremisten von der NPD rein? Wählen die Thüringer eine Partei ins Parlament, die gegen ihn gehetzt hat, nur weil er schwarz ist?

Der braune Balken auf dem Bildschirm hält bei vier Prozent an. "Nicht drin", sagt der Moderator. Den ganzen Tag hat Zeca Schall angespannt gewirkt, jetzt fällt der Druck von ihm ab. Während im Fernsehen die enttäuschten Gesichter seiner Parteifreunde in Erfurt zu sehen sind, freut sich Schall in seiner Heimatstadt Hildburghausen im Süden Thüringens. "Das ist gut", sagt er. "Das ist das Wichtigste."

80 Kilometer nördlich kommt an diesem Sonntagabend die Thüringer NPD zusammen. Eine Wahlfeier hatten sie angekündigt, danach wollten die Rechtsextremen in den Landtag aufbrechen. Die NPD hat offenbar fest mit dem Einzug gerechnet. Nun sitzen sie in der "Erlebnisscheune" in der Nähe von Erfurt und starren in ihre Gläser. Einige tragen Anzug und Seitenscheitel, andere Glatzen und T-Shirts mit der Aufschrift "Nationaler Sozialismus".

Auf einer Bühne steht der NPD-Landeschef Frank Schwerdt, der erst im April wieder wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. "Wenn ihr es wollt, mach' ich weiter", sagt er. Doch am Ende seiner Rede erhält er nur verhaltenen Applaus. Schwerdt kündigt noch einen rechten Liedermacher an. "Vielleicht wird dann die Stimmung etwas lockerer."

An einer Wand hängt ein Plakat, auf dem Zeca Schall abgebildet ist. "Falscher Thüringer", steht dort. Daneben ist eine Bratwurst zu sehen, die "Echte Thüringer". Es ist nur ein kleiner Teil der Hasskampagne gegen Schall.

Die NPD hatte Großes vor in Thüringen. Hier sollte der Einzug in das dritte Landesparlament im Osten gelingen, nach Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. In den vergangenen sechs Jahren hat die NPD in Thüringen massiv in den Parteiaufbau investiert. Zwischen 2003 und 2007 vervierfachte sich die Mitgliederzahl. Zuletzt musste die Partei allerdings wieder einen Rückgang auf rund 450 Mitglieder hinnehmen.

Auch für den intern umstrittenen NPD-Bundeschef Udo Voigt wäre ein Erfolg in Thüringen wichtig gewesen, Schwerdt ist einer seiner engsten Vertrauten. 160.000 Euro hat die Thüringer NPD angeblich in den Landtagswahlkampf gesteckt, davon soll die Hälfte von der in Finanznöten steckende Bundespartei gekommen sein, etwa 40.000 Plakate hat die NPD überall im Land aufgehängt.

Doch die gewünschte Aufmerksamkeit bekam sie erst mit ihrer Hetze gegen den deutschen Staatsbürger Zeca Schall.

Schall war auf einem CDU-Plakat neben Ministerpräsident Dieter Althaus abgebildet worden. "Gute Heimreise, Zeca Schall" schrieb die NPD in einer Pressemitteilung und kündigte an, Schall zur Rückkehr nach Angola zu "animieren", wo er vor 45 Jahren geboren wurde. Unterzeichnet von NPD-Landessprecher Patrick Wieschke, der vor einigen Jahren nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Döner-Imbiss zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

NPD-Chef Voigt und seine Truppe kamen sogar mit ihrem Wahlkampfmobil nach Hildburghausen und versuchten, zu Schalls Wohnhaus zu gelangen, was die Polizei aber verhinderte. In weiteren Pressemitteilungen schrieb die NPD, dass "Neger" im Freistaat "nicht als Dauergäste akzeptiert werden". Ein NPD-Politiker schminkte sich schwarz und setzte sich eine Lockenperücke auf, in der Hand hielt er Bananen, um den Hals trug er ein Schild: "Heimreise statt Einreise."

Die New York Times fragte sich, was denn da verdammt noch mal los sei im Osten Deutschlands und meinte damit den islamfeindlichen Mord an Marwa El Sherbini in Dresden Anfang Juli - und die Hetze gegen Schall. "Ich war fix und fertig" sagt Schall. "Das alles erinnert einen fast an 1933."

Viel zu viel ist auf ihn in den vergangenen Wochen eingeprasselt.Vor kurzem noch war er ein unbedeutender CDU-Kommunalpolitiker, bei den Kreistagswahlen im Juni blieb er mit dem Listenplatz 30 chancenlos. Wenige Wochen später entdeckte ihn plötzlich das Team Althaus für den Wahlkampf, "Integrationsbeauftragter" der Thüringer CDU wurde er sogar genannt.

Doch so gerne die CDU Schalls Hilfe in Anspruch nahm, so merkwürdig verhielt sie sich nach der Hetze der NPD. Zwar stellte sie Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Die Plakate mit Schall überklebte sie aber mit neuen Motiven. Das sei schon vorher geplant gewesen, sagte die CDU. Schall selbst hätte es dennoch gut gefunden, wenn sie einige Plakate hätten stehen lassen, um Gesicht zu zeigen. Sein Gesicht. Oder welche gegen Rechtsextremismus aufgestellt hätten. Der neue CDU-Slogan lautete dann: "Zukunft macht man nicht mit links."

Am Wahltag geht Schall zuerst zum Gottesdienst, er ist gläubiger Katholik, über Kirchenfreunde ist er auch zur CDU gekommen. Der Pfarrer spricht in seiner Predigt darüber, dass das Böse aus dem Inneren des Menschen komme. Zeca Schall schaut ins Gesangbuch, stimmt mit in das Lied ein: "Lass uns den Hass, das bittere Leid, fortlieben aus der dunklen Zeit."

Danach geht er zum Wahllokal, das im Rathaus der 12.000-Einwohner-Stadt untergebracht ist. Er macht rasch sein Kreuz, faltet den Wahlzettel und steckt ihn in die graue Urne.

In Zukunft, findet Zeca Schall, sollte die NPD nicht mal mehr auf dem Zettel stehen dürfen. "Man muss diese Verbrecher verbieten", sagt er. Doch würde das das Problem lösen?

Als Schall das Wahllokal verlässt, sitzen am Marktbrunnen Jugendliche herum, sie mustern ihn von oben bis unten. Einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "88". Das ist der Szenecode für "Heil Hitler".

Einen Abend vorher stehen sie auch auf dem Marktplatz, nur 50 Meter entfernt von Zeca Schalls Wohnhaus, gemeinsam mit 70 weiteren jungen Männern und Frauen. Sie schwenken Flaggen für den "Nationalen Widerstand", ein Redner hetzt gegen Asylanten, Juden, Zigeuner und Boris Becker - weil der auf "Negerinnen" stehe. "Bündnis Zukunft Hildburghausen" nennt sich die Truppe. Ihr Anführer war einst bei der NPD, nun hat er seinen eigenen Verein aufgemacht und sitzt seit kurzem im Kreisrat.

Es ist eine gespenstische Szene. Denn eigentlich setzt sich der Bürgermeister gegen Neonazis ein, zusammen mit einem lokalen"Bündnis gegen Rechtsextremismus". Aber heute sieht man von den Gegnern der Neonazis nicht viel. Die Gäste eines Cafés am Markt löffeln in ihrem Eis.

Man müsse viel mehr gegen Rechtsextremismus machen, wird Zeca Schall am Tag danach sagen. Verbote. Demonstrationen. Ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus.Ein solches Programm fordert die bisherige Opposition in Thüringen schon lange. Gesträubt hat sich dagegen nur eine Partei: Die CDU.

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