Netiquette und Nachrichtenwert: Zu groß, um gelöscht zu werden

Wer auf Twitter droht, hetzt oder zu Gewalt aufruft, muss mit Konsequenzen rechnen. Nicht so Donald Trump. Ist das gerecht?

Ein Screenshot des Twitter-Accounts von US-Präsident Donald Trump

Es wäre zwar ganz wohltuend, wenn Trump mal nicht twittern könnte – gut wäre es trotzdem nicht Foto: ap

Darf sich einer schlechter benehmen als andere, weil er berühmt ist? Diese Frage wollten Twitter-User diese Woche mit ihrem Kurznachrichtendienst klären. Anlass war – Sie dürfen dreimal raten – US-Präsident Donald Trump. Die NutzerInnen hatten sich bei Twitter beschwert, weil ein Trump-Tweet nicht gelöscht worden war, obwohl er ihrer Meinung nach die Richtlinien verletzte.

Konkret geht es um einen Tweet vom Sonntag, den der Präsident nach der Rede des nordkoreanischen Außenministers Ri abgesetzt hatte. Trump schrieb wörtlich: „Wenn er (Ri; Anm. d. A.) die Gedanken vom Kleinen Raketenmann (Kim Jong Un; Anm. d. A.) nachplappert, dann wird es sie nicht mehr lange geben.“ Aufmerksame TwittererInnen erkannten darin einen Regelverstoß. Denn nach den Richtlinien von Trumps liebstem Kurznachrichtendienst sind „gewalttätige Drohungen oder Aufforderungen zur Gewalt gegen andere untersagt“. Wer dagegen verstößt, kann „zeitweise und/oder dauerhaft gesperrt werden“.

Nicht so Donald Trump. Twitter argumentierte auf die Beschwerden am Montag hin, der Tweet werde nicht entfernt, weil er „Nachrichtenwert“ habe und „von öffentlichem Interesse“ sei. Das werde schon länger intern so gehandhabt und demnächst auch in die Richtlinien geschrieben. Heißt also: Wer berühmt genug ist, kann mit aufwieglerischen Drohungen um sich werfen, kann anstacheln und beleidigen – und hat nichts zu befürchten. Denn „öffentliches Interesse“ wird in der Regel breit ausgelegt. Das gilt auch schon mal für B-Promis oder die privaten Cocktailparties von Politikern. Und während gleichzeitig versucht wird, Hatespeech aus dem Netz zu tilgen, sollen diese Situationen plötzlich davon ausgenommen sein?

Obendrein nervt es, dass die Twitterei des US-Präsidenten geeignet ist, geopolitische Krisen auszulösen. Da wäre es doch wohltuend, wenn ihm mal jemand den Account „zeitweise und/oder dauerhaft“ sperren würde. Allerdings muss man das Ganze auch von der anderen Seite betrachten: Politisches Zeitgeschehen findet viel im Gesprochenen statt – und dieses Gesprochene wird heute meist digital aufgezeichnet und damit dokumentiert.

Piep piep piiiep

Dieses Dokumentieren ist so wichtig, dass es sogar Gesetz ist: Seit diesem Jahr fällt Donald Trumps privater Twitter-Account „@realDonaldTrump“ unter das Presidential-Records-Gesetz. Damit sind Trump-Tweets ein öffentliches Vermächtnis und dürfen nicht so ohne Weiteres korrigiert, verändert oder gelöscht werden. Das Gesetz gibt Twitter also recht.

(Was Trump allerdings nicht davon abgehalten hat, am Dienstagabend einige alte Tweets zu löschen, in denen er Luther Strange, den Senator von Alabama geworben hatte. Strange hatte zuvor die Vorwahlen in seinem Bundesstaat verloren.)

Politisches Zeitgeschehen findet viel im Gesprochenen statt – und dieses Gesprochene wird heute meist digital aufgezeichnet und damit dokumentiert

Dazu kommt: Wenn man sich wünscht, dass die Verfehlungen von Promis aus dem digitalen Gedächtnis getilgt werden, müsste das zum Beispiel auch fürs Fernsehen gelten. Sollen also demnächst rassistische oder hetzerische Aussagen in Talkshows in der Mediathek rausgeschnitten werden? Oder die Livesendung gleich mit einigen Sekunden Verspätung gesendet werden, damit man notfalls drüberpiepen kann?

In den USA gibt es den sogenannten Broadcast Delay schon, um unerwünschte Inhalte zu verhindern. Nachdem Janet Jackson bei der Superbowl-Halbzeitshow ihre Brust zeigte, wurden die darauf folgenden Grammy- und Oscarverleihungen mit 5-Sekunden-Verspätung ausgestrahlt. Und in diesem Jahr ließ der Sender Fox die Showeinlage von Pop­iko­ne Lady Gaga beim Superbowl ebenfalls verspätet übertragen aus Angst, Gaga könnte ihren Auftritt beim größten Medienereignis der USA nutzen, um etwas gegen Donald Trump sagen.

Womit wir wieder am Anfang wären. Das Entfernen unliebsamer Äußerungen von unliebsamen Personen mag wohltuend erscheinen. Am Ende kann dasselbe Prinzip auch von den unliebsamen Personen missbraucht werden. Ein Fortschritt, den soziale Medien gebracht haben, ist, dass politisch relevante Dokumente nicht mehr so schnell verschwinden können. Dafür müssen sie allerdings abrufbar sein.

Update 28.09.: Dieser Text wurde aktualisiert. Ein Hinweis auf die Tatsache, dass US-Präsident Trump mehrere Tweets löschte wurde eingefügt.

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