Netz-Expertin über SPD-Wahlkampf: „Ich bin ein wenig das Zugpferd“

Gesche Joost ist in Steinbrücks SPD die Frau für den Anschluss an die Internetgeneration. Probleme mit der Telekom-Professur sieht sie nicht.

Peer-to-Peer (hier gemeinsam mit einer Mitarbeiterin der SPD-Zentrale in Berlin). Bild: dpa

taz: Frau Joost, Sie sind jung, weiblich, netzaffin und jetzt im Kompetenzteam von Peer Steinbrück. Warum SPD und nicht Piratenpartei?

Gesche Joost: Ich habe große Sympathie für die Piraten, weil sie sich engagieren wollen. Leider betrachten sie das Thema Netz isoliert. Mich interessiert der Brückenschlag: Was bedeutet Netzpolitik für Bildung, für Ältere und Menschen mit Behinderung? Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeit und was für die Kreativwirtschaft?

Sind mit netzpolitischen Themen Wahlen zu gewinnen?

Allein sicherlich nicht. Aber auch nicht ohne. Wichtig ist, dass man das Thema auf die Straße bringt. Dass ganz normale Bürger und Bürgerinnen verstehen, dass es kein Nerd-Thema ist.

Wie überzeugen Sie 70-Jährige, dass sie das Internet brauchen?

In Berlin-Mitte gibt es einen Senioren-Computerklub. Dort bringen sich Ältere Skype, Photoshop und Facebook bei – als Möglichkeit der Teilhabe. Sie merken schnell, dass ältere, vereinsamte Menschen aus ihrer Wohnung kommen und mitmachen.

Haben bei der Netzpolitik nicht viele resigniert? Die sagen, zum Beispiel beim Datenschutz: Damit habe ich nichts zu tun, ich habe nichts zu verbergen …

Das Gefühl gibt es, ja. Und es ist Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass dass man sich keine Gedanken machen muss um seine Privatsphäre, wenn man bei Facebook unterwegs ist.

Diesen Artikel lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. Mai 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit Daniel Ellsberg, der während des Vietnam-Kriegs die "Pentagon Papers" veröffentlichte. Und: eine Reportage über über einen Mann, der zur Adoption freigegeben wurde und zwei Jahrzehnte später seine Mutter sucht. Außerdem klingelt die taz mal wieder an fremden Türen - diesmal in Berlin. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Wird die Debatte um Netzthemen nicht sehr elitär geführt?

Das ist ein großes Problem. Deshalb entwickle ich gerade fünf Geschichten und konkrete Bilder, was die vernetzte Gesellschaft bedeutet – für Ältere, für Familien, für Start-up-Unternehmen. Was sich hinter Begriffen wie Open data, Open access und so weiter verbirgt, das ist hochspannend. Ein offenes Netz bedeutet viele Verlockungen. Es ist notwendig, dafür die Weichen zu stellen.

In Deutschland passiert das Gegenteil: ländliche Regionen verwaisen, Netze werden dort nicht ausgebaut.

Wir wollen ein Grundrecht auf Netzzugang für jeden. Da passiert in Deutschland ja gar nichts. Beim Netzausbau liegen wir hinter Rumänien. Das geht gar nicht.

Braucht Deutschland deshalb ein Internetministerium?

Das Thema muss– in welcher Form auch immer – in der ersten Reihe präsent sein. Dafür stehe ich.

Und Sie würden dabei nach erfolgreicher Wahl mitmischen?

Wenn ich da was mitgestalten kann, bin ich mit dabei. Andererseits habe ich hier an der UdK auch eine schöne Professur.

Sie haben eine Stiftungsprofessur der Telekom. Die Telekom spielt beim Netzausbau eine wichtige Rolle. Und sie überlegt, auf dem Land keine Festnetzanschlüsse mehr anzubieten. Auch mit Plänen zur Drosselung und dem Verstoß gegen Netzneutralität hat sie sich unbeliebt gemacht. Sehen Sie da einen Interessenkonflikt?

Nein, dann wäre ich nicht ins Kompetenzteam gegangen. Ich bin als Professorin Beamtin des Landes Berlin und basta.

Wie begeistert sind die SPD-Netzpolitiker, dass Sie im Kompetenzteam für Netzpolitik zuständig sind?

Die waren zunächst überrascht. Aber wir arbeiten sehr gut zusammen. Ich sattele auf deren Arbeit auf und bin jetzt ein wenig das Zugpferd. Die sind froh, dass sie mich als neues Gesicht und als Frau haben.

Sind Sie eine Quotenfrau im Kompetenzteam?

Nein, gar nicht. Quotenfrau ist ja immer ein wenig despektierlich gemeint, aber ich bin da ganz selbstbewusst. Es ist gut, dieses Thema mit einer Frau zu besetzen.

Sollen Sie als junge, kompetente, netzaffine Frau Stimmen bei Frauen holen, weil Peer Steinbrück das nicht gut kann?

Für so etwas würde ich mich nicht hergeben. Ich weiß gar nicht, woher diese These kommt, das Peer Steinbrück einen Frauenproblem hat.

Er hat beispielsweise Angela Merkel einen „Frauenbonus“ zugeschrieben …

Ich habe ihn bei diesen Themen immer offen erlebt. Ich kann den Eindruck, der jetzt kursiert, nicht bestätigen. Wichtiger ist für mich, dass sich die SPD öffnet.

Wie meinen Sie das?

Ich bin nicht Mitglied der SPD und vertrete nicht immer Positionen der Partei. Das ist ein Zeichen, dass man Querpositionen und Querdenker mit reinholt.

Gibt Ihnen die SPD Beinfreiheit?

Ja. Ich glaube, die Partei hat extra jemanden gesucht für diese Themen, der nicht aus der Partei kommt.

Sie haben zum Kommunikationsverhalten von Frauen und Männer geforscht. Gibt es da Unterschiede?

Bei vielen technischen Entwicklungen sind die Teams hauptsächlich mit Männern besetzt. Wir haben das umgedreht und haben Frauen als Entwicklerinnen einbezogen. Dabei haben wir gemerkt, dass Frauen andere Themen einbringen.

Zum Beispiel?

Jüngere Frauen spüren einen starken Druck, ständig auf Facebook präsent zu sein. Ältere glauben, wegen der Kinder ihr Handy nie ausschalten zu können.

Männer müssen doch auch Job und Familie vereinbaren.

Männer haben das auch bestätigt, aber nicht aktiv genannt. Frauen wünschen sich stärker als Männer so etwas wie eine Etikette: Was ist höflich in der modernen Kommunikation? Und sie haben eine App vorgeschlagen, die Störgeräusche simuliert. Dann können Sie dem Anrufer sagen, den Sie nicht einfach so abwimmeln können: Ich kann Sie gerade nicht verstehen …

Ist Ihr Handy gerade aus?

Ja, das liegt im anderen Raum. Ich bin auch mal offline. Ich habe keine Familie, das ist also kein Problem. Viele Frauen mit Familie machen ihr Handy nie aus.

Ist nicht jetzt die SPD Ihre neue Familie, die Sie immer erreichen will?

Noch nicht. Aber wer weiß, vielleicht brauche ich selbst bald die Störgeräusche-App…

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