Neu gegründete Kommune bei Leipzig: Auszug in die Utopie

Neun Menschen gründen eine Kommune auf einem Bauernhof. Dort wollen sie alles teilen: ihr Einkommen, ihre Arbeit – sogar ihr Vermögen.

Eine Feuerstelle zwischen zwei Gebäuden

Schon ein bisschen eingerichtet: die Sitzecke in der „Luftschlosserei“ Foto: Lalon Sander

Alle vorkommenden Namen sind Pseudonyme.

Am Tag des letzten Umzugs nieselt es in Leipzig. Es ist 9 Uhr morgens, als Auto und Transporter aus Lützkewitz eintreffen. Acht Menschen sind aus dem kleinen Ort in die Stadt gefahren: heute zieht die neunte in ihrem Bunde, die letzte Kommunard*in, aufs Land. Dann sind sie vollständig. Die neun sind zwischen 21 und 38 Jahre alt und Mitglieder der Kommune „Luftschlosserei“. An diesem Tag beginnt das „richtige“ Kommunenleben mit allen gemeinsam auf dem eigenen Hof. Sie wollen vieles teilen: ihr Einkommen, ihre Arbeit, ihre Leben – sogar, und das ist für viele Außenstehende am schwierigsten zu verstehen, ihre Vermögen.

Es nieselt also an diesem Tag, aber Amalia ist gut gelaunt. Ihre Sachen stehen aufgestapelt im Flur, die wenigen Möbel, die noch in ihrem WG-Zimmer stehen, wird sie zurücklassen. Amalia kommt aus schwierigen Verhältnissen, sie hat, sagt sie, ihr Leben lang in Armut gelebt. „In der Kommune fällt es mir leichter, ein gutes Leben zu führen“, sagt sie. Oder prägnanter: „Wenn es unerwartete Kosten gibt, fickt mich das nicht gleich tot.“ Sechs Menschen tragen Amalias Sachen, zwei verstauen sie im Transporter, während Moritz, der keine schweren Sachen heben kann, in der WG-Küche ein halbes Dutzend Baguettes mit Salat und veganen Aufstrichen belegt.

Amalia zieht in die Freiheit. So sehen es auch die anderen aus der Kommune. Basisdemokratie ist ein wichtiger Grundsatz der Luftschlosserei und versichert „individuelle Freiräume“ und „persönliches Wachstum“, das gemeinsame Wirtschaften bedeutet im Alltag: alle Einkommen werden zusammengeworfen, wer Geld braucht, kann es sich ohne große Rücksprachen nehmen. Ab 50 Euro wird der Zweck notiert, Ausgaben über 150 Euro müssen eine Woche vorher angekündigt werden. Gerade im Ökonomischen kann die Gruppe mehr als die einzelnen. „Niemand von uns hätte sich je einen Hof leisten können“, sagt Fabian. „Und jetzt haben alle plötzlich 15.000 Quadratmeter Land.“

Fabian

„Niemand von uns hätte sich je einen Hof leisten können. Und jetzt haben alle plötzlich 15.000 Quadratmeter Land.“

Lützkewitz liegt in der 10.000-Menschen-Gemeinde Elsteraue in Sachsen-Anhalt, eine Bundesstraße und ein Dorf vom riesigen ehemaligen Tagebau Profen entfernt. Das Dorf ist verschlafen im Vergleich zu der 30 Kilometer entfernten Großstadt Leipzig, aus der die Kommunard*innen kommen. „Wir nennen es Hypekewitz“, witzelt Simon in Anlehnung an das oft verwendete Hype­zig. Vor der Kommune ist eine vierköpfige Familie aus Leipzig hinausgezogen: Die Eltern betreiben einen Bioladen und bauen ihr Fachwerkhaus ökologisch um. Hatte Lützkewitz bis vor Kurzem noch 130 Einwohner, so sind es nun 13 mehr – 10 Prozent Bevölkerungswachstum.

Kein Ort des Überflusses

Die Luftschlosserei entsteht in einem Vier-Seiten-Hof, von dem aber nur eine Seite wirklich nutzbar ist – dort wohnen jetzt erst einmal alle. Nicht alle haben schon das Zimmer bezogen, das sie sich ausgesucht haben, und viele Möbel sind erst einmal in einem anderen Haus untergebracht. Das hübsche Fachwerkhaus daneben ist innen in Wirklichkeit unbrauchbar und muss komplett saniert werden. Auch Stall, Scheune und Schuppen müssen noch in Schuss gebracht werden, bevor dort Gewerbe untergebracht werden, Veranstaltungen stattfinden können oder bis Kletterecke und Sauna gebaut sind, die sich die Kommunard*innen gegenseitig versprochen haben. Drumherum ist noch Ackerland, sind Wiesen und Obstbäume, zwischen denen man sich verlaufen kann.

Tatsächlich ist die Kommune aber noch kein Ort des Überflusses. Die meisten Kommunard*innen haben, wenn überhaupt, nur ein geringes Einkommen. Den Hof haben sie dank größerer Kredite gekauft und er wird ihnen noch einige Jahre Arbeit abverlangen. Mit dem Umzug aufs Land beginnt auch die wesentlichste Veränderung: Das Vermögen der Kommunard*innen wird zusammengeführt. Nicht sofort, nicht auf einmal, sondern über 100 Monate – mehr als acht Jahre – ein Prozent pro Monat. Das bedeutet: größere Reisen oder Anschaffungen sind ohne Absprache mit den anderen tabu.

Vieles im Alltag ist einfacher: Wenn die Kommune gemeinsam essen geht, ist egal, wer bezahlt – ein Prinzip, das auch bei größeren Rechnungen funktioniert. Erst mal bezahlt, wer Geld auf dem Konto hat, am Ende des Monats wird dann eine Übersicht gemacht und besprochen. Vieles klingt so aber auch deutlich bürokratischer: Haushaltsaufgaben werden über ein Punktesystem vergeben, bei dem auch viel gerechnet werden muss. Das Abstimmungssystem in den Plena kann viel Rechnerei bedeuten. Hinzu kommen Probleme mit der „wirklichen“ Bürokratie da draußen: Wer Sozialleistungen bekommt, kann nicht einfach Geld aus der Kasse nehmen.

Gewinn durch Verzicht

Für Stefan, einen von drei Kommu­nard*innen mit einem festen Job, ist der Einstieg in die Kommune mit deutlichen finanziellen Abstrichen verbunden: „Früher musste ich mir nicht so viele Gedanken um Geld machen: ich hatte immer genug und ich habe viele Sachen einfach mit Geld geregelt.“ Clara sagt, sie macht gerne Fern­reisen, auf die sie jetzt verzichten werde, aber der Beitritt zur Kommune war eine wichtige Lebensentscheidung, in der sie Reisen gegen das gemeinsame Leben aufgewogen hat. „In einer Kleinfamilie im Einfamilienhaus zu leben wäre mehr Verzicht“, war ihr Schluss.

Menschen sitzen um ein Lagerfeuer vor einem Fachwerkhaus

Nachts verschwindet das Unfertige Foto: Lalon Sander

Der „Verzicht“ der Einzahler bedeutet für die anderen Freiheit anderswo: Valerie wird während ihrer Ausbildung mitfinanziert, Simon kann sich als Freiberufler nur die bestbezahlten Aufträge herauspicken und Moritz muss nicht mehr der stressigen Arbeit im Call­center nachgehen. Für die Kommune ist Valeries Ausbildung eine Investition, Simon erledigt in der frei werdenden Zeit viel Organisatorisches für die Gruppe, und dass Kommunard*innen keine ungeliebte Arbeit machen müssen, wie Moritz, zählt für sie ebenfalls als Gewinn.

Immer wieder sprechen die Kom­munard*innen davon, dass sie wie eine sehr große Familie sind, eine, die nicht durch Geburt zusammengekommen ist, sondern eine, die sich frei gewählt hat. „Es fühlt sich gut an, wie eine große Ehe“, sagt Valerie und fügt schnell hinzu: „Außer, dass wir nicht alle miteinander Sex haben.“ Ein Vorurteil, gegen das sie sich oft verwahren müssen, bei Anfragen von Interessenten, aber auch vom Privatfernsehen. Für die Gruppe ist anderes wichtiger: Verlässlichkeit, die Gewissheit, von anderen umsorgt zu sein, weniger Existenzängste.

Valerie

„Es fühlt sich gut an, wie eine große Ehe. Außer, dass wir nicht alle miteinander Sex haben.“

Am Abend wird es in Lützkewitz dunkel, sehr dunkel. Mitten im Hof haben die Kommunard*innen es sich schon gemütlich gemacht, dort wachsen Blumen und nachts brennt dort Lagerfeuer. Fabians Sohn ist für ein paar Tage da, die Nachbarn mit dem Bioladen kommen mit ihren Kindern dazu und noch eine Nachbarin. Es gibt Stockbrot und das billigste Bier aus dem Getränkeladen am Ortseingang. Im Gesprächsgemurmel wird gefeiert, dass die Kommune jetzt vollständig ist, und im Feuerschein verschwindet all das Unfertige, plötzlich scheint es, als sei die Utopie schon da.

Offenlegung: Lalon Sander kennt einige Kom­munard*innen noch aus seiner Stu­dienzeit in Leipzig und wird nun regelmäßig aus der Luftschlosserei berichten.

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