Neue All-Parteien-Koalition in Italien: Super-Mario geht an den Start

Draghi und seine Mi­nis­te­r*in­nen wurden am Samstag vom Staatspräsidenten vereidigt. Auch Gefolgsleute von Berlusconi und Salvini sind im Kabinett.

Mario Draghi nimmt gerade seinen Nasen-/Mundschutz aus seinem Gesicht

ROM taz | Italiens neue Regierung steht. Am Samstag traten Mario Draghi und seine 23 Mi­nis­te­r*in­nen bei Staatspräsident Sergio Mattarella zur Vereidigung an. Mit acht zu 15 sind Frauen am Kabinettstisch wieder einmal unterrepräsentiert. Mit 15 Po­li­ti­ke­r*in­nen zu acht „Techniker*innen“ sind die Parteien dagegen stärker vertreten als erwartet.

Draghi hatte vom Staatspräsidenten die nicht eben leichte Aufgabe erhalten, eine Regierung „mit hohem Profil“ zu bilden, die andererseits keiner der üblichen „politischen Formeln“ entsprechen, also keine klassische Koalitionsregierung werden sollte. Und tatsächlich gelang es ihm, so gut wie alle im Parlament vertretenen Parteien – außer den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) – ins Boot zu holen, ohne zugleich groß mit den Parteien über die Kabinettsposten und das Regierungsprogramm zu verhandeln.

Dennoch darf der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank sich jetzt auf die Unterstützung aller bisherigen Regierungsparteien verlassen, von der radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche) über die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) und das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) bis zu Matteo Renzis kleiner Mittepartei Italia Viva (IV), die Draghis Vorgänger Giuseppe Conte gestürzt hatte.

Doch auch Italiens Rechte ist jetzt kräftig im Regierungslager vertreten. Mit dabei ist nicht nur Silvio Berlusconis Forza Italia (FI), sondern auch die rechtspopulistische Lega, die unter Matteo Salvini bisher vor allem durch fremden- und europafeindliche Töne aufgefallen ist. Salvini vollzog jedoch in den vergangenen Tagen eine überraschende Kehrtwende und legte die Forderung nach sofortigen Neuwahlen beiseite, um stattdessen mit ungewohnten Bekenntnissen zu Europa Draghi seine Unterstützung zuzusichern.

Dem neuen Ministerpräsidenten gelang der schwierige Balanceakt, einerseits Schlüsselpositionen mit Ex­per­t*in­nen seines Vertrauens zu besetzen, zugleich aber auch die Parteien bei der Kabinettsbildung einigermaßen zufriedenzustellen.

Vier Fünf-Sterne-Minister*innen

„Techniker*innen“ sind die Innenministerin Luciana Lamorgese, die schon dem Kabinett Conte angehört hatte, die Justizministerin Marta Cartabia, die frühere Präsidentin des Verfassungsgerichts, und der Finanzminister Daniele Franco, bisher Generaldirektor in der Notenbank Banca d’Italia. Auch das neugeschaffene Ministerium für ökologischen Übergang wird mit dem Physiker Roberto Cingolani von einem Experten geleitet, genauso wie das Verkehrs- und Infrastrukturministerium, an dessen Spitze Draghi den ehemaligen Chef des Statistischen Amtes und jetzigen Vorsitzenden der „Allianz für nachhaltige Entwicklung“, Enrico Giovannini, berief. Auf diese Weise wies Draghi fast alle Ressorts, die eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Wiederaufbauplans im Umfang von 209 Milliarden Euro spielen werden, Ex­per­t*in­nen zu.

Bei den Parteien wiederum sind die Fünf Sterne mit vier Kabinettsposten am stärksten vertreten. Sie können sich vor allem darüber freuen, dass ihr Anführer Luigi Di Maio das Außenministerium behält. Die Regierungsbeteiligung des M5S war angesichts heftiger interner Widerstände gegen Draghi und gegen die Rechtsparteien bis zuletzt offen. Erst am Donnerstag hatten die Basis-Aktivist*innen in einem Online-Entscheid mit 60 Prozent Ja-Stimmen ihre Zustimmung gegeben.

Drei Kabinettsposten bekommt die PD: Neben den bisherigen Ministern für Verteidigung und Kultur zieht mit Andrea Orlando als Arbeitsminister auch ihr stellvertretender Vorsitzender ins Kabinett ein. Drei Ministerien erhält auch die Lega; dort allerdings kamen nicht Salvini-Hardliner, sondern gemäßigtere Politiker wie der neue Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti zum Zug.

Auch Forza Italia hat zukünftig drei Mi­nis­te­r*in­nen (Süden, Regionen, Öffentliche Verwaltung), allerdings durch die Bank ohne Portefeuille. Mit bloß einem Posten – Familie und Gleichstellung – kommt Renzis Italia Viva am schlechtesten weg, während die radikal linke LeU mit dem bisherigen Gesundheitsminister Roberto Speranza das in der Coronakrise strategische Ressort auch in der neuen Regierung besetzt.

Die Vertrauensabstimmungen in Senat und Abgeordnetenhaus, die am Mittwoch beginnen, sind angesichts der äußerst breiten Unterstützung für das Kabinett Draghi nur noch Formsache: Selbst wenn Ab­weich­le­r*in­nen aus den Reihen der Fünf Sterne ihre Zustimmung verweigern sollten, kann die Regierung auf 80 bis 90 Prozent Ja-Stimmen zählen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.