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Neue Namen für FleischersatzWas im Wurst Case zu tun ist

Wenn Begriffe wie „Burger“ oder „Schnitzel“ für Fleischersatzprodukte verboten werden, wie könnten Tofu und Co. dann heißen? Drei Lösungsvorschläge.

Seitanweise Vleisch-vurst im Angebot. Hierfür haben garantiert Unmengen von Aquafaba gelitten Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Ü berraschungseier sind keine Eier, Scheuermilch ist keine Milch und in Leberkäse ist weder Käse noch Leber. Alle wissen das, keinen stört’s, und trotzdem war sich im EU-Parlament vor einigen Wochen eine Mehrheit nicht zu blöde, für ein Verbot von Begriffen wie „Wurst“ oder „Burger“ für vegetarische Fleischersatzprodukte zu stimmen. Weil diese die Kon­su­men­t:in­nen angeblich verwirren könnten.

Das Ganze ist ein verzweifeltes Abwehrmanöver der Fleischlobby. Sollte der Wurst Case eines Verbots wirklich eintreffen, würde das in Deutschland den Veggie-Herstellern allenfalls ein wenig Sand ins Getriebe streuen – mehr nicht. Denn die Zahl der Ve­ge­ta­rie­r:in­nen steigt hierzulande stetig, allem Pro-Wurst-Kulturmampf von konservativer Seite zum Trotz. Auch der Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukten hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Und dem Aufstieg der Hafermilch hat es schließlich auch nicht geschadet, dass sie nur Haferdrink heißen darf.

Die Profiteure wären die Marketingagenturen der veganen Metzger. Sie stünden vor einer großen Aufgabe, für die es mehrere Lösungen gibt, in verschiedenen Eskalationsstufen.

Möglichkeit 1: kreatives Wording. Leicht verfremdete Varianten der bekannten Begriffe, die (noch) nicht verboten sind. Vokale weglassen (BRGR, SCHNTZL, CHCKN) oder sie durch andere ersetzen, besonders gut kommen dabei diakritische Zeichen (Wűrst, Børger, Ștæk). Aufs Produktfoto setzen und mit Auslassungen oder Zensurbalken arbeiten („W**** – schmeckt verboten gut!“). Hier dürfte auch das V eine Renaissance erleben, das lange der Marker schlechthin für vegane Produkte war, sei es als Visch, Vleisch, Vöner oder Volognese, und im Ausland auch als Vurger oder Vozzarella. Also, Mut zum Vortspiel!

Möglichkeit 2: ganz neue Begriffe, wie Röllchen oder Gekrümeltes. Die funktionieren natürlich auch erst mal nur in Verbindung mit Fotos, bis sie sich etabliert haben. Das geht auch in „originell“ (Langer Lulatsch, Fescher Fladen, Mündiger Bürger), in provokant (Fleischalternative für Deutschland) oder ganz neu gedacht (Schlugel, Brozz, Grisselbriss).

Möglichkeit 3: andere Formen. Skeuomorphismus heißt es, wenn neue Dinge im Design Vertrautes imitieren, obwohl es funktional dafür keine Notwendigkeit gibt, also etwa ein Rrrrring-Klingelton am Handy. Das ist erst mal verständlich, um Kon­su­men­t:in­nen ans Neue heranzuführen. Aber vielleicht gibt es ja für nach Fleisch schmeckendes Essen noch viel tollere Form/Textur-Kombinationen als die uns bekannten? Jetzt ist die Zeit, es zu erproben. Ob Spiralen, Netze, Dodekaeder oder Wölkchen – der Vantasie sind keine Grenzen gesetzt.

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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10 Kommentare

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  • Vielleicht waren die Werner-Comics in den frühen 80ern einfach ihrer Zeit voraus...



    "Ein Fiddl Fund Wurbl und ein Harbsch mit Schronk und Borsz!"

  • Fleischalternative für Deutschland ist super! Das wird der Renner. Aber natürlich bleibt eine Wurst eine lange dünne Rolle, ein Schnitzel etwas, das paniert ist und Milch ein milchige (!) Flüssigkeit.

  • Gewöhnlich gut informierten Kreisen zufolge diskutiert man auf Bundesebene, die Bezeichnung "Rollmops" für diese Fischzubereitung zu verbieten. Es sei ja gar kein Mops enthalten.

  • Das ist witzig! Bitte mehr davon :-)

  • Wording passiert im Alltag, an der Theke, der Bude, Kasse.



    Nicht strategisch, ganz praktisch.



    Meistens opponiert der Volksmund mit gesundem Menschenverstand sowieso:



    Umsatzsteuer sollte es heißen, MwSt sagt fast jeder und Märchensteuer gibt's obendrein als Bezeichnung dafür.



    Synonym, Eponym, Deonym, irgendwas wird sich finden, was sich nicht nach Sprachwissenschafts-Retorte anhört.



    In meiner "Stammkneipe" will ich bei der Bierbestellung ja auch keinen Vortrag über ein Getränk hören, das ganz anders heißen könnte.



    "Mithilfe eines analytischen Ansatzes kam man den Vorgängen auf die Spur. Durch die sogenannte ultrahochauflösende Fourier-Transformations-Ionen-Cyclotronresonanz-Massenspektrometrie (FT-ICR-MS) konnten tausenden Massensignale von Bier-Inhaltsstoffen eindeutige Summenformeln zugeordnet und so die Interpretation der molekularen Zusammensetzung von 250 analysierten Bierproben ermöglicht werden.[2] Eine Analyse der Zusammensetzungen zeigte, dass die Maillard-Reaktion eine der treibenden Kräfte der molekularen Vielfalt von Bier ist. Sie führt zu wesentlichen Veränderungen der Zusammensetzung des Bieres und zu einer größeren Komplexität der Zusammensetzung"



    faszinationchemie.de

  • Alles was jetzt noch vegane Wurst heißt, sollte zukünftig "Söder" heißen. Genug Fotos zu Söder(mit)wurst gibt es schon

  • Tierisch gut!

  • Geschrieben mag sich "BRGR" witzig anhören, nur wie wird der dann ausgesprochen ("BeErGeEr", beim Schnitzel mach ich mir dann lieber gar nicht erst die Mühe)?

    Man könnte einfach die schon ausgestorbene Bezeichnung Grilleta wieder aufleben lassen. Oder man nennt es einfach "Regrub" und "Tsruw".

  • Klasse!

    • @HanM:

      Köstlich- ! -



      Der Artikel, das ist gute Küche ohne jedes Schickimiki. Hier wird inhaltlich-substantieller Nährwert in seiner ganzen Fülle allein vermittels meisterlicher Zubereitung durch Argumentation erreicht und ohne jeden Schnörkel zur Geltung gebracht. Ich vermute, dass es am Geheimnis dieser satirisch aromatisch-scharfen Marinade liegt, die dem nahrhaften Beitrag dann seine endgültige Überzeugungskraft verleiht. Köstlich.