Neue Regeln in der Forschungsförderung: EU vergällt den Unis das Siegen

Für das EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020" sollen rund 80 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Doch durch neue Vergaberegeln werden Unis benachteiligt.

Brauchen Drittmittel: Forscher an Universitäten. Bild: dpa

Für Universitäten sind sie eine Prestigeangelegenheit: Forschungsprojekte der EU. Sie bewerben sich intensiv um die Teilnahme. Mehr als 40 Prozent ihrer Forschungsfördermittel zahlt die EU an die europäischen Unis. Wer viele EU-Projekte an Land zieht, gilt als leistungsstarke Forschungsuniversität.

In diesem Spiel geht es nicht um Peanuts: Für das nächste Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ (2014 bis 2020) hat die EU-Kommission rund 80 Milliarden Euro eingeplant, das sind 30 Milliarden Euro mehr als im laufenden 7-Jahres-Programm.

Trotz des Geldsegens hagelt es Kritik von den europäischen und auch den deutschen Hochschulen. Kein Wunder: Nach Plänen der EU-Kommission soll die Industrie viel stärker von der Budgeterhöhung profitieren als die Hochschulen. Zudem befürchten die Unis, dass sie aus vielen Forschungsprojekten herausgedrängt werden.

Dahinter stecken Änderungen der Förderregeln, die auf den ersten Blick harmlos wirken. Es geht um Kosten, die indirekt durch Forschungsprojekte entstehen, also etwa Ausgaben für die Computerausrüstung der Forscher, neue Räume oder die Strom- und Verwaltungskosten. Diese indirekten Kosten will die Kommission in „Horizon 2020“ mit einer neuen Pauschale vergüten, statt 60 gibt es nur noch 20 Prozent dafür.

Weniger Geld für die indirekten Kosten

Darüber hinaus will sie den Unis die Option nehmen, die wahren indirekten Kosten eines Projekts zu ermitteln und der EU in Rechnung zu stellen. Erfahrungsgemäß betragen diese rund 60 bis 70 Prozent der direkten Kosten. Die indirekten Kosten würden also nur noch zu einem kleinen Teil erstattet.

Zwar gibt es im Gegenzug mehr Geld für das eigentliche Projekt: Alle Empfänger, egal ob Industrie oder Hochschule, bekommen 100 Prozent der direkten Projektkosten erstattet. Bislang schwankte der Fördersatz zwischen 50 und 100 Prozent je nachdem, ob es sich um anwendungsnahe oder um Grundlagenforschung handelte und je nach Empfänger: Unis erhielten mindestens 75, Industrieunternehmen 50 Prozent.

Nun sollen also alle 100 Prozent bekommen, plus die 20-Prozent-Pauschale für die indirekten Kosten.Unterm Strich sehen sich die Universitäten aber als Verlierer der neuen Förderregel „100 + 20“.

„Wir haben Beispielprojekte durchgerechnet und gefunden, dass infrastrukturintensive Projekte verlieren werden, dabei kann es sich um einige 100.000 Euro handeln“, sagt Thomas Estermann von der Vereinigung Europäischer Universitäten (EUA).

Drastischer formuliert es Thomas Schöck, Kanzler der Uni Erlangen-Nürnberg: „Wir siegen uns in der EU zu Tode.“ Denn die Finanzierungslücke schließen die Unis entweder mit Geldern vom Staat, die für die Lehre gedacht sind, oder sie unterlassen den Kauf neuer Laborgeräte und Renovierungen.

Unis sind die Verlierer

„Die Infrastruktur der Universitäten steht jetzt schon massiv unter Druck“, sagt Klaus Hulek von der Uni Hannover und Mitglied der Kommission für EU-Forschungspolitik bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die Pläne der Kommission verschärften das Problem, sagt Hulek. Die EUA fordert eine Erhöhung der Pauschale auf 40 Prozent, also ein Modell „100 + 40“.

Die EU-Kommission beschwichtigt: „Von den 1.400 europäischen Universitäten, die wir im laufenden Forschungsrahmenprogramm fördern, werden nur etwa 40, verglichen mit dem Status quo, geringfügig verlieren“, sagt Wolfgang Burtscher von der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission. Er begründet das Modell mit einer Vereinfachung der komplizierten Förderregeln, insbesondere bei den indirekten Kosten.

Die Forschung leide insgesamt nicht darunter: „Wir haben das „100 + 20“-Modell so berechnet, dass wir mit dem gleichen Geld in etwa gleich viel Forschung fördern können“, erklärt Burtscher.

Estermann hält das für eine Milchmädchenrechnung: Die wahren Kosten der meisten Projekte kenne die Kommission gar nicht, weil die meisten Unis die jetzige Pauschale von 60 Prozent in Anspruch nehmen, statt die wahren indirekte Kosten zu ermitteln. Die EU stütze ihre Rechnung daher auf falsche Annahmen, sagt Estermann.

EU sieht die Industrie als Gewinner

Wer sind die Gewinner? Einem Papier der Kommission zufolge, in dem sie die Auswirkungen ihres Plans auf die verschiedenen Typen von Förderempfängern berechnet hat und das der taz vorliegt, gewinnt vor allem die Industrie.

Die Kommission hat für Tausende von Projekten des laufenden Forschungsrahmenprogramms simuliert, wie das Fördergeld verteilt worden wäre, wenn statt der aktuellen die nun geplanten Regeln bei der Vergabe gegolten hätten. Ergebnis: Die Industrie hätte über 500 Millionen Euro mehr bekommen, die Universitäten und die Non-profit-Forschungseinrichtungen zusammen 42 Millionen Euro weniger.

Die Vorschläge werden derzeit im EU-Parlament beraten. Sollten sie umgesetzt werden, würden sich Geldströme in „Horizon 2020“ stärker in Richtung Industrie verlagern.

Die Kommission beklagt in dem Papier, dass die Industrie immer weniger an EU-Projekten teilnehme. Das will sie ändern, weil es das oberste Ziel der EU-Forschungsförderung ist, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Dazu sollen mehr Forschungsergebnisse in Produkte umgewandelt werden.

Doch genau dies konterkariere die EU-Kommission durch ihre Pläne, sagen Uni-Vertreter. „Die EU schießt sich da selbst ins Knie“, sagt Schöck. Die geringere Förderung werde die techniklastigen Universtäten aus EU-Projekten drängen, weil sie ihre Infrastruktur nicht mehr nachhaltig finanzieren könnten. Ohne diese Universitäten fehle die Grundlagenforschung in den Projekten und somit quasi der Nachschub an Ideen für neue Produkte.

Klinische Studien

Kopfschmerzen bereitet den Unis auch eine weitere geplante Regel: Bei besonders marktnahen Projekten, wo an der Schwelle zum Produkt geforscht wird, sollen die direkten Kosten nicht zu 100, sondern nur zu 70 Prozent gedeckt werden. Die Liga Europäischer Forschungsuniversitäten (LERU), ein Interessenverband europäischer Eliteunis, befürchtet, dass dann Unikliniken aus klinischen Phase-3-Studien gedrängt werden könnten, in denen Arzneien kurz vor der Zulassung getestet werden.

Das könnte zur Folge haben, dass die Tests stärker von der Privatwirtschaft getragen würden, was einseitige Ergebnisse befürchten lässt: Eine Studie fand 2010 heraus, dass von der Pharmaindustrie finanzierte Studien häufig zu einem für den Sponsor positiven Ergebnis führen.

Die 70-Prozent-Regel findet auch Hulek „sehr schlecht“. An marktnahen Projekten könnten Unis dann definitiv nicht mehr teilnehmen, sagt der Professor und fügt hinzu: „Dann hätte die EU genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie will, nämlich aus Forschung Produkte zu machen.“

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