Neue Studie zur Fremdenfeindlichkeit: Der Hass aus der Mitte

Fremdenfeindlichkeit ist laut einer Studie weiter verbreitet als vermutet - vor allem in der Mitte der Gesellschaft. Besonders abgelehnt: Russen und Türken.

Aus der Mitte nach rechts - den Weg gehen mehr als bisher vermutet. Bild: photocase/fiebke

"Mein Name ist übrigens Marianne. Mein Sohn ist so deine Statur, auch deine Größe, auch lange Haare, lockig, und das Problem ist: Er macht mit Leidenschaft Musik, wird das auch studieren und er kann sich hier nicht entfalten. Er weiß nicht, wohin er geht, und hat manchmal in seinem Zimmer 15, 20 Jugendliche sitzen, die spielen, und manchmal wollen die aber auch raus, ein bisschen Bier trinken, n bisschen den Kopf drehen lassen und dann einfach nur diskutieren und Musik spielen, und waren gestern am See an der Grillhütte und sind dann überfallen worden von Rechtsradikalen, mit reichlich Polizeiaufgebot und so."

Die erste Studie: 2006 befragten Wissenschaftler im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung 5000 Personen ab 14 Jahren zur ihrer rechtsextremen Einstellung. Das Ergebnis damals: jeder vierte Deutsche zeigt fremdenfeindliche Tendenzen.

Die zweite Studie: Für die aktuelle Befragung wurden 60 Personen mit deutschem Hintergrund interviewt, die sich 2006 besonders ausländerfeindlich geäußert hatten. Zu den Gruppeninterviews an bundesweit zwölf Orten kamen Personen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, Generationen und Berufstätigkeit zusammen.

Fazit: Fremdenfeindlichkeit wird immer salonfähiger. Mit besorgniserregender Selbstverständlichkeit lassen Jung und Alt im Osten und im Westen ihrem rechtsextremen Gedankendut freien Lauf. Als politische Konsequenzen aus der Untersuchung fordern die Autoren der Studie eine weitere Demokratisierung von Institutionen, Schulen oder Betrieben und die Förderung der gesellschaftlichen Mitbestimmung.

Marianne Fehser aus dem nordrhein-westfälischen Herdecke schildert, wie ihr Sohn von Rechtsradikalen überfallen worden ist. Sie sitzt in einem Saal der heimischen Volkshochschule, um sie herum Mitbürger. Die erste Reaktion auf den nächtlichen Vorfall ist spontan abwiegelnd: "Das gibts aber überall, überall", sagt eine Zuhörerin. Schließlich werden Menschen auch anderswo wegen ihrer Andersartigkeit verfolgt. Auch der Rest der Gruppe relativiert den offenbar rechtsextremen Angriff. Schnell versuchen sie auf das mangelnde Angebot für Jugendliche im Ort zurückzukommen. Die Mutter des Betroffenen findet sich sogar damit ab, dass dessen Frisur - nämlich die langen Haare - die Rechtsextremen wohl provoziert habe. Es handelt sich hier nicht um eine Elterninitiative, die sich über Gewalt in ihrer Gemeinde unterhält. Die hier Anwesenden sind Teil einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die rechtsextremes Gedankengut in der deutschen Gesellschaft untersucht hat.

Geklärt wurde, wie es zur Relativierungen rechter Gewalt kommt. Wieso es akzeptiert wird, wenn Andersartigkeit mit Gewalt bestraft wird? Dazu wurden von Leipziger Wissenschaftlern zwölf Diskussionsrunden durchgeführt - wie die in Herdecke. Das Ergebnis wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt und ist alarmierend: Denn der Nährboden für rechtsextreme Tendenzen liegt mitten drin in der deutschen Gesellschaft.

Die nun veröffentlichte Studie ist eine Fortsetzung. Schon 2006 haben die Leipziger Forscher 5.000 Deutsche zu rechtsextremen Einstellungen befragt. Das Ergebnis damals unterscheidet sich kaum von dem jetzigen: Rechtsextremismus war längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 37 Prozent glaubten, dass Migranten nach Deutschland kommen, um "unseren Sozialstaat auszunutzen". Rund 39 Prozent fanden "Deutschland von Ausländern überfremdet". 26 Prozent sehnten sich nach einer "einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert".

Mit der jetzt erschienenen Studie sind die Wissenschaftler einen zweiten Schritt gegangen: weg von den anonymen Zahlenreihen, hin zu den Lebensgeschichten dieser Menschen. "Wir wollten die politische Aussagen mit den Lebensläufen der befragten Personen in Verbindung bringen", erläuterte Oliver Decker von der Universität Leipzig. Die Wissenschaftler wollten wissen, unter welchen Bedingungen ein Mensch rechtsextreme Einstellungen entwickelt. Was denken "ganz normale" Mitglieder der Gesellschaft über diese Gesellschaft, über Politik, über das Zusammenleben von Migranten und Deutschen, über Vergangenheit, über Demokratie?

Um auf diese Fragen eine Antwort zu erhalten, wurden jetzt 60 Personen befragt, die bei der letzten Studie als besonders fremdenfeindlich aufgefallen waren. Bei der geringen Erfassungsquote stellt sich die Frage, wie eine nicht repräsentative Studie - die keine Verallgemeinerungen im statistischen Sinne zulässt - eine Antwort für die gesamte Gesellschaft liefern kann? "Es hat uns auch interessiert, aufgrund welcher Einflüsse diese einzelnen Personen politische Einstellungen entwickeln, die rechtsextremen genauso wie die demokratischen", sagte Dietmar Molthagen, Projektkoordinator für Rechtsextremismus der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und am Ende bestehe die Mitte der Gesellschaft aus nichts anderem als aus vielen solchen Einzelpersonen. "Deshalb verschafft diese neue Studie durchaus einen Einblick in die Mitte der Gesellschaft", rechtfertigte Molthagen die Arbeit.

In den Gruppendiskussionen ließen die Gesprächspartner, gleich welcher politischen Einstellung, ihren Ressentiments freien Lauf. "Offenbar wurde die Ausländerfeindlichkeit in der ersten Studie unterschätzt", sagte die Psychologin und Co-Autorin der Studie, Katharina Rothe. "Mit besorgniserregender Selbstverständlichkeit" wurden sie auch von denjenigen Personen formuliert, die in erster Linie nicht durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallen waren. Derartige Ressentiments finden sich bei Jung und Alt, bei Bürgerlichen wie auch bei Rechten und selbst ernannten Linken und sie lassen sich keinesfalls nur auf den Osten beschränken. Offenbar, so folgerten die Forscher, sei die rechtsextreme Einstellung gesellschaftsfähig geworden. Die Forscher beobachteten bei den Diskussionsteilnehmern, dass sie häufig zwischen "guten und schlechten Ausländern" unterschieden haben: zwischen denjenigen, die "so sind wie wir, die sich anpassen und gut integriert sind", und den anderen.

Besondere Vorbehalte gibt es gegen Russlanddeutsche und Türken. Russlanddeutsche werden als nicht "normale Leute" angesehen und als sogenannte Schmarotzer von Sozialleistungen hingestellt: "Russlanddeutsche, die hier alles abdrücken vom Staat." Die Türken dagegen nähmen sich Sachen raus, was die Deutschen nicht dürften. "Sie nehmen Überhand, die kaufen jedes Geschäft auf; die kaufen jedes Haus, was leer wird, auf", sagte eine Frau Meier aus Dortmund während einer Diskussion. "Insgesamt wird auf die Migranten häufig das projiziert, was beneidet wird", erklärt Psychologin Rothe die Ursache der Vorurteile.

Neben Migranten werden auch Arbeitslose ausgegrenzt und Sanktionen gegenüber Randgruppen hingenommen. So werde die neue Form des "kulturellen Rassismus" gesellschaftsfähig gemacht. Außerdem beobachten die Forscher großen Druck, den gesellschaftlichen Normen zu genügen und diesen Druck auch an die Randgruppen weiterzugeben, verbunden mit einer alarmierenden Geringschätzung des demokratischen Systems. "Es geht nicht um Politikverdrossenheit", betonte Rothe, sondern dass die meisten Menschen nicht verstehen, wie sie die Demokratie mitgestalten können: "Die Demokratie ist nur etwas für die da oben. Wir hier unten erscheinen dagegen als ohnmächtig", so die gängige Meinung. Demokratie werde weitgehend nur insofern akzeptiert, wie sie individuellen Wohlstand garantiert. Gehe er verloren, kommen die antidemokratischen Einstellungen hoch. Ähnlich sei es nach der Wende in Ostdeutschland gewesen, als Hoffnungen enttäuscht wurden.

Im sogenannten Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren haben die Wissenschaftler auch ein Hindernis für die fehlende Aufarbeitung gesehen: Der Wohlstand habe weder für Nachdenklichkeit noch für Scham Raum und Zeit gelassen. Umgekehrt haben diejenigen, die ein Scham- und Schuldgefühl über die familiären Verstrickungen im Nazideutschland zugelassen haben, einen Schutz vor rechtsextremen Einstellungen.

Auch zu möglichen politischen Konsequenzen der Umfrageergebnisse äußerten sich die Autoren der Studie. Die Forderung nach einer weiteren Demokratisierung der Gesellschaft blieb dabei wissenschaftlich abstrakt. Das Projekt Demokratie habe erst angefangen, sagte Decker. "Demokratie ist kein Sockel, den man erreicht und der dann gesichert ist. Nein, es ist etwas, was ständig neu erarbeitet werden muss." Im Vordergrund stehe die praktische Vermittlung, wie Demokratie funktioniert, in den relevanten Lebensbereichen. Zum Beispiel eine Schülervertretung mit eigenem Haushaltsposten und Einfluss auf die Lehrpläne.

Angesichts der Studie fordert Sachsens-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD), die Politikverdrossenheit schon in der Schule zu bekämpfen. Er appellierte, sie mehr zu vermitteln: "Demokratie ist kein fertiges Produkt, das man konsumieren kann." Als eine Konsequenz daraus will der SPD-Politiker Schüler verstärkt über Nazigräuel aufklären und Jugendliche zu Besuchen von KZ-Gedenkstätten verpflichten: "Für Schüler, die den Verbrechen der deutschen Geschichte nur Gleichgültigkeit entgegenbringen, kann die schockartige Konfrontation mit den Tatorten in Auschwitz, Buchenwald, aber auch in Bernburg und Prettin nur nützlich sein."

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