Neue Studie: Arme Kinder glotzen länger

Die erste repräsentative Befragung von Kindern zwischen acht und elf Jahren zeigt: Die Kinder armer Leute sehen mehr und länger fern als die der Gebildeten.

40 Prozent aller Kinder sehen täglich mehr als zwei Stunden fern. Bild: dpa

Wer in den Kinderzimmern das Sagen hat? Nicht Papa oder Mama, Oma oder Opa, sondern: der Fernsehapparat. 97 Prozent aller Kinder schauen nach eigenen Angaben täglich fern. Das ist ein Ergebnis der World Vision Kinderstudie, die heute in Berlin vorgestellt wird. Der taz liegen unautorisierte Auszüge des Papiers vor. Für die Studie wurden mehr als 1.500 Kinder zwischen acht und elf Jahren in ganz Deutschland befragt.

Fast jedes zweite der Kinder rechnet sich selbst zu den "Vielguckern". Über die Hälfte sitzt regelmäßig mehr als eine Stunde am Tag vor der Mattscheibe - bei den Jungs sind es mit 57 Prozent mehr als bei den Mädchen (52 Prozent). Fünf Prozent der Acht- bis Elfjährigen schalten täglich sogar mehr als drei Stunden lang das TV-Gerät ein.

Alle diese Erkenntnisse sind Aussagen von Kindern entnommen. Das ist das Besondere der World Vision Studie: Sie ist erstens repräsentativ. Und sie fußt zweitens nicht etwa auf Fragebögen, sondern auf intensiven Befragungen durch erfahrene Interviewer direkt in den Familien. "Wir wollten herausfinden, in welchen Verhältnissen Kinder in Deutschland leben - besonders in Bezug auf Armut", sagte eine Sprecherin von World Vision. Die Organisation ist ein christliches Hilfswerk, das Projekte in 46 Entwicklungsländern hat.

Bei der Pisastudie der OECD, der größten weltweit vergleichenden Schuluntersuchung, war herausgekommen, dass es in Deutschland einen engen Zusammenhang zwischen Herkunft und Schulerfolg gibt. Das bestätigt die Kinderbefragung nun erneut. In den unteren Herkunftsschichten läuft der Fernseher deutlich häufiger im Dauerbetrieb. 41 Prozent der Kinder aus diesen gesellschaftlichen Schichten berichten, dass sie regelmäßig am Tag mehr als zwei Stunden vor der Glotze verbringen. Bei Kindern aus den oberen Schichten sind es laut der Angaben der Acht- bis Elfjährigen hingegen nur 10 Prozent.

Die Ergebnisse werden die Debatte um eine angebliche "Medienverwahrlosung" von großen Teilen der Kinder und Jugendlichen neu entfachen. Diese These hatte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen aufgestellt, nachdem er mit seinem Team 6.000 Grundschüler befragt hatte. Das Fazit: Je höher der Medienkonsum, desto schlechter die Schulleistungen. Kinder mit zu hohem Medienkonsum seien eher "dick, dumm, krank und traurig". Auch Christian Pfeiffer verortete das Problem vor allem in den ärmeren Familien.

Die neue Studie, die von World Vision unterstützt wird, ist gewissermaßen die kleine Schwester der Shell-Jugendstudie, mit der seit einigen Jahren mehr Wissen über die Lebenssituation der 12- bis 25-Jährigen zutage gefördert wurde. Nun wurden erstmals auch Kinder repräsentativ befragt. Die Studie steht im Zusammenhang mit anderen Untersuchungen - etwa dem Bericht der Unicef zur Situation der Kinder in den Industrieländern oder dem Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts in München. Unicef hatte bemängelt, dass Deutschland nicht repräsentativ weiß, wie Kinder ihre Situation einschätzen.

Erste Hinweise, dass dabei durchaus neue Erkenntnisse ans Licht kommen, gab es, als zulezt das Kinderbarometer der LBS herausgegeben wurde. Darin waren 6.000 Kinder befragt worden, allerdings nicht repräsentativ. Die LBS fand heraus, dass Kinder in Deutschland vor nichts größere Angst haben als vor dem Versagen in der Schule. Die neue Kinderstudie konzipierten Sabine Andresen und Klaus Hurrelmann aus Bielefeld, die Befragungen nahm TNS Infratest Sozialforschung vor.

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