Neuer CDU-Bürgermeister in Konstanz: In der falschen Partei

Die CDU scheitert in Städten? Nicht in Konstanz. Die Übernahme der Grünen-Metropole durch einen CDU-Politiker könnte ein Vorbild für die Partei sein.

„Ich will zeigen, wie man es auch anders machen kann“: der neue OBM von Konstanz, Ulrich Burchardt. Bild: dpa

KONSTANZ taz | Als Jörg Helfrich in seiner WG erzählte, dass er dieses Mal ein CDU-Mitglied wählen werde, nahmen ihn die anderen erst mal ins Gebet. Tenor: Das macht man doch nicht. Schon gar nicht in Konstanz, das seit 1996 als Deutschlands erste Universitätsstadt von einem Grünen regiert wird. Seit 2009 stellen die Grünen die größte Fraktion im Gemeinderat. Letztes Jahr hat die CDU dann auch noch das Landtagsmandat an einen Grünen verloren.

Helfrich ist 32, studierter Sportwissenschaftler, Gründer des Unternehmens Slackline-Tools und selbst Slackliner. Das ist eine Trendsportart, bei der man auf einem Band balanciert. „Mir fiel es erst extrem schwer, seine Parteizugehörigkeit zu akzeptieren“, sagt er, als er in einem Konstanzer Café davon erzählt. Seine langen Haare hat er zu einem Zopf zusammengebunden. Er trat trotzdem dem Unterstützerkreis bei und gehörte zu den zahlreichen Wählern aus Grünen-nahen Milieus, mit deren Stimmen Ulrich Burchardt zum Oberbürgermeister von Konstanz gewählt wurde.

Konstanz ist zwar offiziell keine Großstadt, aber mit 85.000 Einwohnern die größte Stadt am Bodensee, geprägt von ihrer Konzilvergangenheit, der grandiosen Hafenstatue „Imperia“ des Bildhauers Peter Lenk und einem etwas trägen, akademisch-postindustriellen Milieu. Insofern ist es nicht ganz zutreffend, wenn die CDU seit Fritz Kuhns Wahlsieg in Stuttgart in den Städten Süddeutschlands als komplett abgehängt gilt.

Gerade haben CDU-Bundestagsabgeordnete aus Großstädten ein „Metropolen-Manifest“ veröffentlicht, in dem sie statt Polarisierung „neue städtische Kompetenzverteilung“ unter sich und den Grünen propagieren, sowie Kandidaten, die in das grüne Milieu hineinwirken können. Im Grunde heißt das: Machen wir es wie in Konstanz.

„Ich verstehe nicht, was Sie bei der CDU machen"

Dort wollte im Frühsommer die Grünen-Kandidatin Sabine Seeliger, eine Kritikerin des damaligen Oberbürgermeisters und Grünen Horst Frank, endlich „echt grün“ umsetzen, also: Einführung der Citymaut und Verhinderung des Ausbaus der Bundesstraße 33. Damit war sie im Meinungsbildungsprozess jenseits vieler Wähler. Als sie die Positionen dann räumte, war es zu spät. Eine weitere Kandidatin mit CDU-Parteibuch führte zwar nach dem ersten Durchgang, kam aber etwas zu trutschig rüber.

Die SPD spielte keine Rolle. Ulrich Burchardt wählten zwar nicht so viele CDU-Wähler wie die trutschige Kandidatin, aber dafür laut einer Untersuchung der Uni Konstanz auch viele Grünen-Wähler und vor allem Frauen: Im zweiten Durchgang setzte er sich mit einer relativen Mehrheit von 39,1 Prozent durch.

CDU, ist seit 10. September Oberbürgermeister der Grünenmetropole Konstanz. Zuvor war er Bauer, Förster, in der Geschäftsleitung von Manufactum, Unternehmensberater, Redner und Buchautor. Burchardt ist Jahrgang 1971, geschieden, hat eine Tochter.

Das Konstanzer Rathaus liegt in der Fußgängerzone und ist ein Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert mit Türmchen. In einem dieser Türmchen residiert jetzt Burchardt. Er trägt Jeans und Jackett. Krawatte? Nur bei hochoffiziellen Anlässen. Er ist 41, und sein Gesicht würde man vermutlich jungenhaft nennen. „Es gab für mich nur ein Amt, und das ist dieses“, sagt er.

Schöner Satz.

„Es ist so.“

Warum?

„Erstens als Konstanzer. Und dann …“ Er zögert. Überlegt.

„Die Einordnung in einen Fraktionszwang ist nicht das, was mich reizt“, sagt er.

In die CDU trat er erst spät ein, Mitte des letzten Jahrzehnts. Keine Junge Union, keine Gremien, nichts.

War das ein Schock für Ihre Peergroup?

„Teilweise ja.“

Es gebe gegen die CDU Abwehrreaktionen und Vorurteile, die nicht stimmten. Hätten ihm auch die Leute immer wieder gesagt: „Ich finde Sie gut, aber ich verstehe nicht, was Sie bei der CDU machen.“ Das ist der entscheidende Satz. Unverzichtbar, um die Hegemonie in den verlorenen Milieus zurückzugewinnen: Personen, die dafür stehen, dass „Geht ja gar nicht“ und CDU nicht mehr als Synonym gelten.

Hybrid und Fahrrad als Dienstwagen

Burchardt ist gebürtiger Konstanzer und Sohn eines renommierten Uniprofessors, das war auch wichtig. Er ist aber auch studierter Förster, war Landwirt, Marketingchef von Manufactum, Unternehmensberater, Buchautor und als Redner zu buchen mit dem Vortrag „Marken nachhaltig profitabel pflegen“. Eine ungewöhnliche Vita mit dem Thema Nachhaltigkeit als roter Faden.

Er wird jetzt erst mal den Dienstwagen des grünen Vorgängers downsizen. Es bleibt bei Daimler, aber es wird ein Hybrid mit einem ordentlichen Verbrauchswert (4,1 Liter), so er denn real wäre. In der Stadt will er mit dem Fahrrad fahren wie der Grüne Kollege Palmer in Tübingen. Für eine dezentrale Energiewende jenseits der vier Monopolisten ist er sowieso.

Warum ist er denn nun in der CDU? Diesmal überlegt er besonders lange. Dann nennt er als Grund die soziale Marktwirtschaft, „die beste Gesellschaftsform, die es im Moment auf der Erde gibt“. Und weiter? Die CDU habe eine Wirtschaftskompetenz, die Grün nicht habe. Was unterscheidet ihn von einem Grünen? Burchardt überlegt wieder. Er hat offenbar noch keine fertigen Sätze, die er abrufen kann. Also, „die Grünen haben ohne Zweifel eine Ökologiekompetenz, von der die CDU noch lernen kann. Mir persönlich ist grüne Politik aber unterm Strich manchmal zu bevormundend und zu wirtschaftsfern.“ Grüne wollten „ein Stück weit eine andere Gesellschaft“.

Er glaube, dass die Konstanzer „keine andere Gesellschaft wollen“, sondern im Prinzip so leben, wie sie leben. „Sie sehen aber, dass dafür jetzt längerfristiges Denken wichtig ist. Dass man mit dem Thema Nachhaltigkeit Ernst machen muss.“ Bei gleichzeitiger Wirtschaftsfreundlichkeit, versteht sich. Dafür steht er, dafür stand auch Horst Frank, der gegen Grünen-Widerstand ein Einkaufszentrum direkt am See baute und den linken Grünen überhaupt zu breit aufgestellt war.

„Unabhängig“ mit CDU-Parteibuch

Im März dieses Jahres hat Burchardt ein viel beachtetes Buch veröffentlicht. „Das Manufactum-Prinzip“ propagiert den verantwortungsbewussten Konsum von regionalen Lebensmitteln und hochwertigen, haltbaren und daher relativ teuren Produkten als ein Mittel, den Markt nachhaltig zu verändern. Den Vorwurf des „Prestigekonsums“ von Besserverdienern kennt er. „Diese linke Kritik kann ich nicht verstehen“, sagt er. „Ich kritisiere ja den, der es bezahlen kann und es nicht tut.“

Im Wahlkampf wurde er von links heftig angegriffen und als Scharlatan hingestellt: Hinter seiner breiten Aufstellung – vom CDU-Wirtschaftsgremium bis zur Attac-Mitgliedschaft – sei wenig Substanz. Außerdem habe ihn der Lokalchef des Südkuriers protegiert. Was dieser bestreitet. Der neue OB verkörpere einen „neuen smarten Konservatismus, wie vom Werbestrategen erfunden“, schrieb die Stuttgarter Zeitung. Markenführung ist Burchardts Spezialgebiet. Wenn er darüber spricht, tastet er sich nicht mehr vor. Er rennt dann zu seinem Schreibtisch, holt ein Blatt Papier und sagt: „Darf ich ausholen?“

Burchardt hat sich übrigens nicht von der CDU nominieren lassen, sondern trat als „unabhängiger“ Kandidat mit CDU-Parteibuch an. Im Wahlkampf unterstützte ihn aber der Konstanzer Bundestagsabgeordneten Andreas Jung, ein junger Umweltpolitiker, seit 2011 Chef der CDU Südbaden. In der Stadt wurde viel getuschelt, der Jung habe im Grunde den Burchardt verpflichtet. „Das Gerücht hält sich hartnäckig“, sagt Burchardt, „aber das hat er nicht.“

Aber beide verkörpern eine neue Denkschule? Auch nicht. „Ich will ja nicht die CDU verändern. Ich will zeigen, wie man es auch anders machen kann.“ Das könnte Burchardts zentraler Satz sein. Was die Partei angeht: „Strategisch ist für mich klar, dass die CDU sich in Richtung Nachhaltigkeit bewegen muss, klar. Beim Thema Energie bin ich mit Andi Jung absolut einig.“

„Bürgerlich plus öko“

Auch Jung, 37, weist zurück, dass er der Mastermind des Konstanzer Coups sei. Es ist ein anderer Tag in Berlin. Jung bittet ins Restaurant der Parlamentarischen Gesellschaft. Er ist Jurist, seit 2005 im Bundestag und leitet dort den Beirat für nachhaltige Entwicklung. Nicht bestreiten kann er, dass er sich sehr rein- und rausgehängt hat für Burchardt.

Jung verströmt im Gegensatz zu Burchardt ein leichtes Junge-Union-Flair, seine Sätze tun das ganz und gar nicht. Er spricht ausführlich über seine Vorstellung von einer modernen CDU. Von Südbaden aus will er die Partei erneuern, mit dem Markenzeichen einer nicht auf Ökologie beschränkten Nachhaltigkeit. Es ist für Jung klar, dass die Veränderung über Personen sichtbar und glaubwürdig gemacht werden muss.

Burchardt habe einen klaren Standpunkt und sei etwa durch Feuerwehr und Narrenverein traditionell verwurzelt. Er bringe aber durch Hintergrund, Auftreten und Positionen genug Offenheit mit, um alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen. „Nur mit solchen Kandidaten können wir Volkspartei bleiben und auch in Städten Wahlen gewinnen. Wer vernagelt in seinem ’Lager‘ sitzen bleibt, wird scheitern“, sagt Jung.

Das ist die gar nicht geheime Formel, die einen nicht überall ins Amt bringt, aber in bestimmten Uni- und Wissenschaftsstädten: So gewann für die Grünen Jochen Partsch in Darmstadt, Boris Palmer in Tübingen, Dieter Salomon in Freiburg und in Stuttgart, trotz größeren Arbeiteranteils, Fritz Kuhn. Und so gewann zuerst der Grüne Frank und nun der CDU-Mann Burchardt in Konstanz. Diese Formel lautet nicht, wie man bisher dachte: bürgerlich plus grün. Sie lautet: bürgerlich plus öko. Oder vermutlich eher: öko light. Aber es funktioniert nur, wenn die Person stimmig ist.

In dem Konstanzer Café hat Jörg Helfrich sogar gestanden, dass auch er gegen den Ausbau der B 33 ist, doch der Rest halt klar für Burchardt gesprochen habe. Aber CDU? Manchmal schüttelt er immer noch den Kopf über sich selbst.

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