Neuer Film „Amrum“ von Fatih Akin: Nuurdfresk as en spriak! (Nordfriesisch ist eine Sprache)
In „Amrum“ wird auch Nordfriesisch gesprochen. Damit rückt der Film eine Minderheitensprache ins Zentrum, die in Deutschland gerne überhört wird.
Man muss Fatih Akin den roten Teppich ausrollen allein dafür, dass er Öömrang die große Filmbühne bietet. Öömrang hat es zusammen mit seiner größeren Schwester Fering schwer. Beide Dialekte der Nordfriesischen Sprache werden nur noch von ein paar Tausend Menschen auf den Nordsee-Inseln Amrum und Föhr gesprochen.
In seinem Film „Amrum“, der diesen Donnerstag in den Kinos anläuft und um 1945 herum spielt, sprechen die DarstellerInnen die von der Unesco als „ernsthaft gefährdet“ eingestufte Sprache Nordfriesisch, die heute insgesamt deutlich weniger als 10.000 Menschen beherrschen. Gut, Öömrang-Nordfriesisch hört man im Film nur in feinen Dosen, mit Untertiteln, meistens wird Deutsch gesprochen, um das Publikum nicht zu überfordern, aber immerhin.
Und wie heißt es in den vom NDR in Hamburg produzierten „Tagesthemen“? Nordfriesisch sei ein deutscher Dialekt, und die aus Norddeutschland stammende Hauptdarstellerin Diane Kruger zeigt sich im Interview ahnungslos: Sie habe nicht gewusst, wie sehr Nordfriesisch nicht deutsch sei: „Für mich ist es mehr als ein Dialekt.“ Will heißen: Mhm, klingt irgendwie exotisch, obwohl es doch auch deutsch ist, oder?
Tja. Wenn eine Sprache, in der ein Mädchen „foomne“, ein Dorf „taarep“ und ein Backofen „oonk“ heißt, ein Dialekt des Deutschen sein soll, dann kann Niederländisch auch gleich für Deutsch erklärt werden.

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Nordfriesisch klingt für den Laien wie eine Mischung aus Dänisch und Isländisch mit englischen Einsprengseln und ist nicht zu verwechseln mit – der übrigens auch eigenständigen Sprache -Plattdeutsch, das aber näher am Deutschen ist. Nordfriesisch ist kein putziger Dialekt, in den man sich ein bisschen einhören kann, um ihn zu verstehen, sondern eine Fremdsprache, die man lernen muss, um sie zu verstehen.
Ignoriert zu werden ist das Schicksal von Minderheitensprachen, da nützt auch die vor knapp 30 Jahren mit viel Trommelwirbel verabschiedete Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen nichts; die Bretonen in Nordfrankreich können ein Lied davon singen.
Die Arroganz des Zentrums
Im ständigen Ignorieren von kleinen Sprachen zeigt sich die Arroganz des Zentrums gegenüber der Peripherie, der Stadt gegenüber dem Land, der Mehrheitskultur gegenüber der Minderheitskultur – und der Schaden, den die Nationalstaatsidee des 19. Jahrhunderts angerichtet hat: In einem Staat sollte es nur noch eine Sprache geben.
Auf alten Sprachkarten Deutschlands sind die vielen Dialekte eingezeichnet, die früher noch viel deutlicher ausgeprägt als heute waren. Dazwischen klaffen drei große Lücken: Im Nordwesten des heutigen Schleswig-Holsteins sprach man flächendeckend Nordfriesisch, in der Lausitz die slawischen Sprachen Nieder- und Obersorbisch (den heute ein ähnliches Schicksal des Verschwindens droht) und weit im Osten Kaschubisch, viele Grüße an die Günter-Grass-Fans.
Die Friesen, die so wie die Sorben als eigenständiges Volk anerkannt sind, kamen im Frühmittelalter wohl aus dem heutigen Dänemark. Ein Teil zog nach England, die anderen ließen sich an der heutigen deutschen Nordseeküste nieder. Sie widmeten sich der Seefahrt und dem Robben- und Walfang, wovon heute noch auf Amrum und Föhr stattliche Gräber von Walfang-Kapitänen zeugen.
Irgendwann kamen die Deutschen, die damals Franken hießen, und zwangen den Friesen das Christentum auf. Als die Gegend viel später an Preußen fiel, wurde der Assimilierungsdruck immer stärker, man musste Deutsch sprechen, um sich mit den Behörden zu verständigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die deutschen Touristen und Ferienhaus-Aufkäufer, was den Wohnraum für die Nordfriesen knapp werden ließ.
In einer NDR-Doku über Föhr sagt ein junge Friesin: „Wir sprechen untereinander immer unsere Sprache. Auch, wenn wir unterwegs sind und über die Touristen sprechen – dann ist es gut, wenn man seine eigene Sprache hat.“ Nordfriesisch als Geheimsprache, als letztes Bollwerk gegen das übermächtige Deutsch.
In Fatih Akins Film geht es um einen Hamburger Jungen, der mit seiner Mutter wegen des Bombenkrieges nach Amrum flüchtet. Er wird ausgegrenzt, er versteht die Sprache nicht, er muss sie mühsam lernen. Normalerweise muss sich die Minderheit der Mehrheit anpassen, um zu überleben. Bei Fatih Akin müssen sich die Deutschen der kleinen Minderheit anpassen. Eine hübsche Pointe für das kleine Volk der Nordfriesen.
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