Neuer Höchststand an Corona-Infektionen: Morgen kommt der Weihnachtslockdown

Anlässlich dramatischer Coronazahlen drängen immer mehr Politiker:innen auf härtere Maßnahmen – und das bald. Die 7 wichtigsten Fragen und Antworten.

26444470.jpg Baumschmuck in Form eines Coronavirus haengt an einem Weihnachtsbaum

Trotz Lockdown wird der Weihnachtsbaum festlich geschmückt Foto: imago images

1 Warum soll jetzt doch ein schärferer Lockdown kommen?

Weil immer klarer wird, dass die bisherigen Maßnahmen absolut nicht ausreichend sind. Nachdem Ende Oktober die neuen Kontaktbeschränkungen in Kraft getreten waren, war der Anstieg der täglich gemeldeten Neuinfektionen zwar zunächst gestoppt worden, und drei Wochen lang gingen die Werte sogar leicht zurück. Doch in der letzten Woche stiegen die Zahlen wieder an – zunächst etwas, dann dramatisch: An diesem Freitag lag der Tageswert mit 29.875 neuen Fällen mehr als 25 Prozent höher als der bisherige Höchststand, der vom Vortag stammte. Während der neue Anstieg sich anfangs vor allem auf die östlichen Bundesländer konzentriert, steigen die Werte mittlerweile in allen Ländern.

Die Zahl der täglich gemeldeten Coronatoten ist seit Einführung der neuen Beschränkungen permanent gestiegen. Im Schnitt starben in der vergangenen Woche 419 Menschen pro Tag im Zusammenhang mit Corona. Anfang November lag dieser Wert noch bei 64 Toten am Tag; der Höchststand während der ersten Welle lag im April bei 233 Todesfällen am Tag. Malte Kreutzfeldt

2 Was sagt Merkel?

Normalerweise bleibt Angela Merkel auch in dramatischen Situationen stoisch wie ein Felsbrocken in der Uckermark. Aber am Mittwoch redete sie den Deutschen und den MinisterpräsidentInnen so leidenschaftlich ins Gewissen, wie man es selten bei ihr erlebt hat.

„Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben“, rief die Kanzlerin am Rednerpult. „Das sollten wir nicht tun.“ Unmissverständlich machte sie klar, dass sie die Empfehlungen der Wissenschaftsorganisation Leopoldina für richtig hält.

Vor Weihnachten frühere Schulschließungen und Homeoffice als Regel, nach Weihnachten ein harter Lockdown. Zu Glühweinständen und Waffelbäckereien in den Städten sagte Merkel: „Es tut mir wirklich im Herzen leid“, aber wenn der Preis dafür sei, dass am Tag 590 Menschen stürben, „dann ist das nicht akzeptabel aus meiner Sicht“.

Die Kanzlerin hat offenbar genug von der Disziplinlosigkeit vieler Menschen und der Zögerlichkeit einiger Ministerpräsident:innen. Jene hatten Ende November Lockerungen für Weihnachten und Silvester beschlossen.

Unterdessen fordert etwa auch Bundesinnenminister Horst Seehofer einen harten Lockdown – noch vor Weih­nach­ten. Am Sonntag will Merkel erneut mit den Minister­prä­sident:in­nen beraten. Ulrich Schulte

3 Wie sieht es in den Krankenhäusern aus?

Die Lage verschärft sich zusehends. Ein Beispiel aus dem besonders betroffenen Oberspreewald-Lausitz-Kreis in Südbrandenburg: Dort waren während der ersten Corona­welle im Frühjahr gerade mal 13 Covid-19-Patient:innen im Krankenhaus, seit Herbst sind es 134. Innerhalb weniger Tage sind bis zu 90 Mitarbeiter:innen ausgefallen, weil sie in Quarantäne mussten oder anderweitig erkrankt sind. Die Klinikleitung hat bereits alle planbaren Behandlungen verschieben lassen und 130 Betten auf Normalstationen komplett vom Netz genommen.

Und es reicht doch nicht: Inzwischen werden verlegungsfähige Patient:innen in umliegende Kliniken geschafft, deren Kapazitäten sich allerdings ebenfalls erschöpfen. In Teilen Deutschlands, etwa in Sachsen oder Bayern, ist die Lage noch dramatischer, teils sind keine Betten auf den Intensivstationen mehr frei. In einigen Coro­na-Hot­spots wird nach Angaben von Mitarbeiter:innen inzwischen sogar positiv getestetes Pflegepersonal weiter eingesetzt.

„Wir sind schon sehr bald an der Grenze des Machbaren“, sagte am Donnerstag der Chef der Berliner Charité, Heyo K. Kroemer. Rein rechnerisch stehen zwar aktuell von rund 22.500 noch rund 4.700 Intensivbetten bundesweit zur Verfügung. Aber belegbare Betten, für die auch ausreichend Personal bereitstehe, „davon gibt es nicht mehr sehr viele in Deutschland“, so Kroemer. Manuela Heim

4 Was wird aus dem Weihnachtsgeschäft?

Noch ist unklar, ob die Geschäfte schon in den nächsten Tagen dichtmachen müssen oder erst wenige Tage vor Weihnachten. Dass die Schließung des stationären Einzelhandels kommt und dann bis zum 10. Januar dauern wird, gilt als gesichert. Einige Länderchefs haben das bereits angekündigt.

Berlin will spätestens ab dem 20. Dezember alle Geschäfte, die keine Lebensmittel verkaufen, schließen lassen. In Sachsen gilt dieser Shutdown schon ab Montag. Problem dabei: Die benachbarten Bundesländer befürchten einen Ansturm sächsischer Konsument:innen auf ihre Innenstädte – und damit auch mit noch mehr Infektionen. Bundesregierung und einige Ministerpräsidenten drängen daher auf ein bundesweites Vorgehen.

Die Branchenverbände laufen Sturm dagegen. Für den Einzelhandel sind die Wochen vor und nach Weihnachten die umsatzstärksten im Jahr. Jeder Schließungstag im Nichtlebensmittelhandel verursache bundesweit Umsatzausfälle von 800 Millionen Euro. Die Einzelhandelsverbände fordern dieselben staatlichen Hilfsprogramme, die seit November für Kneipen, Restaurants und Kulturstätten gelten.

Diese erhalten bis zu 75 Prozent ihres durchschnittlichen Umsatzes vom November 2019. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verweist auf die Überbrückungshilfe III, mit der alle stark betroffenen Unternehmen einen Großteil ihrer Fixkosten ersetzt bekommen. Das reicht den Einzelhandelsverbänden aber nicht. Sie warnen vor einem Geschäftesterben in nie gekanntem Ausmaß.

Für Shopper:innen, die noch nicht alle Geschenke beisammen haben, dürfte es eng werden. Die Lieferdienste sind schon jetzt am Rande ihrer Kapazitäten, die Bestände vieler Onlinehändler*innen aufgebraucht. Dann hilft nur noch eins: Gutscheine unterm Weihnachtsbaum. Felix Lee

5 Warum werden die Schulen jetzt doch geschlossen?

Lange Zeit haben die Kul­tus­mi­nis­ter:in­nen darauf beharrt: Schulen müssen offen bleiben. Nun haben sie vor den hohen Infektionszahlen kapituliert. „Auch die Schulen müssen ihren Beitrag leisten, damit die Infektionen sinken“, fasste die rheinland-pfälzische Schulministerin Stefanie Hubig (SPD) am Freitag den Diskussionsstand nach der Kultuministerkonferenz (KMK) zusammen. Schulen seien zwar keine Hotspots, aber auch keine virusfreien Blasen und könnten sich nicht abkoppeln, pflichtete ihr der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) bei. Allerdings: „Wenn wir Schulen schließen und Einkaufscenter offen lassen, wird das gar nichts bewirken“, warnte Lorz.

Bundesländer wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben die Schulpflicht bereits aufgehoben, spätestens mit Beginn der Weihnachtsferien am 18. Dezember werden die Schulen bundesweit verwaist sein, und das wohl für mehrere Wochen. Hubig will aber keine verlängerten Ferien, wie sie die Leopoldina vorgeschlagen hat, sondern nach den Weihnachtsferien straffen Fernunterricht, möglichst bald auch wieder im Wechsel mit Präsenzunterricht. Für die jüngeren Kinder müsste es eine Notbetreuung geben.

Vorschreiben kann die KMK das aber nicht, ohnehin geht das Ergebnis ihrer Beratungen nur als Empfehlung in die Runde der Ministerpräsident:innen ein. Wie lange die Schulen zu sind, wagten die Kultus­minis­ter:innen nicht zu prognostizieren. Auch nicht, welche Auswirkungen dieser Schullockdown auf Abschlussprüfungen und Lehrpläne hat. Anna Lehmann

6 Wie feiern wir nun Weihnachten?

Noch gilt in den meisten Bundesländern, dass man an den Weihnachtstagen mit bis zu zehn Personen gleichzeitig privat feiern darf (Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt). Die Anzahl der Haushalte ist dabei in den meisten Bundesländern nicht begrenzt. Doch dass sich diese Regelungen bis Heiligabend halten, ist derzeit unwahrscheinlich.

In Berlin und Thüringen ist die Höchstzahl von Besucher:innen längst auf fünf Personen plus Kinder bis 14 Jahre begrenzt, andere Länder wie Nordrhein-Westfalen kündigen jetzt die gleichen Schritte an.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Besuchsregeln können sich also noch ändern. Man findet sie auf den Webseiten der Landesregierungen.

Dabei stellt sich die Frage, ob und wie sie überhaupt kontrolliert werden sollen. Für Verstöße gegen die Infektionsschutzverordnungen sind die Ordnungsämter zuständig, diese haben aber kein Zutrittsrecht für Privatwohnungen, heißt es im Bezirksamt Berlin-Mitte. Missliebige Nachbarn, die eine große Besuchergruppe nebenan registrieren, könnten wegen Verstoßes gegen die Coronaregeln die Polizei rufen.

Inwieweit die Polizei auf solche Fälle eingestellt ist, war bis Redaktionsschluss von der Polizei Berlin nicht zu erfahren. In Thüringen hat Landesgesundheitsministerin Heike Werner (Linke) bereits erklärt, dass die Einhaltung der Gästeobergrenze in Wohnungen nicht kontrolliert wird. Barbara Dribbusch

7 Kann man sich mit einer Quarantäne oder mit Schnelltests vor dem Besuch absichern?

Wer eine gute Woche vor dem Weihnachtsbesuch seine Kontakte reduziert, senkt damit das Risiko, sich zu infizieren und das Virus womöglich an die alten Eltern weiterzugeben. Auch die Antigen-Schnelltests, die man bei entsprechenden Testzentren oder beim Hausarzt machen oder im Internet bestellen kann, helfen. Ein negatives Testergebnis ist aber immer nur eine Momentaufnahme.

Der Antigen-Schnelltest schlägt unmittelbar nach einer Infektion, wenn man noch nicht hochansteckend ist, nicht unbedingt an, sondern in der Regel erst im Laufe der ersten Woche nach einer Infektion, wenn man selbst hochinfektiös ist. Ein paar Tage Selbstquarantäne plus Schnelltest vor dem Besuch sind daher die sicherste Variante. Barbara Dribbusch

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