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Neuer Pumuckl-FilmLob des Ungehorsams

Nicht folgsam, nicht fleißig: Seit Jahrzehnten widersetzt sich Kobold Pumuckl einer Ordnung, deren Wert allein im Gehorchen liegt.

Das Besondere an den Geschichten des Kobolds beruht auf etwas Zeitlosem, es ist in der Figur selbst angelegt Foto: Constantin Film

Sichtbar ist er nur selten, gegenwärtig aber seit Generationen: Mehr als sechs Jahrzehnte lang begleitet der Kobold mit den feuerroten Haaren nun schon die Kindheit immer neuer Zuschauerinnen und Zuschauer. Damit gehört Pumuckl zu den langlebigsten Figuren des deutschsprachigen Kinderuniversums – und es ist erstaunlich, wie wenig Patina sich im Laufe der Zeit über dieses Wesen gelegt hat.

Über ein halbes Jahrhundert voll technischem und gesellschaftlichem Wandel hätten Pumuckl eigentlich zum Relikt werden lassen können. Doch nicht nur die neuaufgelegte Serie mit Florian Brückner in der Rolle des neuen Meister Eders, auch der mittlerweile vierte Kinofilm um Ellis Kauts Kultfigur – „Pumuckl und das große Missverständnis“ (2025) –, der Ende des Monats anläuft, zeigt noch einmal, dass das Konzept nichts von seinem Charme eingebüßt hat.

Matthias Pacht und Korbinian Dufter, die schon bei „Neue Geschichten vom Pumuckl“ (2023) als federführende Autoren in Erscheinung getreten sind, können im neuen Familienfilm mit einer gewissen Nostalgie spielen: Die alte Schreinerwerkstatt, in der Meister Eder und sein Pumuckl leben, wurde zwar bereits 1985 abgerissen, aber für die Neuauflage originalgetreu nachgebaut.

Die behütete Hinterhofwelt im Münchner Stadtteil Lehel, in der Meister Eder und sein nur für ihn sichtbarer Kobold seit jeher zu Hause sind, beschwört ein Milieu herauf, das es in dieser Form nahezu nicht mehr gibt: kleine Handwerksbetriebe, nachbarschaftliche Verbindlichkeiten und ein überschaubarer Kosmos, in dem jeder jeden kennt – und wenn schon nicht ins Herz schließt, dann doch zumindest gelten lässt.

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Mit Friends und Hobelbank

Florian Eder, der Neffe des ursprünglichen Schreinermeisters, führt diese Tradition unbeirrbar analog weiter, ohne Handy in der Schürzentasche, dafür mit Hobelbank und einem kleinen Freundeskreis, der seine Schrullen – vor allem das Gerede vom eigenen „Hausgeist“ – mit wohlwollender Geduld hinnimmt. Pumuckl zeigt sich genauso unbeeindruckt vom Sog der Bildschirme und digitalen Ablenkungen: Er dichtet weiter seine schiefen Reime und spielt Streiche, als sei die Zeit stehen geblieben.

Im neuen Film führt die Handlung zwar hinaus aus dem Lehel, als der Kobold auf eine herrenlose Schildkröte („Schildegard“) stößt. Die Bilder erinnern in ihrer Stimmung dennoch an vergangene Tage. Nicht nur dankt die Tierbesitzerin Florian Eder, indem sie ihm ihren alten Mercedes Strich-Acht überlässt. Zugleich erreicht ihn ein Brief seiner früheren Ausbilderin Burgi (Ilse Neubauer, in der Originalserie als „Frau Stürzlinger“ zu sehen), die ihn für ein antiquarisches Projekt benötigt.

So führen Auftrag und Auto zu einer kleinen Reise in einen idyllischen Alpenvorort. Dort versucht Eder gemeinsam mit seinen einstigen Kollegen ein altes Maibaumkarussell wieder in Gang zu setzen, während Pumuckl über den Baumstamm selbst wacht – der darf nach bayrischer Tradition kurz vor dem Maifest von Nachbardörfern entwendet werden und muss anschließend mit Bier ausgelöst werden.

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In dieser Verweigerung gegenüber dem digitalen Rauschen liegt sicherlich ein Teil des Reizes, der von der Neuauflage ausgeht.

Warum Pumuckl noch immer aktuell ist

Was Pumuckl auch im Heute so interessant macht, ist aber nicht die ornamentale Faszination für das Gestern, das sich unter der Regie von Marcus H. Rosenmüller geschickt mit der Gegenwart verschränkt. Das Besondere an den Geschichten des kleinen Kobolds beruht auf etwas Zeitlosem, ist in der Figur selbst angelegt – und unterscheidet Pumuckl radikal von braven Kindheitshelden wie „Benjamin Blümchen“ oder „Wickie“, aber auch von aktuelleren Figuren, wie der „Paw Patrol“.

Pumuckl verdankt seine Lebendigkeit nicht der glattgebügelten Vorbildhaftigkeit anderer Helden, sondern dem lustvollen Widerstand gegen Ordnung und Anpassung. Es ist die eigensinnige Weigerung, sich den Regeln des Funktionierens zu beugen, nur weil es Regeln sind, die den Kobold so unverwechselbar macht: Das Stören, das Widersprechen, das Nachhaken. Wohl kaum eine andere Kinderfigur dürfte so oft nach dem „Warum“ fragen, wie der Pumuckl.

Er grenzt sich von Anfang an ab von jenen fleißigen Helferwesen, die in der deutschen Tradition allgegenwärtig sind, von den Heinzelmännchen und Gartenzwergen. Schon in der ersten Folge der von 1982 bis 1988 produzierten Fernsehserie, „Spuk in der Werkstatt“ wird dieser Unterschied deutlich gemacht: Als Pumuckl am Leimtopf klebt, so erstmals für Meister Eder (Gustl Bayrhammer) sichtbar wird und von nun an bei ihm bleiben muss, verwechselt der Schreiner ihn mit einem solchen guten Hausgeist.

Ein Heinzelmännchen, meint Eder, wäre ihm vielleicht sogar lieber, denn „die tun was, die helfen“. Pumuckl springt wutentbrannt in die Höhe, stößt einen schrillen Schrei aus, und erklärt seinem verdutzten neuen Gefährten sogleich, warum er alles nur das nicht sein kann: „Die arbeiten ja alle, die werkeln und trappeln!“

Mehr als Faulheit

Natürlich wird der Pumuckl seither immer wieder als „faul“ charakterisiert, und auch der Humor der Koboldsgeschichten speist sich mitunter aus dem Gegensatz zwischen seiner Abscheu gegen jede stumpfe Pflicht und seiner übermütigen Selbstbehauptung: Er sei ein Nachfahre der Klabautermänner, betont Pumuckl, und die hätten immerhin die Geschicke der Segelschiffe auf den sieben Weltmeeren gelenkt, auf „Meereswellen gewellt“ und auf „Wogen gewogt“.

Doch hinter dem wiederkehrenden Scherz um seine Abneigung gegenüber der Arbeitsamkeit verbirgt sich mehr. Besonders deutlich wird das in den zahlreicheren Hörspielen, die ab 1962 gesendet wurden. Als eine Nachbarin ausgerechnet vor dem Fenster der Schreinerei einen Gartenzwerg aufstellt, bringt er es selbst auf den Punkt: „Emsig!“ seien sie, „niederträchtig!“, vor allem aber „untertänig!“.

Nicht das Nichtstun ist Pumuckls Programm, sondern die Weigerung, sich einer Ordnung zu fügen, deren Wert allein im Gehorchen liegt. Jenes bürgerliche Ideal, das Nützlichkeit zur Zierde erhebt und Fleiß zum Schmuck, ist nicht des Kobolds Welt.

In dieser Verweigerung liegt ein Zug, der von bleibender Gültigkeit ist und die Koboldsgeschichten bis heute so außergewöhnlich macht: Pumuckl steht für die Missbilligung dessen, was der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm als das „autoritäre Gewissen“ beschrieben hat: „Die internalisierte Stimme einer Autorität, die wir zufriedenstellen und keinesfalls verärgern möchten.“

Sich ihr zu unterwerfen, nur aus Furcht vor den Konsequenzen, zieht eigene Folgen nach sich: Wer Regeln folgt, deren Sinn er nicht hinterfragt, gibt nicht nur seine eigene Freiheit preis, selbstständig zu urteilen. Dieser Gehorsam ist es auch, der blind macht gegenüber Unrecht und Machtmissbrauch, und damit den Boden für Unterdrückung und Unheil bereitet. Anders ausgedrückt: Gefährlicher als der Wille des einzelnen Tyrannen, ist die Bereitschaft der vielen, ihm zu folgen.

Ungehorsam, Ungehorsam, Ungehorsam

Das Mittel dagegen: Ungehorsam. Wenn Meister Eder etwas von ihm verlangt oder verbietet, lässt sich der Kobold mit einem bloßen „Das gehört sich so“ nicht abspeisen. Er fordert eine Begründung, verlangt Erklärungen, und stellt so eine vermeintlich selbstverständliche Autorität infrage.

Pumuckls anarchischer Eigensinn ist dabei eher produktiv als zerstörerisch. Nicht nur, weil er auch die eingefahrenen Routinen des Meister Eder aufbricht und so Abwechslung in den grauen Alltag bringt, sondern auch, weil der Kobold trotz alledem ein intuitives Gespür für das menschlich Richtige – Fromm spricht vom „humanitären Gewissen“ – besitzt.

Pumuckl mag widerspenstig sein, mit seinem Trotz mitunter für Chaos sorgen, nie aber hat er Böses im Sinn, er stellt sich letztlich doch stets auf die Seite der Schwächeren – etwa, wenn er sich tapfer in den dunklen Wald wagt, um nach zwei vermeintlich eingesperrten Kindern zu suchen, nachdem bei einer Nachbarin zufällig das Märchen von „Hänsel und Gretel“ aufgeschnappte und für bare Münze genommen hat.

Gerade in dieser Mischung aus Eigensinn und Empathie zeigt sich, warum der Kobold mehr ist als klamaukige Kinderunterhaltung. Bei allem Schabernack steht Pumuckl eben auch für einen kritischen Geist. Seine Vermittlung an ein (junges) Publikum ist in Zeiten, in denen stumpfe Parolen immer öfter unhinterfragt bleiben und sich plumper Populismus weiter zu normalisieren droht, womöglich wertvoller denn je. Denn wo Autorität nur hohle Phrasen kennt, ist Widerspruch bloß konsequent. Oh, das reimt sich ja – und was sich reimt, ist gut.

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1 Kommentar

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  • Aufklärung hat wenig Chancen in der taz. Wenn die Streiche des putzigen Kobolds multimedial durch die Wohn- und Kinderzimmer der braven, da gehorsamst leistungsbereiten, BürgerInnen rotieren, macht die Autorin daraus ein „Lob des Ungehorsams“. Dabei bestimmen Meister Eder, Drehbuch und Regie die Regeln: „Ein bisschen Spaß darf sein, dafür lieben wir dich. Aber, treib es nicht zu bunt, du Wicht, sonst zerquetschen wir dich.“ Und nur so wird aus der Geschichte vom Pumuckl ein Märchen, wie alle Märchen nicht für die Kinder, sondern die Erwachsenen bestimmt, der langen Leine. Die ist ein Merkmal des Neoliberalismus. Im liberalen Auslauf verpuff(-t-)en sogar „linke“ Aufrufe zu Ladendiebstahl und Bankraub als nostalgische Erinnerung an putzige Utopien einer anderen Gesellschaftsordnung. Lysistrata auf den subventionierten Bühne und Sondervermögen für Kriegstüchtigkeit als Wirtschaftsmotor, da fliegt liberales Denken vorbei.

    An die Redaktion: Leidenschaftliche Fans sollten niemals über ihre Lieblingsthemen berichten oder, ersatzweise, ihre (geheime) Leidenschaft als Erstes offenlegen und in Ich-Sätzen Stellung beziehen.