Neues Album von Amanda Palmer: „Plattenfirmen werden verschwinden“

Die Sängerin Amanda Palmer bekam für ihre neue Platte einen Millionen-Vorschuss von ihren Fans. Wie hat sie das geschafft?

Extravagant: Amanda Palmer. Bild: dapd

taz: Frau Palmer, Sie müssen glücklich sein, denn heute erscheint Ihr neues Album „Theatre Is Evil“ und schließlich sind Sie neuerdings Millionärin.

Amanda Palmer: Dem ist leider nicht so. Tatsächlich bin ich immer noch pleite. Aber mir geht es hervorragend. Ich fühle mich wie eine Mutter, die gerade ein hundert Pfund schweres Baby zur Welt bringt: gestresst, aber sehr glücklich.

Wo sind denn die 1.192.793 US-Dollar hin, die Sie über Crowdfunding für das Album eingesammelt haben?

Das ganze Geld ist schon wieder weg.

Alles ist weg? Kaum zu glauben.

Ja, da sind Sie nicht der Erste, der sich wundert. Auch meinen mittellosen Freunden muss ich öfter erklären, warum ich immer noch genauso pleite bin wie sie. Ich durfte feststellen, dass erstaunlich viele Menschen Probleme mit Mathematik haben. Deshalb habe ich auf meinem Blog sehr detailliert vorgerechnet, warum ich jetzt nicht plötzlich sagenhaft reich geworden bin.

Erst einmal musste ich noch ein paar Schulden zurückzahlen, aber fast das ganze Geld ist wieder in die Musik geflossen. Die CD-Aufnahmen und die Produktion mussten bezahlt werden, ebenso die Künstler, die ich beauftragt habe, Kunstwerke zu schaffen, die während der Tour gezeigt werden, und nicht zuletzt haben wir uns für die Tour, auf die wir nun gehen, eine extravagante Show geleistet.

Sehr unvernünftig.

Die Frau: Amanda Palmer, 36, wurde bekannt als Sängerin, Pianistin und Songschreiberin der in Boston gegründeten Dresden Dolls, die Burleske und die Ästhetik der Roaring Twenties mit Indie-Pop und Punk verschmolzen.

Die Million: Am 1. Mai 2012 startete Palmer ein Crowdfunding-Projekt auf Kickstarter, mit dem ihr eigenes neues Album finanziert werden sollte. Am Ende zahlten 24.883 Unterstützer ganze 1.192.793 US-Dollar.

Das Album: "Theatre is Evil".

Live: 28. 10. Berlin, 30. 10., Zürich, 3. 11. Köln, 5. 11. Wien.

Sicherlich hätte ich auch allein mit dem Klavier auf Tour gehen können, aber ich wollte lieber eine verrückte, theatralische, wunderschöne Show – und dazu braucht man eben eine 12-köpfige Crew. Wenn ich Geld habe, gebe ich es sofort wieder aus. Ich bin lieber pleite und glücklich als reich und zu vernünftig.

Waren Sie über den millionenschweren Erfolg Ihrer Kickstarter-Kampagne so überrascht wie alle Beobachter?

Ich war froh, dass es so gut geklappt hat, aber nein, überrascht war ich nicht. Ich habe gehofft, dass wir die Million knacken würden, aber ich habe es nicht erwartet. Mein Team und ich haben die Kickstarter-Aktion über Jahre strategisch vorbereitet und geplant, deshalb war ich mir sicher, dass wir wenigstens ein paar hunderttausend Dollar einnehmen würden.

Was haben Sie besser gemacht als so viele andere, die nicht annähernd so viel einnehmen?

Es hat keinen Sinn, sein Projekt auf Kickstarter online zu stellen und dann Däumchen zu drehen und zu hoffen, dass etwas passiert. Ich habe mir den Arsch abgearbeitet: In den vier, fünf Wochen nach dem Projektstart bin ich aufgestanden und habe kommuniziert, bis ich wieder ins Bett ging.

Jeder Mensch, der eine Frage hatte, ob Fan oder Journalist, bekam eine Antwort. Wichtig ist natürlich auch die Fan-Base, die ich mir über Jahre aufgebaut habe. In den Social-Media-Plattformen ging die Aktion zuerst herum und verselbstständigte sich – lange bevor die klassischen Medien das Thema entdeckten.

Ist es das, was andere Musiker von Ihrem Erfolg lernen können oder müssen: Dass sie nun ständig verfügbar sein müssen?

Es ist eine Entscheidung, vor der jeder Künstler steht. Muss man nicht nur Künstler sein, sondern zusätzlich auch noch Unternehmer und Social-Media-Freak wie ich? Die Antwort ist definitiv: Nein. Man muss die Social-Media-Werkzeuge nicht benutzen, um Erfolg zu haben, aber wenn man sie benutzt, können sie extrem effektiv sein.

Dabei ist wichtig, dass der Künstler nicht nur selbst mit seinem Publikum kommuniziert, sondern dass er sein Publikum dazu bringt, untereinander zu kommunizieren. Wenn man das nicht kann, dann ist man darauf angewiesen, dass Plattenfirmen und klassische Medien die Arbeit für einen machen.

Sie haben mal gesagt: „Ich bin süchtig nach Offenheit.“ Könnte man das auch Exhibitionismus nennen?

Sicher. Sie können das nennen, wie sie wollen. (lacht dreckig) Ich glaube, dass es so etwas wie einen gesunden Exhibitionismus gibt. Wenn man niemand anderen verletzt und seine exhibitionistischen Tendenzen in einen künstlerischen Akt umsetzt, ist das vollkommen okay. Mal ehrlich: Die allermeisten Künstler sind Exhibitionisten, denn sie stellen ihre Gefühle aus.

Es gab Vorwürfe, Sie wären schamlos.

Ja, im Netz darf ja jeder sagen, was er will. Aber ich finde es nicht schamlos, jemandem, der meine Musik mag, zu sagen: Hey, um weiter Musik machen zu können, müsstest du mir 20 Dollar geben. Ich habe lange als Straßenmusikerin gearbeitet, ich habe mit einem Hut vor meinen Füßen Musik gemacht und die Leute wussten: Wenn wir dieser Frau weiter zuhören wollen, dann müssen wir Geld in den Hut werfen, damit sie nicht verhungert. Aber ich gebe zu: Für mich ist das ganz normal, andere Künstler haben dagegen ein Problem, um Geld zu bitten.

Was empfehlen Sie Kollegen, deren exhibitionistische Ader nicht so ausgeprägt ist wie ihre?

Einen Partner finden. Einen Manager, einen Agenten, einen Freund, irgendjemanden, der – wenn der Künstler kein guter Selbstvermarkter ist – die Botschaft von seiner Großartigkeit hinaus in die Welt posaunt. Das kann natürlich auch eine Plattenfirma übernehmen, wenn sie denn seine Kunst und – noch wichtiger – sein Verhältnis zu seinen Fans versteht.

Aber auch wenn man selbst zu schüchtern ist und eine Social-Media-Agentur engagiert, wird die irgendwann mal eine E-Mail schreiben: Okay, wir posten jetzt einen Blog für dich, aber dafür brauchen wir Text. Seien wir ehrlich: Im Zeitalter der sozialen Medien hat ein Künstler mit Sozialkompetenz einen großen Vorteil.

Birgt das keine Gefahren?

Welche Gefahren?

Haben Sie keine Angst um Ihre Privatsphäre? Hatten Sie noch nie Probleme mit Stalkern? Glauben manche Menschen, die Ihnen Geld geben, nicht, dass Sie ihnen gehören?

Das werde ich immer wieder gefragt, aber ich habe noch keine einzige schlechte Erfahrung gemacht. Ich habe nie irgendwelche Besitzansprüche gespürt. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass ich über die Jahre diese sehr intensive Beziehung zu meinen Fans aufgebaut habe und die mich wirklich gut kennen. Deshalb wissen die ganz genau: Amanda Palmer lässt sich nichts gefallen. Sie wissen, dass ich immer nur das tue, was ich will. Und sie können entscheiden, ob sie mich dabei unterstützen wollen oder nicht.

Ist Crowdfunding die Zukunft des Musikgeschäfts?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Für mich ist es die Zukunft. Aber ich bin ja nicht eines Tages aufgewacht und habe beschlossen, fortan mit meinen Fans zu kommunizieren. Ich bin schließlich Musikerin geworden, weil ich mit Menschen kommunizieren will. Die modernen Medien machen das nur sehr viel einfacher. Für mich ist das kein Paradigmenwechsel, kein Erdbeben. Ich glaube, das ist eine Win-Win-Situation, in der sowohl die Künstler als auch die Fans nur gewinnen können.

Die einzigen Verlierer sitzen in den Plattenfirmen?

Ja, die Plattenfirmen, wie wir sie heute noch kennen, große Bürogebäude voller telefonierender Menschen an Schreibtischen, die werden verschwinden. Jeder weiß das, aber die Musikindustrie benimmt sich wie die Band auf der „Titanic“, die tapfer weiter Musik macht und hofft, das das Schiff schon nicht sinken wird, obwohl es schon gesunken ist. Aber Künstler werden immer Leute brauchen, die ihren Kram organisieren.

An die Stelle von großen Plattenfirmen werden kleinere Marketing- und Managementfirmen treten, die einem Künstler helfen. Auch bei Kickstarter arbeiten Menschen, ohne deren Hilfe ich keine Chance gehabt hätte. Und mein Management tut ja genau das, was früher eine Plattenfirma für mich getan hat.

Der Unterschied ist nur: Ich habe die Kontrolle, ich treffe die Entscheidungen. Früher habe ich für eine Plattenfirma gearbeitet, jetzt arbeitet eine Plattenfirma, die ich geschaffen habe, für mich. Das ist die Zukunft: Während der Musiker auf Tour ist, während er im Studio ist, muss ja noch jemand am Schreibtisch sitzen und den Telefonhörer abnehmen.

Sind Sie frustriert, dass alle mit Ihnen nur übers Geschäft, aber nicht über Ihr neues Album sprechen wollen?

(lacht) Nein. Jedenfalls im Moment noch nicht. Aber natürlich finde ich das Album unglaublich brillant. Es ist so gut, dass ab Freitag, wenn es erscheint, niemand mehr über Kickstarter wird sprechen wollen. Wenn es nicht so sein sollte, dann werde ich allerdings sauer. (lacht noch einmal)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.