Neues Album von Animal Collective: Kinder von Schwitters und Coca-Cola

Ihr Pop wird oft mit Dada verglichen: Die US-Band Animal Collective und ihr neues Album, „Painting With“, zeigen, dass das stimmt.

Drei Männergesichter vor buntem Hintergrund

Musikalisch ziemlich kinderfreundlich: Animal Collective. Foto: Tom Andrews/promo

Sie sind einmal aus dem New Yorker Untergrund hervorgekommen. Die vier Musiker, David Portner, Noah Lennox, Brian Weitz und Josh Dibb tauchten um die Jahrtausendwende als Animal Collective in der Pop-Szene auf. Seither gelten sie als Pioniere von experimenteller Popmusik. Gurgelnde, modulare Synthesizer auf langatmigen Rhythmusstrukturen schaffen einen psychedelischen Klangteppich, auf den sie einen vergnügten, mehrstimmigen Gesang legen.

Mittlerweile sind die vier Jungs keine Jungs mehr, sondern Mitte 30 und leben über den Globus verstreut. Ihr neues Studioalbum „Painting With“ ist ein kompaktes, optimistisches Zwölf-Song-Paket und es zeigt eine Band, die mit ihrem Image gebrochen hat.

Wegen ihres Sounds und Auftritts von Animal Collective, einschließlich Pseudonymen der vier Bandmiglieder wie „Panda Bear“ oder „Avey Tare“, aber auch wegen des absurden Artworks ihrer Produkte sind sie schon häufig mit Dada verglichen worden. Die Band verkörpert eine wunderbare, zeitgenössische US-Spielart dieser Aktionskunst.

Und bei Dada bleiben sie auch auf ihrem neuen Studioalbum, dessen Auftaktsong „FloriDada“ heißt. Mit den Worten „Child of Limousines / what is the best place/that you have seen“ läutet ihn die Band ein. Der ersten Phrase vorangestellt ist ein spitzer, mit jedem Takt sich weiter aufbäumender Percussion-Beat und dann, just wenn Sänger Noah Lennox gerade mit „Child of Limousines“ ansetzt, wird seine Oberstimme von einem comicartig quäkenden Bass übertönt, und ehe die Worte entziffert werden können, zieht schon der mehrstimmige Gesang der Band nach wie ein zu hoch geregeltes Delay.

Über Ordnungssysteme hinwegfegen

Bereits in den ersten Zügen des neuen Albums überlagern Animal Collective Hintergrund und Vordergrund, Melodie, Text und Harmonien und fegen damit über ein musikalisches Ordnungssystem hinweg. Die Texte versinken bis zur Unverständlichkeit im Sound, dafür schält sich ein verschobener Beat aus dem Songgewebe heraus. Angetrieben von einem schnellen Metrum fügen sich alle Ebenen des Songs zu einem polyrhythmischen Ganzen zusammen. Nur der Refrain klingt wie ein nach oben gehaltenes Banner heraus: „FloriDada“ singen Lennox und Portner, klar, hoch und unisono wie die Beach Boys zu ihren besten Zeiten.

Animal Collective: "Painting With" (Domino/Goodtogo);

Live: 4. April "Grünspan" Hamburg, 5. April "Postbahnhof" Berlin

Voller Wucht und College-Boy-Freude legen Animal Collective auf „Painting With“ los. Die zwölf Songs sind allesamt kurz gehalten, knackige Drei- oder Vier-Minuten-Dinger, meist sehr catchy. Alle zwölf Songs sind so freigeistig und voluminös gestrickt wie ihre vielen Vorgänger, doch zeigen sie nicht mehr jene vertraute Verschwommenheit und Delay-Versunkenheit, sondern sie sind zu Paketen durchstrukturiert, nahezu eingängig, als würde die Avantgarde-Band plötzlich mit den Charts liebäugeln.

Vier naturnahe, neugierige Jungs, der Konsumwelt kritisch abgewandt, fanden in frühen Studentenzeiten in New York City zu ihrem ­eigenen, an Krautrock angelehnten freakigen Style

Mit trappelnden Handclaps, einem Mini-Rave, galoppierenden Bässen und selbst mit Bläsereinwürfen zieren sie ihr neues Album. Die Animal-Collective-Handschrift ist immer noch da, etwa beim typischen Frage-Antwort-Gesangsarrangement zwischen Lennox und Partner und den gurgelnden Synthies von Brian Weitz. Doch ist „Painting With“ kompakt und minimalistisch aufs Wesentliche runtergestrippt.

Auf der Facebook-Seite der Band mit ihren über 500.000 Followern kreuzen sich schon seit Wochen Bekundungen der Vorfreude von Fans mit den Werbeposts der PR-Maschinerie. Zwei Videos zu „Painting With“ wurden im Vorfeld veröffentlicht und man weiß gar nicht, welches von ihnen mehr Dada ist als das andere: Zum R-’n’-B-Beat von „Golden Gal“ hüpft ein Mädchenkopf durch eine an Super Mario erinnernde Retro-Computerspielszenerie. „She is upset because they keep changing the taste of Coke“ mischen die vier Bandmitglieder die knisternde Sprachsequenz eines Films dann in den Track, als wäre der Videoauftritt eine zeitgenössische Werbekollage von Kurt Schwitters.

Flamingofarbene Welt

Der Clip zu „FloriDada“ ist in eine virtuelle flamingo-rosafarbene Welt getaucht, in denen gerenderte Dummies sich zu dicken Leibern aufblähen und ein paar hundert rosa-blau gescheckte Damenbeine labyrinthische Tunnel bilden. Visuell verkünden Animal Collective – wie zu erwarten – ein psychedelisches Post-Internet-Universum, indem sich fragmentarische Trips in die westliche Kindheit und Jugend mit Konsumkritik paaren.

Das Image der vier hat sich nach 15 Jahren Banderfolg gefestigt und damit auch ein Mythos ihrer Bandgeschichte. Der Popkritiker Simon Reynolds veröffentlichte 2005 im britischen Musikmagazin The Wire ein ausführliches Porträt der Künstler, das bis heute nachzuhallen scheint. Als „verging to paradise“ beschrieb Reynolds damals die Herkunft von Animal Collective. Aufgewachsen bei Hippie-Eltern auf dem Land nahe Baltimore, besuchten David Portner, Noah Lennox, Brian Weitz und Josh Dibb freie Schulen, in denen Kreativität, Imagination und künstlerischer Selbstausdruck gefördert wurden. Horrorfilme und LSD-Trips sollen ihren künstlerischen Radius erweitert haben.

Vier naturnahe, neugierige Jungs, der Konsumwelt kritisch abgewandt, fanden während ihres Studiums in New York City zu ihrem eigenen, an Krautrock angelehnten freakigen Style, in dem Schamanentum, Animismus und Anthropomorphismus eine wichtige Rolle spielen. „Centipede“ – „Tausendfüßler“ betitelten sie ihr letztes Album.

Ob sie aber tatsächlich, wie in der Pressemitteilung zum Album großspurig verkündet, während ihrer Aufnahmen zu „Painting With“ in den legendären EastWest Studios in Hollywood Kerzen auf Seerosenblättern anzündeten und eine Zwei-Stunden-Spule mit Dinosaurierfilmen im Loop abspielten, um in den richtigen Kreativitätsmodus zu kommen? Das scheint ein PR-Coup zu sein. Womöglich ist die Band mittlerweile ihren eigenen Bildern verfallen.

Mit „Painting With“, das so minimalistisch und reduziert ausfällt, scheint sich die Band aber gegen an sie gestellte Erwartungen zu wehren. „Mit Genres wie New Psychedelia oder New Weird America wollen wir gar nichts zu tun haben“, betont Brian Weitz im Gespräch. Bei einem Interviewtermin trifft man auf einen sehr ruhigen und zurückhaltenden Weitz und seinen Kollegen David Portner, der Gitarrist und Songwriter der Band ist. Weitz lebt in Washington, Portner in Los Angeles.

Beide reden vom Musikmachen als professionelle Angelegenheit. Sie erzählen, wie sie sich Songideen per Mail zuschicken und sich „Painting With“ über diese Distanz in den letzten zwei Jahren allmählich entwickelte. Die EastWest Studios in Hollywood waren ein Ort, um „30 Tage zusammen zu sein und einem gemeinsamen Sound nachzuspüren“, wie Brian Weitz es formuliert, und zwar „jeden Tag von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends“. „Wir wollen einfach an Musik arbeiten“, sagt David Portner, und es klingt ganz simpel.

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