Neues Album von Palmbomen: Ästhetiken der Kindheit

Der holländische Deephouse-Produzent Palmbomen errichtet auf seinem Album „Memories of Cindy“ einen Tanzboden im Schlafzimmer.

Meister der betont langsam schlingernden Musik: Kai Hugo alias Palmbomen Foto: Beats in Space

Wer auch immer die Musik des niederländischen Produzenten Palmbomen mit dem denkfaulen Etikett „Outsider-House“ beschreibt, versucht damit zu vertuschen, dass House ursprünglich einmal die Musik der schwulen schwarzen Community in den US-Großstädten Chicago und Detroit war; Wurzeln, die man niemals kleinreden oder gar verleugnen sollte. Das weiß auch Kai Hugo, ein hübscher weißer Mann um die 30, der zwischen Rotterdam und Los Angeles pendelt – also eher der Typ Hipster als ein Außenseiter.

Auch wenn sein betont langsamer, maschinenstotternder House-Sound mit Vorliebe HörerInnen anspricht, die ihre Beats eher im eigenen Schlafzimmer konsumieren als in der zentralen Tanzschaffe des urbanen Nachtlebens. Intimität, die seine Arbeit bestimmt, seit er sich unter dem Namen Palmbomen – Palmenbaum – zu einem utopischem, leicht angekitschten Sound bekennt.

Erste Aufmerksamkeit über die niederländische Szene hi­naus erhielt sein Projekt Palmbomen 2010 durch den Auftritt auf einer Compilation des französischen Mode- und Musiklabels Kitsuné – im kurzen Sommer des Chillwave also mit Künstlerkollegen wie Neon Indian oder Washed Out, in deren Umfeld die balearischen Disco-Vibes und Italo-Anklänge des viel fliegenden Holländers prima harmonierten.

Hauntologische Angelegenheit

Hugos meisterhaftes neues Album, „Palmbomen II“ – als „Palmbomen I“ bezeichnet der 28-Jährige inzwischen sein Liveprojekt –, ist allerdings eine wirklich tolle hauntologische Angelegenheit geworden. „Memories of Cindy“, ursprünglich in Form von vier EPs veröffentlicht, die nun als Doppelalbum gebündelt zugänglich gemacht werden, funktioniert als Konzeptalbum – was eher selten ist im House-Genre. Der fiktive titelgebende Charakter Cindy entstand im Kontext seiner künstlerischen Idee, obskure Nebencharaktere der US-Kultfernsehserie „Akte X“ als Protagonisten auszugestalten.

„Ich komponierte beim Binge-Watching und machte Songs, die auf den Biografien dieser Pro­ta­go­nisten fußen“, erklärt Kai Hugo. „Aber irgendwie bleiben diese Biografien zunächst vage. Also erfand ich Alibis für sie und drehte Videos, in denen die Charaktere zum Leben erweckt wurden. Einer dieser Charaktere war Cindy Savalas.“ Die Lebenswelt jener „Memories of Cindy“ ist nun detailliert erzählt – zwar sind die meisten Tracks des Albums instrumental, aber in Musik und begleitenden Videos wird diesmal eine ganze Stadt gezeichnet, die sich mit Cindy auseinandersetzt – und ihrem tödlichen Unfall.

Wortwiederholungen

Und: „Es gibt Vocals, aber sie sind reduziert auf die Essenz eines Songs. Es geht nur um die Wiederholung einfacher Worte, die viel emotionaler wirken, als komplexe Songtexte das leisten könnten“ – ein Stilmittel, das er von seinen Vorbildern übernahm: Slowdive, jener Shoegaze-Band, die in den frühen Neunzigern das poetische Rauschen von Verstärkern der Geschichtslosigkeit nach dem Ende des Sozialismus zum Stilprinzip erhob.

Über dem Sound des Albums „Memories of Cindy“ liegt die Ästhetik dieses Jahrzehnts wie ein dichter Schleier. „Es gibt da eine praktische Seite: Equipment von damals ist billig. Synthies aus den 70er und 80er Jahren sind inzwischen umkultet und unbezahlbar, aber niemand hält die Produkte der 90er für wertvoll. Sie sind aus der Mode, gelten als altmodisch, es gibt noch keine Nostalgie, die sie teuer macht.“

Palmbomen: "Memories of Cindy" (Beats in Space/Cargo)

Aber es geht Hugo auch um die Wiederentdeckung von verdrängten Aspekten dieser Vergangenheit. „Ich mag es, mit den Ängsten und Wünschen zu spielen, die damals real waren und heute völlig absurd erscheinen. Darum auch diese Fake-Commercials, die ich drehe, in denen ich mich darüber lustig mache – und über diesen schamlosen oberflächlichen Kapitalismus, der heute so unglaublich dated wirkt.“

Insofern ist „Cindy“ eine sonnig wirkende, zugängliche, aber im Kern nicht weniger düstere Schwester des Albums „Replica“ von Oneothrix Point Never (2011), das seine eigenwillige, eisige Soundwelt nur von Samples aus Werbeclips jenes Jahrzehnts zusammensetzt.

Pop, so konstatierte der britische Kulturtheoretiker Mark ­Fisher, sei im 21. Jahrhundert auf der Suche nach der verlorenen, vom Kapitalismus bewusst zerfressenen Utopie. Auch Palmbomen sucht in den Gespenstern des Materials die Spuren, die der Glaube an eine lebenswerte Zukunft kurz vor deren Aufkündigung in nie endende kapitalistische Feedbackschleifen noch hineingebrannt hat.

Kai Hugo macht das in wunderbaren und traumschönen Housetracks, die nie mit einem pseudodiffusen Außenseitertum kokettieren, sondern auf „Memories of Cindy“ die verschiedenen Ästhetiken des Jahrzehnts seiner Kindheit produktiv machen – einzuordnen am besten unter: „Balearic Shoegaze“.

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