Neues Album von Rocko Schamoni: Postapokalypse mit Futur II

Der hanseatische Himmelhund Rocko Schamoni tritt von seinem Rücktritt zurück und veröffentlicht ein neues Soloalbum: „Musik für Jugendliche“.

Schwarz-Weiß-Porträt eines Manns auf Straße

Rockender Schelm: Rocko Schamoni Foto: Lidija Delovska

Erzählen, um noch ein bisschen Zeit herauszuschlagen: Das ist das Modell Scheherazade (damit meine ich keinen Reiskocher). Himmelhund Rocko Schamoni verfährt auf seinem neuen Album „Musik für Jugendliche“ genau andersherum – sich lustvoll dem Ende nähern, die Zeit verschrammeln lassen. Dabei pusten Blasinstrumente (ich glaube, Trompeten) oft eine solche Feierlichkeit in den Kopfraum, dass man sich auf einer guten Beerdigung glaubt. Bei solchen Veranstaltungen dauert es ja in unserem Kulturkreis auch eine Weile, bis man sich eine gewisse zerstreute Freude erlaubt.

Den Auftaktsong „Als hätte es uns nie gegeben“, vor allem noch bei dem Albumtitel „Musik für Jugendliche“, auf das drohende Ende der Welt zu beziehen, das zum Beispiel mein 14-jähriger Neffe gerade demonstrierend auf der Straße zu verhindern sucht, drängt sich auf. „Es gibt keine Menschen mehr, auch das ist nicht weiter schlimm / denn wir waren ohne Frage für das Weltall kein Gewinn“, besingt Schamoni lässig und mit glasklarer Stimme jetzt schon mal die Postapokalypse, während eine Band den Takt zum Ende spielt, der dann ja doch immer nicht aufhört (außer, wenn er aufhört).

Ein weiteres Blasinstrument hupt dann wie eine Autohupe auf dem Weg zur Verschrottung. Wenn im Refrain Echos von Schamonis Stimme „bald“ und „nie gegeben“ in verschiedener Lautstärke und Dichte sagen, hat er auch gleich jede Forderung nach Diskussion und Distanz mit eingewabert. Ein wenig schräger und sakraler präsentiert sich mein Favorit „Loch in der Welt“.

Am Anfang wird in dem Song hymnisch mit mehrfach geschichteter Stimme die Botschaft ausgerufen: „Was von euch bleibt, ist nur ein Loch in der Welt / Durch das der Wind weht / Durch das der Schnee fällt.“ Davor klumpert ein Xylofon, danach bounct eine Kugelschreibermine, und man stellt sich die Frage, ob das nicht die perfekte Beschreibung unseres Daseins auf der Welt als Zeitlichkeit ist: kleine Löcher mit den sich durch die Dimensionen bewegenden Körpern wie mit ­Raviolistechern immer wieder aus dem Ganzen herausgeschnitten.

„Musik für Jugendliche“ (Tapete/Indigo) live: 24. 10. Kulturkirche, Köln; 25. 10. Hafen 2, Offenbach; 26. 10. Kulturzentrum Merlin, Stuttgart; 27. 10. Ampere, München

Komödienstadl und Melancholie am Fensterbrett

Ganz am Ende gibt es dann noch mal eine „Reprise“ dieses Stücks, die, so klingt es, den Sprung in die Zukunft wagt. Kalter Winterhauch, dann Versatzstücke des Originals, gemischt mit Drucker- und Robotergeräuschen, zu denen die harte Wirklichkeit des Todes angenommen werden kann (nicht muss); bevor der Sargdeckel geschlossen wird und das Album, das auf dem Weg von der ersten Diagnose bis zum Exitus die zehn schwungvollen Stadien des Sterbens hinabschritt, zu Ende ist. Schamonis Vater ist ja gestorben, wie die Plattenfirma informiert. Da kann man schon mal auf solche Gedanken kommen.

Dieser Weg führt musikalisch außerdem in den Komödienstadl („Ich und mein Pudel“), über das letzte Mal schick Anziehen („Der Weg hinab“), einen Tribut an den im März dieses Jahres gestorbenen Sänger der tollen britischen Popband Talk Talk und Schamoni-Vorbild („Mark Hollis“), leidenschaftliches Aufbäumen der Leidenschaft („Dein Gesicht“), Sex im Alter („Unser freies Lied“), einen nachmittäglichen Tanztee („Die Freiheit, sie wird alt in deinen Haaren“) und Melancholie am Fensterbrett („Der Regen“).

Zwölf Jahre nach ­Schamonis letzten Album mit eigenen Songs („Rocko Schamoni & Little Machine“), das eigentlich das Finale hätten sein sollen, wirkt nun der Sprung ins Futur zwei konsequent – aber auch ein bisschen seltsam. Wie sollte es anders sein bei einem solchen Supermusiker, Bestsellerautor, Gastronom, Quatschmacher und Quartalsgenie? Einem, der, mit anderen Worten, schon alles gemacht hat? Ab einem gewissen Alter, das kennen wir von Opa und Oma, rückt die Jugend immer näher. Und wenn dabei Siebzigerjahre-Soulsound mit schwermütiger Heiterkeit herauskommt, klingt das immer noch besser als ein St.-Pauli-Nostalgieroman, den Schamoni 2019 auch schon veröffentlicht hat.

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