Neues Album von Sir Richard Bishop: Entgrenzt in Tanger

Eigentlich wollte Gitarrist Sir Bishop Richard in Marokko entspannen. Herausgekommen sind die großartigen „Tangier Sessions“.

„Dinge wie Magie oder Mystizismus interessieren mich“: Sir Richard Bishop. Bild: SRB/Uwe Faltermeier

Tanger, das war stets mehr Mythos als Wirklichkeit. In den Fünfzigern bildete die marokkanische Hafenstadt das Zentrum der Libertinage. Die Schriftsteller Truman Capote, Paul und Jane Bowles sowie die gesammelte Prominenz der Beat Generation ließen sich zeitweilig hier nieder; seither stellt Tanger, in ihren Aufzeichnungen Hort der Ausschweifung, des Drogenkonsums, des „freien“, besser: stets zugänglichen Sexes, einen Sehnsuchtsort dar.

Es ging dem US-Musiker Richard Bishop in seinen „Tangier Sessions“ nicht darum, diesen Mythos ein weiteres Mal aufzukochen. Vielmehr entstand sein neues Album zunächst ungeplant.

„Dabei wollte ich doch eigentlich nur Erholung“, sagt der Musiker, dessen Künstlername Sir Richard Bishop ist. „Aber als ich dort ankam, wusste ich, dass Tanger die Atmosphäre hat, um ein neues Album aufzunehmen.“ Er war für ein Konzert in der Hafenstadt zu Gast. In der Woche des Aufenthalts spielte er sieben neue Songs ein.

In ihnen gleitet Bishop das Griffbrett rauf und runter, als wäre es eine leichte morgendliche Finger-Yoga-Übung. Ein wenig erinnern die Gitarrenimprovisationen auch an einen entspannten Trip in die arabische Welt. Dass er sich von der Geschichte des Ortes hat inspirieren lassen, klingt schon in den Songtiteln an. „International Zone“ spielt auf den autonomen Status an, den die Region zwischen 1923 und 1956 hatte, „Let It Come Down“ auf den gleichnamigen Roman von Paul Bowles. „Natürlich wusste ich um die Geschichte“, sagt Bishop im Skype-Gespräch.

Sir Richard Bishop: „Tangier Sessions“ (Drag City/Rough Trade). Ab Mitte Mai in Deutschland auf Tour.

Bishops Ausflug in die einstige „Interzone“ kommt wenig überraschend, denn der Gitarrist, aufgewachsen in Michigan, Mutter Libanesin, Vater aus Tennessee, war schon immer ein musikalischer Vagabund. Insbesondere Folkstile aus Nordafrika, dem Libanon und Syrien waren für ihn prägend. „Schon mein Großvater spielte diese Musik“, sagt Bishop, der heute in Portland lebt. Er selbst ist nicht nur ein Virtuose an der Gitarre, sondern auch eine singuläre Erscheinung im experimentellen Rock. Gemeinsam mit seinem Bruder Alan Bishop spielte er bei den Sun City Girls, bis deren Drummer Charles Goscher 2007 starb und man die Band auflöste.

In den 28 Jahren seines Bestehens klang das Trio mal versponnen-psychedelisch, mal freejazzhaft-folky, live improvisierte es ausgiebig. 50 Alben und unzählige Kassetten hat es veröffentlicht. Seit 1998 nahm Bishop elf Soloalben auf, zudem hat er mit Rangda eine großartige neue Band, bei der etwa Jazzdrummer Chris Corsano, auch Schlagzeuger für Björk, mitwirkt. Muss man sich Bishop als Musik-Maniac vorstellen? „Am Ende ist es das, was ich bin, was ich tue und worin ich gut bin“, sagt er, „aber das Wort Maniac gefällt mir.“

Parallele zu den Beatniks
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Mehr als marokkanische Musiktraditionen klingen auf „Tangier Sessions“ die Einflüsse des persischen und indischen Gitarren- und Lautenspiels an – all das, was Bishop von jeher geprägt hat. Seine Solo-Improvisationen sind verspielt, sie klingen nach Flow, nach Hingabe. Die Musik in den Songs – allesamt pures Gitarrenspiel ohne Verstärker – wirkt entgrenzt.

Sicher spielt bei Bishop – eine Parallele zu den Beatniks – auch Spiritualität eine Rolle. „Dinge wie Magie oder Mystizismus interessieren mich, im Sinne eines historischen Bezuges.“ Mit den Religionen sei es ähnlich: Er würde sich nicht als religiös bezeichnen, sei aber insbesondere an Hinduismus und Buddhismus interessiert: „Christentum war mir nie so nah“, sagt er, „diese Religion gibt immer nur vor, was man nicht tun kann oder darf – nie, was man kann oder darf.“

Man hat das Gefühl, dass die Improvisationen auf „Tangier Sessions“ aufeinander aufbauen. Gegen Ende läuft Bishop vor allem mit dem fantastischen „Let It Come Down“ zu großer Form auf: ein tief melancholisches Lullaby, das mit tollen Harmonien daherkommt. Wie auch in Paul Bowles’ Roman, in dem der aus den USA nach Tanger kommende Protagonist mit seinen Wünschen, Bedürfnissen und mit einem anderen, neuen Leben konfrontiert wird, so klingt auch bei Sir Richard Bishop etwas Existenzialistisches an, ein Zurückgeworfensein auf das bloße menschliche Leben und die einfache, direkte Erfahrung des Seins.

Es sind diese Eindrücke, mit denen Richard Bishop – das „Sir“ war erst nur ein Witz unter Freunden, ehe er sich als Solointerpret selbst adelte – seine Hörer zurücklasst. Am Ende wirkt Tanger, wie Bishop es qua Song beschreibt, etwas müde und ausgelaugt, vielleicht ja von all den mythischen Überhöhungen, die der Stadt zuteil wurden. Gleichzeitig klingen die Akkorde im abschließenden Song sehr pur, Bishop ist im Laufe dieser Improvisationen immer mehr bei sich – als habe der Ort eine kathartische Wirkung gehabt.

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