Neues Album von Tyler, The Creator: Verschwende deine Tugend

Dicke Hose statt soziales Gewissen: Der kalifornische Rapper Tyler, The Creator präsentiert sein neues Album „Cherry Bomb“.

Der Rapper beim Coachella Music and Arts Festival. Bild: ap

Tyler, the Creator ist ein wandelnder Widerspruch. „I’m rapping about diamonds, cars and money“, rappt der 24-Jährige mit der tief vibrierenden Stimme gegen Ende seines vierten Albums „Cherry Bombs“, nur um sich dann zu fragen: „Was zum Teufel ist in mich gefahren?“

Ein paar Stücke vorher hatte er einen fast sieben Minuten langen Track lang davon erzählt, wie er mit einem Auto aus seiner Sportwagenflotte – einem AMG, einem BMW oder einem Benz – durch die Stadt cruist.

Solche Widersprüche sind Teil von Tylers Persona, seitdem er vor fünf Jahren mit den ersten Stücken der Odd Future Wolf Gang aus Los Angeles bekannt wurde. Odd Future waren eine Ansammlung von spätpubertären Testosteronbündeln, bei denen faggot zum Standarvokabular gehörte, die aber ihre Shows von einer lesbischen Soundmixerin abmischen ließen.

Der damals 20-jährige Tyler aß im Videoclip zu „Yonkers“ zur Schockwirkung Kakerlaken und erhängte sich. Das Album „Goblin“ inszenierte er als Dialog zwischen sich und seinem Psychotherapeuten. Odd Future galten als Erneuerer des HipHop. Popkulturgetränkt, ohne allzu kuratorisch zu sein, cartoonhaft überzeichnet, aber mit der nötigen Portion Street Credibility und einem Rapper am Rande der Hyperaktivität: Tyler, the Creator. Ein zweistelliger Millionendeal mit Sony war die Belohnung.

Tyler, The Creator: „Cherry Bomb“ (Sony).

Live: 19. 5. „Mojo Club“, Hamburg, 21. 5. „C-Club“ Berlin, 24. 5. „Theaterfabrik“ München, 25. 5. „Kantine“ Köln.

Jazz und Stevie-Wonder-Style

Vier Jahre später besitzt Tyler Okonma eine Villa in L. A., eine Fernsehshow auf Adult Swim, seine eigene Streetwear-Kollektion und wird auf CNN von Larry King interviewt. Mit dem Ruhm ist der spartanische, manchmal klaustrophobische Sound seiner frühen Alben verschwunden. An seine Stelle ist ein Spaziergang durch das CD-Regal in seinem Kinderzimmer getreten.

Auf „Cherry Bomb“ findet man ein Rockstück, das auch von Pharrells kurzlebigem Nebenprojekt N.E.R.D. stammen könnte, ein anderthalb minütiges Trap-Interlude, Westküsten-HipHop mit Jazz-Anleihen und ein sechseinhalbminütiges Stück im Stile eines Stevie Wonder, auf dem Tyler darüber philosophiert, dass er unmöglich mit einer Minderjährigen ausgehen kann – obwohl er gerne würde, versteht sich.

Dazu passt, dass die Odd Future Wolf Gang nicht mehr existiert. Es gibt keine Gastauftritte der alten Rapcrew auf „Cherry Bomb“, Ex-Odd-Future-Kollege Earl Sweatshirt hat parallel ein Soloalbum veröffentlicht. „Wir haben uns auseinandergelebt“, hat Tyler diese Entwicklung in einem Interview kommentiert.

Er ist jetzt sein eigener Stern und wird nur von anderen Stars umkreist. An „Cherry Bomb“ sind nicht nur Soul-Komponist Roy Ayers und Soundtrack-Produzent Hans Zimmer beteiligt gewesen, sondern die A-Liga des US-HipHop hat sich mit Tyler vor dem Mikrofon versammelt.

Am Mischpult in die zweite Reihe

Aber dort – vor dem Mikrofon – darf es nur einen König geben: Tyler selbst. Sein Idol Pharrell vergeudet auf „Keep da O’s“ seine unterkühlte Stimme mit einer öden Prahlerei über Ecstasy-Konsum und wird in dem Track so stark verzerrt, dass von seinem Flow nichts übrig bleibt. Kanye Wests Reim auf „Smuckers“ ist zwar eins der Highlights, wird aber wiederum dadurch entwertet, dass Südstaaten-Rapper Lil’ Wayne mit ein paar hingerotzten Versen den Großteil des Songs bestreiten darf. Vermutlich ist es die ultimative „Scheiß drauf“-Geste: die größten Rapper der Welt vor dem Mikrofon zu haben und sie dann am Mischpult in die zweite Reihe zu delegieren.

Denn im Mittelpunkt von „Cherry Bomb“ steht das Leben von Tyler – egal, ob er mit Spritztouren, Cunnilingus oder dem eigenen Jugendkultur-Imperium prahlt. Dabei versteigt er sich mal zu Versen, bei denen die halbe HipHop-Geschichte mitschwingt, ein anderes Mal kommen die Wortspiele so selbstverliebt daher, als würde der echte Tyler genauso viel Adderall nehmen wie der Cartoon-Tyler aus seinen Raps.

Tyler perfektioniert seine Cartoon-Welt, die er auf allen Kanälen kommerziell bedient: „I don’t pray to society/I’m in a field wearing pink and blue.“ Damit steht er im Kontrast zu Kendrick Lamar, der auch aus L. A. stammt und nur drei Jahre älter ist. Lamar entwirft auf seinem letzten Album ein historisch informiertes Psychogramm des schwarzen Amerikas im Angesicht der aktuellen Polizeigewalt. Tyler dagegen zeigt das Psychogramm einer an HipHop und Zeichentrickfilme verschwendeten Jugend, die aus der Verschwendung eine Tugend gemacht hat. Erfolgreich sind beide, aber Lamars Geschichte ist diejenige, die Amerika gerade lieber hören möchte. Sein Album stieg Anfang April auf Platz eins der Billboard-Charts ein – Tylers drei Wochen später nur auf Platz 15.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.