Neues Medium in Österreich: „Jetzt“ will Journalismus neu erfinden
Nach holpriger Kampagne ist das neue Medium „Jetzt“ mit 5.900 zahlenden Mitgliedern gestartet. Ob sich das Konzept durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.
Nach über einem Jahr Kampagne ist am Dienstag das neue österreichische Onlinemedium Jetzt gestartet. Auf der Website sowie in der App soll es einen morgendlichen Nachrichtenüberblick sowie ein bis zwei größere Texte geben. Die rund 5.900 „Mitglieder“, so heißen die Abonnenten, haben die Katze im Sack gekauft: Zu den inhaltlichen Schwerpunkten war bis zuletzt nichts bekannt.
An den Start ging Jetzt mit zwei Texten: Einer Recherche des Investigativjournalisten Christo Grozev über einen mutmaßlichen russischen Agenten, der eine österreichische Firma zur Aufbereitung von Trinkwasser ausspioniert haben soll. Und einer Abhandlung zur Frage: „Lohnt es sich, Kinder zu kriegen?“ Dienstagfrüh erschien zudem der erste „Morgenüberblick“, der über die wichtigsten Themen des Tages informieren soll.
Chefredakteurin Hatice Akyün, zuvor freie Journalistin und Tagesspiegel-Kolumnistin, sagt: „Wir wollen Orientierung bieten und ein sicherer medialer Hafen sein.“ Wichtig sei der Austausch mit der Community. Alle Texte werden außerdem vom jeweiligen Autor selbst vorgelesen. „Jetzt hat keine Chronistenpflicht, sondern will eigene Schwerpunkte setzen“, sagt Geschäftsführer Florian Novak, der bereits zwei Privat-Radiosender in Wien gegründet hat.
Das Modell ist erfolgserprobt: Erklärtes Vorbild ist das dänische Medium Zetland, das 2012 mit demselben Konzept gegründet wurde und mittlerweile über 50.000 Mitglieder hat. Als „Technologiepartner“ bezahlt Jetzt eine Art Franchisegebühr für den Österreich-Ableger der App. Bereits zum Start stehen alle Texte hinter einer Paywall – Kostenpunkt: 18 Euro pro Monat.
Österreich gilt als hoch konzentrierter und schwieriger Medienmarkt. Dies liegt an der Stärke altgedienter Medienhäuser wie ORF und Kronen Zeitung, aber auch an staatlichen Förderungen, die etablierte Player bevorzugen.
Zähe Mitgliedersuche
Auch die ersten Monate bei Jetzt waren holprig: Die Mitgliedersuche lief zäh, trotz Werbung, vieler Prominenter und wohlwollender Berichterstattung. Die Kampagne wäre beinahe gescheitert und musste verlängert werden. In der Eigenwerbung verstieg sich Jetzt zu fragwürdigen Methoden: In einem Video, das die App vorstellen sollte, wurde ein Text der US-Journalistin Anne Applebaum gezeigt – versehen mit dem Namen „Lukas Hofer“. Als Profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer dies aufdeckte, reagierte die Redaktion patzig: „Hätte uns auffallen sollen. Bitte tun Sie aber nicht so, als hätte Jetzt ein Plagiat publiziert.“
Schwierig war auch die Suche nach einer Redaktionsspitze. Elisalex Henckel-Donnersmarck, zuvor Chefredakteurin des Wiener Magazins DATUM, stieg kurz vor dem geplanten Launch wieder aus. Der Start verzögerte sich, erst Ende September gab Jetzt die neue Chefredakteurin Akyün bekannt.
Die zwölfköpfige Redaktion sitzt im Wiener Funkhaus, wo bis vor wenigen Jahren die ORF-Radios Ö1 und FM4 ansässig waren – ein selbstbewusstes Statement. Kämpferisch auch Novaks Ansage zum Kampagnenstart: „Wenn es seriösen Journalismus nicht mehr gibt, muss man ihn neu erfinden.“
Laut eigenen Angaben bezieht Jetzt eine Förderung der Stadt Wien, auch anderen Förderungen zeigt sich Novak aufgeschlossen. Langfristig will sich das Medium ausschließlich über seine Mitglieder finanzieren. „Die Redaktion muss wachsen, um den Workload zu stemmen“, sagt Novak. Die knapp 6.000 Mitglieder zum Start seien bloß das Fundament dafür.
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